Der Lebenslauf

Da kommt plötzlich einer vom Verlag an, sagt, schreib halt ein paar Worte über dich, mindestens 1500 Zeichen sollten es schon sein, schreibt mir der vom Verlag, also setze ich mich hin und überlege, weil es natürlich nicht in der Ich-Form geschrieben sein soll, sondern so, als hätte ein anderer über mich geschrieben, was schon seltsam ist. Aber weil ich auch gerne etwas über mich dabei erfahren will, setzte ich mich brav hin und schreibe …
… Guido Rohm wurde 1970 geboren, wie das klingt, natürlich bin ich geboren, denn sonst würde ich ja nicht hier sitzen und solch einen Unsinn schreiben.
Er wurde in Fulda geboren, nein, das kann ich nicht schreiben, denn jetzt bin schon zweimal geboren und das geht ja nun wirklich nicht, obwohl, da müsste man mal bei der Kirche oder einer der anderen Sekte nachfragen, die würden das wahrscheinlich ganz anders sehen, die würden sagen, natürlich geht das, mein Sohn, und ich würde sagen, Hände weg, ich bin nicht Ihr Sohn, denn mein Vater, der ist schon tot, der starb bei einem Urlaub in Bulgarien. Er stand in der Nacht auf, rauchte eine Zigarette, legte sich neben meine Mutter und sagte: „Ich sterb jetzt.“ Und dann starb er. So einfach und so schwer kann das sein. Kommt ganz darauf an, von welcher Seite des Bettes man das betrachtet.
Also den Vater muss ich heraus halten, denn für den werden sie sich nicht interessieren, vielleicht aber doch, da müsste man nachfragen.
Weiter …
Dann kam die Schule, scheußlich, muss ich mich jetzt daran erinnern, dann Jobs, noch scheußlicher, verschiedene Arbeitgeber, aber darüber will ich lieber nicht reden, dann lieber vom Marx, der sagte, man müsse die Begriffe vertauschen, denn der Arbeiter, der gibt Arbeit, der ist dann also der Arbeitgeber.
Ein Arbeitgeber war ich also.
Jetzt habe ich auch Karl Marx in meinem Lebenslauf untergebracht. Der Lebenslauf entwickelt sich.
Geschrieben habe ich schon immer, da könnte ich jetzt mit ganz verklärenden Bildern anrücken, die den jungen Rohm in seinem Dachzimmer zeigen. Er sitzt vor einer alten Schreibmaschine und schreibt seine ersten Geschichten, er schreibt, bis ihm die Finger bluten, das Blut spritzt in großen Fontänen ins Zimmer hinein. Die Mutter entsetzte das. Natürlich. Außerdem habe ich jetzt auch meine Mutter eingebaut. Die war nach dem Tod meines Vaters hauptsächlich mit Weinen beschäftigt, aber heute weint sie nicht mehr, heute fährt sie mit ihrem Freund auf einem Motorroller durch die lauen Fuldaer Sommernächte. Sie sitzt hinter ihrem Freund, klammert sich an ihn und versucht Bulgarien zu vergessen. Manchmal gelingt es.
So, die Geburt habe ich berücksichtigt, die Eltern, die Schule, die Jobs, das Schreiben. Fehlt doch eigentlich nur noch mein Privatleben. Aber das geht doch keinen etwas an, sage ich zu meiner Muse. Die lebt mit mir, will aber namentlich nicht erwähnt werden.
Ich lass dann also deinen Namen draußen, Seraphe, sage ich zu ihr, sie nickt fleißig und schnell.
Soll ich von meiner Scheidung schreiben, frage ich die Seraphe.
Das sollte schon rein.
Quatsch. Das will doch keiner lesen.
Sie hebt die Schultern.
Aber deine drei Kinder aus dieser Ehe musst du erwähnen.
Muss ich nicht, sage ich zu Seraphe, die Kinder müssen geschützt werden. Die haben in so einem Lebenslauf nichts verloren.
Aber sie gehören doch zu deinem Leben.
Ja, so ist sie, die Muse, sie denkt mit, hält mich von der Flasche fern, obwohl ich nie gesoffen habe, aber die Andeutung einer Alkoholsucht macht sich in so einem Autorenlebenslauf immer gut. Auch Scheidungen lassen sich als Autor nach außen besser verkaufen. Die Leute sagen dann einfach: „Diese Künstler sind halt wilde Burschen.“ Tja, man muss sich nur den richtigen Beruf aussuchen.
Habe ich schon 1500 Zeichen? Bestimmt!
Die Muse räuspert sich.
Was denn?
Du solltest auch noch deine Bücher erwähnen.
Ach, genau, das sollte ja der Lebenslauf für eine Verlagsseite werden.
Ich glaube, die Bücher lasse ich weg. Das Ganze ist eh schon zu lang geworden.
Ich lese mir noch einmal alles durch. Verflucht. Jetzt habe ich es doch in der Ich-Form geschrieben. Tun Sie also einfach so, als würde ich über einen anderen schreiben. Danke.

Guido Rohm bei Wikipedia



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