Da werden hochrationelle Diskurse verspritzt, wie die Organspende zu regeln sei: effektiv, zweckdienlich, wirtschaftlich. Dass sich jedermann bejahend zur posthumen Entnahme etwaiger seiner Organe äußern sollte: das sehen Ärzte und Ethikrat, sehen ebenso die laienhaften Befürworter der Organspende, für äußerst beschwerlich an. Gleichsam bürokratisch erschwere man hier eine ökonomisch straffer geführte Transplantationsabwicklung - Menschen müssten bloß sterben, weil sich Verstorbene vormals zu Lebzeiten nicht die Mühe machten, für das Ausweiden ihres Leibes zu votieren, weil sie keine Schürfrechte an der zurückgeblieben Hülle verliehen. Dabei sind die Psychotricks, mit denen Hinterbliebene auf Spendenkurs gebracht werden sollen, nur Dilettantismus - fachmännisch verschmitzter gehen es solche an, die auf eine Gesetzesänderung hinwirken. Entweder sollte es für jeden Bundesbürger verpflichtend werden, Ja oder Nein anzukreuzen - oder aber, jeder ist Organspender post natum, bis er diesem Status widerspricht.
Ethisches Dilemma
Die Diskussionen werden in der trockenen Metaphorik von Weltverbesserern vorgetragen. Weil sie glauben, mit ihren Absichten die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist am Ob gar nicht mehr zu rütteln. Nur das Wie wird debattiert. Die Pläne sind ja immerhin so rein, so gut, dass eine Grundsatzdiskussion gar nicht mehr angebracht wird. Dabei ist natürlich klar, dass Transplantationen Leben retten können. Muß aber deshalb die Praxis so protransplantatorisch umgeformt werden, dass aus den Menschen eine Art apriorisches Rohstofflager wird? Organisches Humankapital? Wo bleibt eigentlich die Ethik? Sicher, der Ethikrat empfindet es als hochgradig ethisch, wenn er empfiehlt, aus Gründen höherer Organbestände und damit verbundener Lebensrettungen durch Transplantationen, die Beschaffung von notwendigen Zellen und Gewebe zu vereinfachen. Das dient den Patienten und ist demzufolge zweifelsfrei gut. Aber ist es ethisch, den menschlichen Körper des Individuums im Sinne der "Volksgesundheit" zu einem Gegenstand ernennen zu wollen, auf den in gewisser Weise die Allgemeinheit Anspruch hat? Ist es gut und richtig, dass der Mensch a priori posthumes Abbaugebiet ist, es sei denn, er äußert sich zu Lebzeiten gegenteilig ?
Aktivistische Gesinnungsterroristen
Denn wahr ist auch, dass man durchaus aneckt, wenn man sich nicht rundweg solidarisch mit Occupy the Organs! erklärt. Wie ein Verbrechen am Nächsten wird es manchmal aufgefasst, wenn man seinen toten Körper nicht ausgeplündert wissen möchte. Man sei doch dann tot, brauche den körperlichen Talmi nicht mehr, sei doch entweder gar nicht mehr oder als seelisches Wölkchen, entweder im Raum oder nirgendwo, entweder im ewigen Seelenleben oder als Nichts im Nichts - je nach Konfession und Weltanschauung macht man die Organentnahme schmackhaft. Warum über den Tod hinaus am Körper festhalten?, fragt man dann. Spende doch; tu' Gutes auch noch, wenn du nicht mehr bist!, rät man dann. Weigert man sich, weil man beispielsweise ein schlechtes Gefühl dabei hat, sich als ausgeschlachteten Kadaver vor dem geistigen Auge zu sehen, schimpft man das gerne als Egoismus. Zu viel Anhänglichkeit an den eigenen Körper, gilt als verantwortungslos in einer Gesellschaft, die nur an lebendigen Körpern hängt; die Körperlichkeit als eine ökonomische Frage zwischen Kosten und Nutzen begreift.
Sich selbst ausreichend Würde schenken, als kompletter Torso seiner eigenen Beerdigung beiwohnen zu wollen, begreift man gesinnungsaktivistisch, gesinnungsterroristisch, wie man zuweilen ist, als Anschlag auf die allgemeine Medizin und auf den Anspruch der Allgemeinheit, möglichst lange und gesund leben zu wollen. Dass der verstorbene Körper einen selbst gehört, das will man als Anachronismus verstehen - in einer Zeit, da die Wissenschaft Leben rettet, sollte wohl auch die verstorbene körperliche Materie an die Allgemeinheit zurückgehen. Umkehrung der Eigentumswerte - eine Art organischer Kommunismus. Ein kommunistischer Körper! Was in der Wirtschaft bis aufs Blut verteidigt wird, soll bei Individualrechten nicht mehr sein dürfen. Diese ganz besondere Erbschaftssteuer kommt allen zugute - das könnte man daher ruhig gegen Ethik und Anstand als Gesetz verabschieden. So in etwa die Denkart. Man hüte sich vor denen, die es besonders gut meinen, denn ihr Handeln ist absolutistisch und jede Kritik ist damit ein Einwurf aus dem Reich des Bösen, daher rückständisch, dumm und gefährlich.
Organspende ausschließlich gut?
In Debatten zu der Erhebungspraxis ausbeutbarer Körpernachlässe sind sich alle einig, dass Organspende eine richtige Sache sei. Es wirkt fast so, als treffen in diesbezüglichen Talkrunden noch am Leben befindliche Organvorratslager aufeinander, die nur über die Organisation der Bevorratung disputierten, nicht aber über den Sinn der Lagerhaltung überhaupt. Totalverweigerung kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Einem derart ethischem Unterfangen, darf man sich doch nicht verweigern. Man kann über das Wie und die Modalitäten quatschen - aber die einzige akzeptable Wahrheit ist: der tote Körper hat eine Funktion, die er verdammt nochmal auch erfüllen soll. Deutlicher: der Körperhalter hat seiner Verantwortung vor der Gesellschaft nachzukommen. Organspende ist schließlich gut - und weil dem so ist, muß man mitmachen.
Nun kann man zur Organspende stehen wie man will. Vermutlich ist sie so schlecht wie sie gut ist. Vor- und Nachteile, Pro und Contra: Abwägen letztlich, wie alles hienieden abwägbar ist. Organspende hat die ars moriendi, den Umgang mit dem Tod, einmal mehr aus unserem Alltagsleben gelöst. Siechtum wird an die Peripherie unserer Gesellschaft verfrachtet. Insofern haben religiöse Kritiker der modernen Medizin durchaus recht, denn der Sterbende wird heute nicht mehr als zum Leben zugehörig empfunden, sondern als austherapierter Sonderfall, dem man möglichst wenig begegnen möchte. Aber natürlich kann man nicht sagen, dass Organspende daher per se verwerflich ist. Sie nutzt ja offensichtlich Menschen, spendet ihnen nochmals Lebenszeit - das ist nicht zu verachten, denn das wäre letztlich tatsächlich unmoralisch. Gleichwohl ist der Betrieb um die Organspende aber als eine ausschließlich persönliche Entscheidung zu sehen. Für den Spender wie für den Empfänger auch. Es gibt genug Menschen, die ein neues Organ nicht wollen - und es gibt Menschen, die sich aus vielerlei Gründen nicht posthum zerpflücken lassen möchten.
Die krude Theorie der Befürworter ist ungültig
Selbst wenn es keine Gründe gibt, mit der man die Ablehnung rechtfertigen könnte, so hebt dies das Monopol am eigenen Körper doch nicht auf. Diese Entscheidung ist unangreifbar - sie darf auch nicht als Entscheidung dagegen verstanden werden. Erstens sollte der Mensch a priori Nichtspender sein, bis er sich anders äußert, womit man sich schon mal nicht explizit dagegen aussprechen muß. Und zweitens ist selbst eine bewusste Entscheidung gegen die Organentnahme nach dem Ableben keine Entscheidung gegen die Lebensansprüche eines anderen Menschen, der ein solches Organ benötigte. Anders gesagt: wenn ich mich weigere, mein Herz nach dem Tod zur Verfügung zu stellen, dann verweigere ich einem Herzpatienten damit nicht sein Weiterleben, ich entscheide mich lediglich für die Vollständigkeit meiner sterblichen Überreste, meines Körpers letzthin. Darüber frei zu verfügen, das ist nicht Verweigerung, es ist vielmehr posthume Körperbejahung und auch im Tode legitim. So gesehen die Allumfassenheit von Körper und Geist, die selbst nach dem Ableben erhalten bleiben kann und darf.
Die krude Theorie der Befürworter eines generellen Organspendengebotes enteignen den Körper - den toten Körper, um ehrlich und genau zu sein. Das mindert den Raub jedoch nicht. Sie rauben die Ansprüche desjenigen, der sein Leben mit diesem Körper verbrachte und überstellen ihn den Allgemeinheit. Dagegen gilt es sich entschieden zu wehren. Solche Absichten sind die geistige Vorstufe derer, die in den Favelas junge Kinder rauben und ausschlachten, um in den reichen Industrienationen deren Innereien zu verscherbeln. Im Angesicht dieses Leides, das manchem Kind in Südamerika widerfährt, wäre die Organspende generell zu überdenken - auch das wäre ein Ansatz für einen Rat, der sich Ethikrat nennen möchte. Aber hier wagt sich niemand ran...