Der Mensch ist als Wähler nicht der Bittsteller, als der sonst feine Boutiquen betritt. Sondern Machtausübender durch Stirnrunzeln, grummelndes Gemurmel an dunklen Kneipentischen oder massenhaftes öffentliches Betreten öffentlicher Plätze unter Hervorbringung öffentlicher Forderungen. Regelmäßig wird er in der Geschichte dennoch für dumm verkauft, unmündig gehalten und nach Strich und Faden belogen. Jedesmal jedoch, wenn der geduldige Verbraucher einer Politik, die durchweg und immerzu auf seine Kosten geht, etwas mehr Unwillen zeigt als für ihn normal ist, regeln die wirklich klugen Mächtigen nach: Ein Stellschräubchen dämpft hier, ein Einstellrädchen puffert dort, dazu gibt es mediale Seifenopern satt über parteiinternes Gezänk, über künftige Kurse und sich verabscheuende Personen.
Die Feder ist willig, doch die Zeit ist knapp. Der Protest gegen einen Bahnhofbau in Schwaben wird ausgerufen zum Signal für eine Zeitenwende wie seinerzeit, als der Protest gegen die unmenschlichen Hartz-4-Reformen eines inzwischen halb vergessenen, halb vergötterten Kanzlers Gerd Schröder eine Zeitenwende markierten. Wie damals in der DDR lehnte sich das ganze Volk auf gegen Sozialabbau, ein Vorgang, der so einmalig war, dass Vergleiche mit den Protesten gegen den ersten Irakkrieg nahelagen: Damals hatte sich ein ganzes Volk, angeführt von Schülerinnen und Schülern, die heute Mitte 30 sind, aufgemacht, die imperiale Großmacht davon abzuhalten, die Truppen des friedliebenden Irak aus Kuwait zu vertreiben.
Die Republik erzitterte wie nie, jedenfalls wie nie seit den Anti-Atomkraft-Protesten, dem Widerstand gegen die Nachrüstung, der Hausbesetzerbewegung gegen Luxusmodernisierung in gewachsenen Stadtquartieren. Nichts hat sich geändert für eine nachwachsende Generation von Berichterstattern, die heute aus den Fenstern ihrer luxusmodernisierten Großstadtwohnungen schauen und ein Land sehen, das sich im demokratischen Ausnahmezustand befindet, zumindest wenn man zum Lokalaufstand in Stuttgart die folkloristischen Castor-Proteste und das "klammheimliche Freude" (Mescalero) weiter Bevölkerungsteile über das Scheitern aller medialen Erziehungsmaßnahmen am Volk im Fall Sarrazin hinzurechnet.
Das war in der Tat noch nie da, dass sowenig Lärm auf so abgelegenen Schlachtfeldern
so viel Wogen schlug und soviel Räder in Bewegung brachte. Klapperte Protest bisher am liebsten laut bei den "großen Menschheitsfragen" (Renate Künast) und gingen Menschen auf die Straße, um per Widerstand gegen Krieg, Klima und Kapitalismus die gesamte Menschheit zu retten, geht diesmal nun nur um die Bewahrung des Juchtenkäfers und der letzten Zeugnisse der hohen Baukunst von Hitlers Autobahnbaumeister. Und die Herrschaftsausübenden, die die Massenaufläufe wegen Hartz-4 aussaßen, bis aus dem breiten Menschenstrom eine konkurrierende Partei und ein schütteres Bächlein geworden war (Foto oben links: aktuelle Hartz-4-Demo in Halle), wankt, weicht und zeigt sich willig.
Es muss etwas passiert sein, das die Großschreiber dennoch dazu bringt, die Stellungen zu begradigen, und Politiker in Scharen veranlasst, Frontbögen zu schleifen und - hastdunichtgesehen - auf der anderen Seite der Linien wieder aufzutauchen, die Kanonen nun auf die gerichtet, mit denen man bisher gleicher Meinung war.
Ein Phänomen, das Paul Simon und Art Garfunkel vor genau 40 Jahren auf ihrem Album "Bridge over troubled water" ausführlich beleuchteten und das die unwiderstehliche Vienna Teng extra für PPQ noch einmal neu eingespielt hat (Video oben): "It's the same old story", hieß es da, "and I'm one step ahead of the shoe shine / Two steps away from the county line / Just trying to keep my customers satisfied". Kundenzufriedenheit, das ist es, was Medien und Politik am Ende suchen, wenn die Sturköpfe im Laden darauf beharren, nicht kaufen zu wollen, was angeboten wird. Dann heißt es die Auslagen umgestalten, Umdekorieren, neue Ware in die Regale legen, auch mal mit dem Kunden reden und gucken, wie er so guckt, wenn er ins Schaufenster schaut.