International werden in den neuen Regierungschef des Iran, Hassan Rohani, eine Menge Hoffnungen gesetzt, so heisst es in den europäischen Gazetten. Der moderate und konziliante Politiker könne möglicherweise dafür sorgen, dass die Spannungen zwischen Iran und USA verschwinden und sich der Konflikt um das Atomprogramm des Landes lösen lässt. Hübsche Hoffnungen, doch worauf begründet? Der militärische Feldzug gegen Iran ist seit langem beschlossen und braucht nur noch ein Datum.
Besonders junge Leute und die Frauen im Iran setzen grosse Hoffnungen auf Hassan Rohani. Der hatte in seiner Wahlkampagne über Frauenrechte referiert und angekündigt, ein entsprechendes Ministerium schaffen zu wollen. Er kritisierte die Zensur im Internet und die Geschlechtertrennung, forderte, die Regierung solle sich nicht in das Privatleben ihrer Bürger einmischen: “Ich versichere euch, dass die Ideale der islamischen Republik nicht beinhalten, Freude und Jubel zu unterdrücken.”
Rohani, 1948 geboren, hat in Teheran Rechtswissenschaften studiert und 1999 einen Doktortitel an der Universität Glasgow erworben. Er kennte deshalb westliche Gepflogenheiten und Denkmuster besser als die meisten anderen Kleriker, obendrein spricht er fliessend Englisch, tritt freundlich und konziliant auf. Man kann ihm die abnehmen, dass er auf mehr bürgerliche Freiheiten setzen wird und den Frauenrechten Vorschub leisten wird.
Auch im Streit um das iranische Atomprogramm kann es rein theoretisch gut sein, dass mit Rohani Vereinbarungen zu erzielen sind, wenn man denn will. Das hat er schon vor Jahren bewiesen. An einem Sonntag im April 2005 trafen sich zwei Diplomaten in einer Berliner Pizzeria. Sie diskutierten zweieinhalb Stunden lang. Dann hatten sie einen Kompromiss gefunden, mit dem sie die Verhandlungen zwischen Iran und den sogenannten EU-3 – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – vor dem Scheitern retten wollten. Der Deutsche am Tisch hieß Michael Schaefer, er war politischer Direktor im Auswärtigen Amt, der wichtigste Mann nach Joschka Fischer. Der Iraner hieß Hossein Mussavian, er war die rechte Hand des iranischen Chefunterhändlers und heutigen Regierungschefs Hassan Rohani.
Frauenrechte, Brunnen und Grundschulen waren noch nie Kriegsgründe.
Der Kern Kompromisses lautete: Iran sollte Uran anreichern dürfen – mit wenigen Zentrifugen, nur für Forschungszwecke. Im Gegenzug würde es für lange Zeit keine industrielle Anreicherung betreiben und sich Brennelemente für Kraftwerke auf dem Weltmarkt beschaffen. Ein typischer Kompromiss, bei dem keiner alles bekommt, aber jeder sein wichtigstes Interesse durchsetzen kann. Für Schaefer war das die Garantie, dass Iran kein Atomprogramm betreiben würde. Für Mussavian war es die Bekräftigung des Rechts auf die zivile Nutzung von Atomenergie.
Nur einen Haken hatte der Kompromiss: Er war ein Tabubruch. Nie zuvor hatte der Westen Iran die tatsächliche Anreicherung zugestanden – die Atomverhandlungen hatten mit dem Ziel begonnen, dass das Land komplett auf seine Anreicherungsanlage in Natans, die 2002 aufgeflogen war, verzichtet. Schaefer und Mussavian wussten, dass sie ihre Unterhändler in Paris, Berlin und am Ende auch in Washington für ihren Vorschlag gewinnen mussten. Mussavian versicherte sich der Unterstützung seines Chefs Rohani, bevor er nach Paris flog. Dort erfuhr er: Frankreich würde mitmachen, wenn London mitmacht. In London redete Mussavian zwei Stunden mit John Sawers, dem politischen Direktor im Außenministerium. Sawers blieb hart: Amerika, argumentierte er, werde nicht eine einzige Zentrifuge in Iran erlauben – und Großbritannien stehe fest an der Seite seines Verbündeten.
Damit war der schöne Kompromiss aus der Berliner Pizzeria schon nach zwei Tagen Makulatur. Ein paar Wochen später wurde Mahmud Ahmadineschad zum iranischen Präsidenten gewählt, danach war die Kompromisssuche beendet. Iran trieb sein Atomprogramm voran, der Westen die Sanktionen dagegen. Heute ist die Situation komplett festgefahren. Insbesondere die USA, die als einzige bisher Kernwaffen im Krieg eingesetzt haben und unter George Bush planten, “eventuell auch Mini-Nukes im Irak benutzen” zu wollen, denken gar nicht daran, dem Iran auch nur irgendein Atomprogramm zugestehen zu wollen.
Sie wissen genau warum: Der Krieg gegen Iran ist seit langem beschlossene Sache, braucht nur noch ein Datum. Das weiss man in Washington, in Berlin, in Paris, in London und natürlich auch in Teheran. Bei Kriegen ging es noch nie um Frauenrechte, Brunnen und Grundschulen, wie der Kabarettist Hagen Rether im Bezug auf Afghanistan so treffend bemerkte. Es geht immer um Macht und Einfluss, heute meist vorrangig um die Ressourcen dieses Planeten. Abgesehen von “Einfluss in der Region” ist also dies der wichtigste und entscheidende Kriegsgrund:
Die Länder mit den grössten Ölreserven des Planeten (Quelle)
1. Saudi Arabien
2. Venezuela
3. Kanada
4. Iran
5. Irak
Die Frage, ob jedes Land das Recht hat, Nuklearenergie für zivile Zwecke nutzen zu dürfen, stellt sich also erst gar nicht. Versetzt man sich in den iranischen Regierungschef, muss die Überlegung in etwa so lauten: Wenn es doch sowieso unausweichlich klar ist, dass der Angriff auf unser Land wegen der Ölreserven erfolgen muss und erfolgen wird, gibt es nur eine einzige Möglichkeit, dem auszuweichen – den Besitz der Atombombe. Denn nichts anderes wird Washington und seine Vasallen bewiesenermassen zurückhalten können, sich die Ölreserven unter den Nagel zu reissen. Irak ist bereits erledigt. Iran eine reine Frage des Datums.
Zurück zum Anfang: Der Westen setzt also erhebliche Hoffnungen in den neuen moderaten und konzilianten iranischen Regierungschef bezüglich des Atomprogramms? Mit welchem Recht? Hassan Rohani mag sogar wirklich die Figur sein, mit der man über solche Dinge in Ruhe reden kann. Doch auch ein moderater und konzilianter Hauptverantwortlicher für die Politik des Irans weiss genau, dass alles andere als der Besitz der Atombombe die perfekte Einladung für den unausweichlichen Überfall auf das Land darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt, und immer aus iranischer Sicht der Dinge, wären “moderat und konziliant” wohl genau die falsche Verhandlungschiene, wenn es um das Atomprogramm geht.