Und wieder Wochenende, man möchts nicht glauben, .. euch allen möchte ich schöne Tage wünschen, erholsames ausspannen und Zusammensein mit Freunden und Familie.
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NATO intensiviert Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung –
Von JOACHIM GUILLIARD, 24. August 2011 –
Seit dem vergangenen Wochenende nahm der Krieg gegen Libyen eine für die meisten Experten überraschende Wende. Innerhalb weniger Tage gelang den Rebellenmilizen und aufständischen Stammeskämpfern das Vordringen in strategisch wichtige Städte rund um die Hauptstadt. Die Versorgungslinien nach Tripolis, wo die Versorgungslage ohnehin schon dramatisch schlecht war, wurden weitgehend unterbrochen. Unerwartet schnell gelang es den Aufständischen am 21. August in Tripolis einzudringen.
Beim Vorrücken in die Städte griffen dann Kampfhubschrauber mit ihrer ungeheuren Feuerkraft direkt in die Bodenkämpfe ein. Wahrscheinlich hatten größere Kontingente von Spezialeinheiten der NATO-Mächte die führende Rolle bei den Vorstößen übernommen, die ihr Vorrücken eng mit den beteiligten Luftwaffen koordiniert, so vermutet auch der texanische Informationsdienst STRATFOR. Im Grunde handelt es sich somit im Kern um eine Bodenoffensive der NATO, die allein in Tripolis nach Regierungsangaben 1.300 Menschen tötete und Tausende verwundete.
Auch libysche Spezialkräfte, die in den letzten Monaten von der NATO aufgebaut und trainiert wurden, dürften zu den Erfolgen beigetragen haben. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP war es der NATO zudem gelungen, bewaffnete „Schläferzellen“ nach Tripolis zu schmuggeln. Indem diese im entscheidenden Moment an wichtigen Stellen zuschlugen, konnten sie rasch den Eindruck vermitteln, die Hauptstadt wäre in kurzer Zeit in die Hände der Rebellen gefallen.
Generell scheint die Hauptfront bei den jüngsten Sturmangriffen die Propagandafront gewesen zu sein. Völlig übertriebene oder erfundene Erfolgsmeldungen, von den internationalen Medien bereitwillig wiedergegeben, zielten offensichtlich darauf, Panik unter den Bewohnern der angegriffenen Städte zu verbreiten und das Gefühl der Aussichtslosigkeit jeglichen Widerstands zu vermitteln.
Da die staatlichen Radio- und Fernsehsender durch NATO-Bomben stark beschädigt wurden, waren die Möglichkeiten der Regierung zu Richtigstellungen begrenzt.
Kaum eine der Städte, die von den Aufständischen als erobert gemeldet wurde, ist jedoch bisher tatsächlich fest unter ihrer Kontrolle. Auch in Tripolis ist zwei Tage nach den ersten Gefechten völlig unklar, wer wie viel der Stadt kontrolliert. Der angeblich gefangen genommene Gaddafi-Sohn Saif al-Islam tauchte einige Stunden später völlig frei bei der internationalen Presse in Tripolis auf.
Doch auch wenn die anhaltenden Kämpfe in Tripolis mit der Niederlage der Regierungskräfte enden, so ist der Krieg damit keineswegs zu Ende. Die Mehrheit im Westen des Landes wird sich nicht einfach den Aufständischen unterordnen, die für die NATO-Bomben und die Zerstörungen verantwortlich sind und deren Programm auf die Abschaffungen vieler Errungenschaften der libyschen Dschamahirija zielt. Der Widerstand wird, wie im Irak, in anderer Form weitergehen. Da zudem die Anti-Gaddafi-Koalition den Sturz des gemeinsamen Feindes nicht lange überdauern wird, sehen auch viele westliche Experten die Gefahr eines anhaltenden Bürgerkriegs mit vielfältigen Fronten.
Wenn sie dabei die Gefahr somalischer Verhältnisse in dem noch stark von Stämmen dominierten Land beschwören, so geschieht dies nicht uneigennützig: In den westlichen Hauptstädten werden nicht zuletzt damit die Pläne über den Einsatz einer „UN-Truppe“ nach dem Vorbild der KFOR-Mission im Kosovo begründet. Faktisch wurde die abtrünnige serbische Provinz dadurch zum westlichen Protektorat. Auf diese Weise könnte die NATO auch in Libyen die wenig verlässliche Rebellenführung unter ihre Kontrolle bringen und sicherstellen, dass westliche Konzerne endlich einen befriedigenden Zugriff auf die libyschen Ressourcen erhalten.
Ein Rückblick
Seit fünf Monaten führen die NATO und ihre libyschen Verbündeten Krieg. Doch obwohl die Aufständischen militärische, finanzielle und politische Unterstützung in einem Ausmaß erhielten, wie kaum eine oppositionelle Bewegung zuvor, kamen diese dem gemeinsamen Ziel, die Regierung zu stürzen, bis vor Kurzem keinen Schritt näher.
Lange trotzte das schlecht gerüstete Land mit nur 6,5 Millionen Einwohnern den Angriffen des mächtigsten Militärbündnisses der Welt. Trotz politischer Rückendeckung durch UNO und Internationalen Strafgerichtshof wird der Krieg vom überwiegenden Teil der Welt als neokoloniale Intervention verurteilt.
Während die Front der Rebellen bröckelte, demonstrierte eine wachsende Zahl von Libyern ihre Unterstützung für die Regierung. Angesichts ausbleibender Erfolge zeigte auch die Kriegsallianz immer größere Risse und die Regierungschefs suchen fieberhaft nach einem Ausweg.
Je deutlicher sich jedoch das Scheitern des Feldzuges abzeichnete, desto mehr wurden die täglichen Bombenangriffe auf die zivile Infrastruktur ausgeweitet – mit dem eindeutigen Ziel, Führung und Bevölkerung des Landes doch noch zermürben zu können. Woche für Woche wird so das unbotmäßige Land immer mehr in Trümmer gebombt.
Bombenterror
So erschütterten am 9. August die bis dahin schwersten Luftangriffe Tripolis. Bombeneinschläge waren, wie die Korrespondenten der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua berichteten, aus fast allen Teilen der Hauptstadt zu hören, Flammen schossen über einzelnen Vierteln in die Höhe. Gleichzeitig versuchten NATO-Kampfjets vorrückenden Rebellen den Weg zur westlibyschen Küstenstadt Sliten freizubomben. Dabei wurden im Nachbardorf Majer 85 Dorfbewohner getötet, darunter 33 Kinder und 32 Frauen. (2) Dies sind zwei vorläufige Höhepunkte des fast fünfmonatigen Bombenkrieges, in dem die Kriegsallianz bis dahin über 18.000 Einsätze flog, darunter 7.000 Bombenangriffe, fast 60 pro Tag.
In dem Maße, wie militärische Ziele ausgingen, konzentrierten sich die Angriffe auf zivile Einrichtungen. In orwellscher Manier werden auch diese Bombardierungen, die täglich neue Opfer fordern, mit der Standardphrase „Schutz der Zivilbevölkerung“ gerechtfertigt – sogar die mehrfache Bombardierung von Fernsehstationen. Diese würden für Appelle des Machthabers an seine Anhänger und für staatliche Propaganda genutzt. (3)
Bereits Ende April hatte die NATO-Führung offen angekündigt, nun auch verstärkt Regierungsgebäude, „Kommunikationseinrichtungen und andere wichtige Institutionen, die der libyschen Regierung nützen“, zu bombardieren. Diese „Verlagerung der Ziele“ geschehe in der „Absicht, die Macht von Oberst Muammar al-Gaddafi zu schwächen und seine Streitkräfte zu frustrieren“. Bombardiert wurden jedoch auch Nahrungsmitteldepots, Raffinerien, Kraftwerke, Trinkwasseranlagen und andere Einrichtungen, die der Versorgung der Bevölkerung dienen. Wie beim elfwöchigen Bombenkrieg gegen Jugoslawien sollen die massiven Zerstörungen der Infrastruktur und der Medien auch der übrigen Bevölkerung die Aussichtslosigkeit des Widerstandes demonstrieren und sie dadurch, wie die NATO-Führer andeuten, dazu bewegen, sich gegen ihre Regierung zu stellen. (4) Die Bombardierungen ziviler Ziele, mit dem Ziel, die Betroffenen politisch zu erpressen, sind eindeutige Kriegsverbrechen, ein klarer Akt von Staatsterror gegen eine weitgehend wehrlose Bevölkerung.
Ein vorrangiges Ziel ist, wie die gezielten Angriffe auf seine möglichen Aufenthaltsorte zeigen, den Revolutionsführer zu liquidieren. Die NATO habe „eine Jagd auf Gaddafi“ begonnen „mit dem Ziel, ihn zu eliminieren“, berichtete unter anderem auch der britische Nachrichtensender Sky News. Da der faktische Staatschef immer noch über erheblichen Rückhalt im Land verfügt, werde seine Beseitigung als einzige Möglichkeit angesehen, die festgefahrene Situation in Libyen aufzulösen, so die britische Tageszeitung Daily Telegraph. (5) Bei Angriffen auf Residenzen und Wohnhäuser, in denen der Oberst vermutet wurde, wurden bereits Dutzende Zivilisten getötet, darunter auch sein jüngster, politisch nicht aktiver Sohn Saif al-Arab und drei seiner Enkelkinder. (6)
Die internationale Kritik an der NATO wurde daraufhin schärfer. Die Afrikanische Union (AU) forderte die NATO eindringlich auf, Militäreinsätze gegen Mitglieder der libyschen Führung und die „sozioökonomische Infrastruktur“ Libyens zu unterlassen. (7)
Niemand hat, so auch der russische Ministerpräsident Wladimir Putin, gewissen Staaten das Recht erteilt, den libyschen Staatschef Muammar Gaddafi hinzurichten. (8) „Was ist das für eine Flugsperre, wenn jede Nacht Paläste bombardiert werden“, so Putin in einer Pressekonferenz in Kopenhagen weiter. Was bedeute das, „wenn die gesamte sogenannte zivilisierte Gemeinschaft mit ihrer gesamten Macht über ein kleines Land herfällt und seine über Generationen aufgebaute Infrastruktur zerstört“? (9)
Auch andere Sicherheitsratsmitglieder wiesen darauf hin, dass das militärische Vorgehen der NATO in keiner Weise durch die UN-Sicherheitsratsresolution 1973 gedeckt sei. Die völkerrechtlich fragwürdige Resolution, die die Veto-Mächte China und Russland aus opportunistischen Gründen passieren ließen, erlaubt zwar den interessierten Mächten ein militärisches Eingreifen, allerdings nur zur Durchsetzung eines Flugverbotes und zum Schutz der Zivilbevölkerung. Im ersten und damit zentralen Artikel fordert sie einen sofortigen Waffenstillstand und „einen Dialog über die für eine friedliche und dauerhafte Übereinkunft notwendigen Reformen“.
Genau das also, was die Kriegsallianz seither mit allen Mitteln verhindert. Nachdem sie den Vormarsch der Regierungstruppen gestoppt hatten, hätten die selbst ernannten Schutzmächte der libyschen Zivilbevölkerung nach dem Wortlaut der Resolution nun die Rebellen gleichfalls daran hintern müssen, militärisch einzugreifen. Doch wie zu erwarten, missbraucht die Kriegsallianz – gedeckt durch die westlichen Medien – die Resolution als Blankoscheck für einen umfassenden Luftkrieg zur Zerstörung der militärischen Verteidigungskapazitäten und wirtschaftliche Ressourcen Libyens. Von Beginn an versuchte sie, durch Angriffe auf Regierungstruppen den Rebellen den Weg zur Hauptstadt freizubomben.
Militärisches Patt
Obwohl die NATO nach eigenen Angaben schon in den ersten sechs Wochen rund 40 Prozent der militärischen Kapazität Libyens zerstört hatte und die Aufständischen in großem Stil militärische Unterstützung, Geld und Waffen erhielten, kamen sie nicht nennenswert voran. Ungeachtet der häufigen Erfolgsmeldungen über ein Vorrücken der Rebellenmilizen hatte die libysche Regierung nach wie vor die Hauptstadt und über die Hälfte des Landes mit mehr als Dreiviertel der Bevölkerung fest unter ihre Kontrolle. (10)
Wie zuvor in Afghanistan und Irak wurden die eroberungshungrigen imperialistischen Führer Opfer von Größenwahn und Ignoranz. Wieder einmal prophezeiten ihre Geheimdienste – gestützt auf die Informationen einheimischer Kollaborateure – einen schnellen Sieg. So hatte (wie Le Nouvel Observateur im Juli enthüllte) die französische DGSE (Direction Générale de la Sécurité Extérieure) ihrem Premier Sarkozy versichert, dass sich „mit den ersten Luftangriffen Tausende Soldaten von Gaddafi abwenden würden“, die Rebellen rasch bis nach Sirte, der Heimatstadt Gaddafis durchmarschieren und diesen zur Flucht aus dem Land zwingen würden.
„Wir unterschätzen Gaddafi”, gestand nun ein französischer Offizier ein. „Er hat sich seit 41 Jahren auf eine Invasion vorbereitet. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass er sich so schnell anpassen könnte. Niemand erwartete zum Beispiel, dass Gaddafi hingehen und zum Transport seiner Truppen und Raketenwerfer Hunderte Pick-ups in Niger und Mali kaufen würde.“ Es sei ein „Geniestreich“, da die Lastwagen identisch mit denen der Rebellen sind und sie so große Schwierigkeiten hätten, die richtigen Ziele zu identifizieren. Er vergaß dabei zu erwähnen, dass die Taktik, mit unauffälligen, aber auch ungepanzerten Fahrzeugen zu operieren, nur aufgehen kann, weil sich die Regierungstruppen im Westen gefahrlos in den Städten bewegen können.
Das Fell des Bären
Den mangelnden Fortschritt vor Ort versucht die Kriegsallianz, durch umso forscheres Theater auf dem diplomatischen Parkett wettzumachen. Bei einem Treffen der sogenannten Libyen-Kontaktgruppe (LKG) Mitte Juli in Istanbul versicherte sie erneut ihre Entschlossenheit, das Regime in Tripolis zu stürzen, und erkannte den Nationalen Übergangsrat in Bengasi als einzige legitime Vertretung des gesamten Landes an.
„Die Führer der Welt“ seien zu Gesprächen über Libyens Zukunft zusammengekommen, überschrieben führende westliche Medien das Meeting. Tatsächlich besteht das selbst ernannte Gremium nur aus den NATO-Ländern und ihren Verbündeten. Weder Russland noch China oder die übrigen BRICS-Staaten, Brasilien, Indien und Südafrika, hatten Vertreter nach Istanbul gesandt. Das Gremium dient ihrer Ansicht nach nur den Krieg führenden Mächten dazu, allein über die Umsetzung der UN-Resolution 1973 zu bestimmen und den UN-Sicherheitsrat aus der weiteren Debatte über Libyen herauszuhalten. Offensichtlich diente das Istanbuler Treffen auch dazu, allen Vermittlungsbemühungen Dritter, insbesondere der Afrikanischen Union, den Boden zu entziehen.
An der UNO-Institution vorbei bestimmte die „Kontaktgruppe“ den Sondergesandten der UNO, Abdul Elah al-Khatib, zum alleinigen Verhandlungsberechtigten. Nicht Muammar al-Gaddafi habe ein Legitimitätsproblem, sondern die LKG, erklärte treffend der russische Außenminister Sergey Lavrov schon im Mai. „Aus Sicht des internationalen Rechts hat diese Gruppe keinerlei Legitimität.“ (11)
In Zusammenhang mit der Anerkennung des Übergangsrates wurde auch über Maßnahmen beraten, mit denen man den Rebellen einige Milliarden US-Dollar vom eingefrorenen libyschen Auslandsvermögen zukommen lassen könnte. Die Idee, das angegriffene Land selbst an den Kosten des Krieges zu beteiligen, ist natürlich verlockend. Doch solange dies kein UN-Sicherheitsratsbeschluss absegnet, sind die rechtlichen Hürden dafür noch zu hoch. Nun sollen die festgesetzten Gelder nur als Sicherheit für Kredite in Milliardenhöhe dienen. Doch auch so wird das Fell des Bären verteilt, bevor er erlegt wurde.
Dasselbe gilt auch für einen 70-seitigen Arbeitsplan für die Zeit „nach Gaddafi“, den die Aufständischen – der britischen Tageszeitung The Times zufolge – zusammen mit der Kriegsallianz ausgearbeitet haben. Neben detaillierten Vorgaben für die Übernahme von Schlüsselbereichen des Sicherheitssystems, der Telekommunikation, Elektrizität etc. sieht dieser auch die Besetzung der Hauptstadt Tripolis durch 10.000 bis 15.000 Mann starke, von den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgerüstete Einsatzkräfte, die „Tripoli Task-Force“, vor. (12)
Zweifel an Rebellen
Unterdessen wächst auch in der NATO der Zweifel an ihren Verbündeten. Gebeutelt durch innere Kämpfe und unterminiert durch das rücksichtslose und undisziplinierte Verhalten ihrer Milizen scheine der Aufstand gegen Oberst Gaddafi in einen trüben Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Fraktionen und Stämmen überzugehen, schrieb am 13. August die New York Times.
Bereits zu Beginn des Aufstandes hatten sich Berichte über brutale Angriffe von Rebellen auf schwarzafrikanische Fremdarbeiter gehäuft. (13) Als Vorwand für die Übergriffe dient meist der Verweis auf schwarze Söldner in den Reihen der Regierungstruppen. Ein Vorwurf, für den Amnesty International keinerlei Anhaltspunkte fand. (14) Tatsächlich waren Opfer meist einfache Arbeiter und Flüchtlinge. Aktuell sind unter anderem die Bewohner von Tawergha von Gewalt und Vertreibung durch Rebellenmilizen bedroht. Hier, 40 km südlich der unter der Kontrolle von Aufständischen stehenden Hafenstadt Misrata, wohnen, als Erbe des Sklavenhandels im 19. Jahrhundert, überwiegend schwarze Libyer. (15)
Die Gewalt richtet sich aber auch gegen Personen und ganze Stämme, die sich den Aufständischen nicht anschließen wollen. In Bengasi machen, wie der Daily Telegraph berichtete, jugendliche Gangs regelrecht Jagd auf alles, was in ihren Augen nach „pro Gaddafi“ riecht. Leute werden an improvisierten Checkpoints aus den Autos geschleppt und gefoltert, Dutzende ehemalige Angestellte staatlicher Stellen wurden eingesperrt oder getötet. (16) Die New York Times berichtete über eine regelrechte Welle nächtlicher Morde in Bengasi, die wie Hinrichtungen durch Todesschwadronen erscheinen.
Obwohl Bengasi weit von der Front entfernt liegt, hat ein erheblicher Teil der Bevölkerung die Stadt verlassen.
Auch aus anderen von den Rebellen kontrollierten Städten kommen Meldungen über groß angelegte Razzien, Gefangennahmen, Vergewaltigungen und Exekutionen. (17) Mitarbeiter von Human Rights Watch (HRW) wurden Augenzeugen von Plünderungen, Brandstiftungen und Gewalt gegen Zivilisten während einer Offensive der Rebellen im Juni und Juli in den Nafusa-Bergen südlich von Tripolis. (18)
Innere Kämpfe
All das hat dem positiven Bild der Rebellen im Westen keinen Abbruch getan. Dies änderte sich erst, als die Ermordung des Militärchefs der Rebellen, General Abdul Fatah Yunis, schlagartig die innere Zerrissenheit der Aufständischen offenbarte. Yunis wurde am 28. Juli zusammen mit zwei weiteren Offizieren in Bengasi erschossen, nachdem er von einer Abordnung des Übergangsrates festgenommen worden war. Die genauen Umstände sind noch ungeklärt, Familienangehörige von Yunis sowie der Obeidi-Stamm, dem er angehörte, vermuten jedoch Mitglieder der Gegenregierung hinter dem Mordkomplott.
Yunis, der bis Februar libyscher Innenminister war, war insbesondere bei den islamistischen Kräften innerhalb der Opposition verhasst. Wie die New York Times berichtete, sind bereits eine ganze Reihe von zu den Rebellen übergelaufenen ehemaligen Regierungsmitarbeitern unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Die Führer des Obeidi-Stammes, eines des mächtigsten Libyens, drohten mit Gewaltmaßnahmen, sollten die Umstände nicht rasch aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden.
