Umso befremdlicher erscheint es da, dass sich Stefan Raabs und Thomas Ds Kandidaten ausgerechnet in diesen, für den ESC musikalisch irrelevanten Disziplinen austoben.
Thomas D macht sich über Nena lustig
Katja sang die selbstgeschriebene Songwriter-Popnummer Certain Someone. Weil Thomas D ihren Auftritt nicht als nett, «die kleine Schwester von scheiße», bezeichnen mochte, flüchtete er sich in die Attribute «sweet» und «professionell». Und da er gerade kratzbürstig war, schob er noch eine Spitze gegen The Voice of Germany nach, indem er Nenas Standardlob nachäffte: «Das ist so toll, dass die Kandidaten hier eigene Songs singen können. Wo gibt’s denn sowas sonst?!»
Der Adrenalinlevel des Publikums sackte noch weiter ab, als Ornella im Anschluss Steve Wonders Bossa Nova You Are The Sunshine Of My Life zum besten gab: Easy-listening-Gewölk zum Einnicken. Stefan Raab erfand daraufhin eigens das Wort «galaesk», womit er durch die Blume sagen wollte, der Auftritt sei lahm, aber fehlerlos gewesen.
Céline rang danach Rihannas Russian Roulette förmlich nieder, ein anspruchsvolles Lied, das keine Fehler verzeiht. Céline sang leider einen Ton im Refrain konsequent schief. Schade, hatte sie doch den Hinweis der Jury von vergangener Woche, sie solle «dreckiger» werden, beherzt umgesetzt. Glich ihr Erscheinen vormals Tennistalenten in den 1980er Jahren, hatte sie sich nun aufgebrezelt, als wollte sie sich nach der Show direkt ins Nachtleben stürzen.
Shelly «wie ein wildes Tier»
Als vierte betrat Shelly die Bühne, die wie kein anderer Kandidat bei Unser Star für Baku all jene Talente verkörpert, die in Baku keine Rolle spielen werden. