Die Diskussion, ob die rechte Moral aus dem Erwachen erfolgt oder die Einhaltung der Regeln (sila) eine Voraussetzung fürs Erwachen ist, möchte ich hier nicht führen. Ein kleiner, aber feiner Unterschied in den Versionen des Mahaparinirvanasutras deutet jedoch an, wie sich die Bedeutung der Regeln verschieben lässt. In der Fassung von Faxian (Taishō 376, 12 Nr. 853-899) heißt es:
"Man sollte den Verhaltenskodex aufrechterhalten, ohne zwischen leichten und schweren Vergehen zu unterscheiden, um des buddha-dhâtu ('Buddha-Natur') wilen. Würde jemand behaupten, die neun Kategorien von Schriften sagten nicht, dass alle Wesen buddha-dhâtu haben, ... dann würde er diese Schriften schlechtmachen."
In der Fassung von Dharmakshema (Taishō 374, 12 Nr. 365c-603c) heißt es freilich:
"Wenn jemand den Verhaltenskodex nicht aufrechterhält, wie wird er dann buddha-dhâtu verwirklichen? Auch wenn alle Wesen buddha-dhâtu haben, ist es notwendig, zunächst den Verhaltenskodex aufrecht zu erhalten, um später den buddha-dhâtu zu erlangen. Als Folge davon wird man die höchste Erleuchtung erlangen."
Mit einer leichten Bedeutungsverschiebung wird in der zweiten Version, wenn auch zunächst durch eine (rhetorische) Frage eingeleitet, eine Art Stufenweg nahegelegt. Hier sollte man m. E. besonders skeptisch sein.