Es kam in der Folge immer wieder zu heftigen Kämpfen zwischen verschiedenen Rebellengruppen und Stammesverbänden, zum Teil wohl auch bei Bemühungen des Übergangsrates, die unzähligen autonom agierenden Milizen endlich unter seine Kontrolle zu bringen. (19)
Ein obskures Gremium ohne Legitimation
Der „Nationale Übergangsrat“ wurde zwei Wochen vor dem Krieg im Zusammenspiel mit den NATO-Mächten geschaffen. Allein aus deren Anerkennung bezieht er bis heute seine Autorität. Das obskure Gremium repräsentiert jedoch – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil der Opposition. Sein Einfluss auf das lokale Geschehen geht kaum über Bengasi hinaus. (20) Die anderen aufständischen Städte haben ihre eigene Führung, und an den verschiedenen Fronten kämpfen Hunderte bewaffnete Gruppierungen mehr oder weniger auf eigene Faust. (21)
Die Rebellen von Brega zum Beispiel, die bisher vergeblich versuchten, die Kontrolle über diese Stadt zu erobern, erkennen seine Autorität nicht an.
Er würde in keiner Weise Brega repräsentieren, so ihr Sprecher Mohammed Musa al-Maghrabi. „Uns erscheint der NTC wie eine ausländische Regierung, voller Nepotismus und Korruption.“ Er sei wesentlich geschickter dabei, sich Legitimation unter europäischen Regierungen zu verschaffen, als in der libyschen Bevölkerung. Die größte Rebellenmiliz, die „Märtyrerbrigade des 17. Februar“, steht in direkter Opposition zum Übergangsrat wie auch zu den diversen anderen Milizen. Schon oft kam es zwischen diesen zu bewaffneten Auseinandersetzungen.
Hinzu kommen massive Konflikte zwischen den lokal verankerten Kräften – insbesondere den islamischen – auf der einen und den liberalen, prowestlichen auf der anderen Seite. Die radikaleren islamischen Organisationen waren ohnehin stets gegen eine Intervention der NATO-Mächte gewesen. Diese Konflikte spitzten sich nach dem Mord an Yunis weiter zu. Anfang August sah sich der Übergangsrat schließlich gezwungen, seinen als Gegenregierung fungierenden, nur aus ehemaligen Regierungsmitgliedern und Exil-Libyern bestehenden Exekutivrat aufzulösen. Nur sein Chef, Mahmoud Dschibril, blieb im Amt.
Mit der Absetzung ihrer engsten Vertrauten droht den westlichen Mächten möglicherweise die Kontrolle über das Geschehen zu entgleiten. Die internen Machtkämpfe könnten die Unterstützung der NATO-Staaten für die Rebellen untergraben, die im September über eine Verlängerung entscheiden müssen, warnte daher die New York Times. Sie würden auch noch einmal genauer überlegen, ob sie tatsächlich größere Summen auf das Konto des Übergangsrates überweisen sollten. Die Kritik an den Aufständischen in westlichen Medien nahm seither deutlich zu.
Libyer vereint gegen NATO
Die NATO-Kommandeure hegten die Hoffnung auf eine glückliche Bombe, die Oberst Gaddafi „aus dem Spiel“ nimmt, setzten auf eine „Palastrevolution“ bisher Getreuer oder einen Aufstand in der Hauptstadt – beides aus der Einsicht der möglichen Akteure heraus, nur so die NATO-Angriffe stoppen zu können. Doch das Gegenteil trat ein: Unter den NATO-Bomben schienen sich immer mehr Libyer – unabhängig davon, wie sie zuvor zur Regierung und dem Revolutionsführer standen – hinter diese zu stellen. Im Vertrauen darauf wurden bereits große Mengen an AK-47-Gewehren an zivile Verteidigungskomitees verteilt.
Woche für Woche demonstrieren Hunderttausende in der Hauptstadt und zahlreichen anderen Städten gegen die NATO und für das Regime. Die bisher größte Kundgebung sahen irritierte westliche Reporter am 1. Juli in Tripolis. Die Schätzung der Teilnehmerzahl ging hier bis zu einer Million. (22) Von den westlichen Medien brachte nur der US-Sender CNN Bilder, die das Ausmaß der Demonstrationen zeigten. „Dies ist eine Massendemonstration zur Unterstützung Gaddafis“, meldete am 18. Juli ein aufgeregter CNN-Reporter aus der einst von Rebellen gehaltenen Hafenstadt Sawija. Gaddafis Rede würde die Massen geradezu elektrisieren. Die Demonstration war eine deutliche Antwort auf das gleichzeitig stattfindende Treffen der sogenannten Libyen-Kontaktgruppe in Istanbul, bei dem der Nationale Übergangsrat als alleinige Vertretung Libyens anerkannt wurde. (23)
Die NATO reagierte auf ihre Weise. Den Großdemonstrationen am Tage folgen oft verstärkte flächendeckende Bombardierungen der Städte in der Nacht. Der apostolische Vikar von Tripolis Giovanni Martinelli berichtete zudem von Bombenabwürfen in unmittelbarer Nähe von Massenkundgebungen, mit denen die Demonstranten offensichtlich von einer weiteren Teilnahme abgeschreckt werden sollten. (24)
Die Zahl der Libyer, die in den Diensten des Staates stehen oder anderweitig vom Regime profitieren würden, sei recht groß, versuchten die westlichen Medien die Pro-Gaddafi- und Anti-NATO-Demonstrationen, die die gesamte NATO-Propaganda vom Kampf „des gesamten Volkes gegen die Diktatur“ auf den Kopf stellte, ein wenig zu erklären.
Die Erklärung ist nicht ganz falsch. Im Grunde profitieren alle Libyer von einem Staat, der ihnen bisher mit freier Gesundheitsversorgung und Bildung, ausreichenden Altersrenten, subventionierten Wohnungen etc. den höchsten Lebensstandard in der Region garantierte. Vor allem Frauen profitieren von einem System, das ihnen – im Unterschied zu den meisten anderen arabischen Ländern – dieselben Rechte wie Männern zugesteht. „Feministinnen zählen zu Gaddafis größten Fans“, musste denn auch Associated Press feststellen.
„Er gab uns vollständige Freiheit, um als Frau zur Polizei gehen oder als Ingenieurin, Pilotin, Richterin oder Anwältin arbeiten zu können“, erklärte eine junge Polizistin ihre Loyalität. 27 Prozent der Arbeitsplätze des Landes werden von Frauen besetzt – wenig im internationalen Vergleich, aber sehr viel für die arabische Welt. (25) Für sie steht viel auf dem Spiel, denn auf der Agenda der Mehrheit der Rebellen im konservativ-religiösen Osten steht die Wiedereinführung der Scharia, das heißt des traditionellen islamischen Rechts.
NATO-Allianz bröckelt
Die Kriegsallianz begann angesichts der immer aussichtsloseren Situation zu bröckeln. Norwegen hat sich bereits zurückgezogen, der italienische Staatschef Berlusconi bezeichnete angesichts des Ansturms Tausender Flüchtlinge und der massiven wirtschaftlichen Einbußen bei den italienischen Libyengeschäften den Krieg insgesamt als Fehler. Ein Ausscheren Italiens würde den Rest der Kriegsallianz vor erhebliche Probleme stellen.
Auch der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet gab in einem Interview im französischen Fernsehen zu, dass die Militäraktion gegen Libyen gescheitert sei und nun die Diplomatie ans Werk müsse. „Wir müssen uns nun an einen Tisch setzen. Wir werden die Bombardierungen stoppen, sobald die Libyer beginnen, miteinander zu reden, und das Militär beider Seiten sich in seine Basen zurückzieht.“
Er rückte dabei auch vom bisher wichtigsten Kriegsziel der Allianz, Gaddafi zu stürzen, ab und meinte, dieser könne im Land bleiben „in einem anderen Raum des Palastes, mit einem anderen Titel.“ London und Washington zogen wenig später nach und begannen mit der Suche nach einer für sie und ihre Verbündeten noch akzeptablen Verhandlungslösung.
Diese war und ist nicht in Sicht. Einen echten Kompromiss, der die tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Land berücksichtigt, hat die NATO nicht im Sinn. Auch für die Aufständischen sind ein Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung, die Gaddafi zum guten Teil an der Macht ließe, wenig attraktiv. In den von ihnen tatsächlich „kontrollierten Gebieten“ lebt nur ein Viertel der Bevölkerung. Unabhängig davon, welche institutionellen Änderungen vereinbart werden, könnten sie aufgrund ihres schwächeren Rückhaltes in der Bevölkerung ihre Position kaum lange halten. Aus diesem Grund beharrte der Übergangsrat trotz des westlichen Drängens auf dem Abgang Gaddafis und seiner Getreuen als Vorbedingung für Verhandlungen.
Unterdessen hatte die libysche Regierung, die lange Zeit einen Waffenstillstand und Verhandlungen ohne Vorbedingungen angebot, erklärt, dass es keine Gespräche geben würde, bevor nicht die Luftangriffe eingestellt wurden. Sie forderte zudem die Freigabe ihrer eingefrorenen Auslandsguthaben. (26)
Zu der Zersplitterung der Aufständischen kommt offenbar zunehmend Widerstand in den von ihnen kontrollierten Gebieten selbst. Wie die israelische Zeitung Ha’aretz berichtete, drängen die Oberhäupter der örtlichen Stämme in der Gegend der umkämpften Stadt Misrata die dortigen Aufständischen, ihre Waffen niederzulegen. Sie drohen, andernfalls aufseiten der Regierung einzugreifen. (27)
Zunehmend komme Frustration und Angst vor einem lang andauernden Krieg zum Vorschein, berichtete dpa aus der zwischen Bengasi und Tobruk gelegenen Küstenstadt Derna. Die meisten Leute sind ohne Arbeit, die Schulen sind geschlossen und die Lebensmittelpreise steigen rapide. Es gebe schon einzelne Widerstandsnester gegen die Aufständischen, die bei Nacht aktiv werden. Sollte der Krieg noch länger dauern, könnten sich immer mehr Bürger der Stadt diesen anschließen. (28)
Der Unmut über den rücksichtslosen Bombenkrieg der USA und der alten Kolonialmächte dürfte auch in den Reihen der Aufständischen zugenommen haben. Viele Libyer haben den US-geführten Krieg gegen Irak nicht vergessen und haben daher wenig Vertrauen in die Kriegsallianz. Dies gilt nicht zuletzt auch für den starken islamistischen Flügel der Opposition. Die Bemerkung des politisch aktivsten Sohnes Gaddafis, Saif al-Islam, gegenüber der New York Times, es gebe Verhandlungen mit deren Führern ist daher nicht unplausibel. Die Islamisten könnten durchaus feststellen, dass ihr größerer Feind die NATO und deren wirtschaftsliberale Verbündete sind.
Eine Wende könnte das Eingreifen der Führung der libyschen Stämme in das Geschehen bringen, die in Libyen eine große Rolle spielen. Bereits im Mai hatten 2000 Scheichs und Stammesälteste den NATO-Krieg und die Libyer, die ihn unterstützen, verurteilt, jedoch allen Rebellen, die den Kampf aufgeben, Versöhnung angeboten. (29) In einer Serie von Treffen im Land und in den Nachbarländern hatte sich die Mehrheit, wie es scheint, auf Maßnahmen zur Beendigung des Bürgerkrieges und der NATO-Intervention geeinigt. Ende Juli verabschiedete der Oberste Stammesrat Libyens schließlich eine „Proklamation der libyschen Stämme“.
Das von einer großen Zahl von Stammesführern unterzeichnete Manifest verurteilt „die Kreuzfahrer-Aggression gegen die Große Dschamahirija durch die NATO und rückschrittliche arabische Kräfte“, die eine große Bedrohung für libysche Zivilisten darstelle, die fortgesetzt durch NATO-Bomben getötet werden. Die Notabeln erklärten darin zudem ihre „völlige Ablehnung des sogenannten Übergangsrates in Bengasi, der von Stammesvertretern weder nominiert noch gewählt, sondern von der NATO eingesetzt wurde“. Sie werden keine andere Autorität als die des Volkskongresses und der Volkskomitees akzeptieren.
Die libyschen Stämme hätten sich bisher noch nicht vollständig auf ein Zurückschlagen der NATO-Aggression einigen können, so ein Vertreter beim Stammesrat. Nun würden sie aber die NATO wissen lassen, dass sie von nun an nicht ruhen werden, bis sie das Land verlassen haben und sichergestellt sei, dass sie nie mehr zurückkommen. (30)
Solange die Kampfjets der NATO in kurzer Zeit überall zuschlagen können, wo sich Regierungstruppen formieren, ist an eine Rückeroberung der weit entfernten Städte im Osten durch reguläre Truppen nicht zu denken. Sollte sich jedoch tatsächlich eine Mehrheit der Stämme unmittelbar gegen die Aufständischen wenden, könnte sich das Blatt rasch wenden.
Quelle dieses Artikels: http://www.hintergrund.de/201108241695/politik/welt/krieg-gegen-libyen.html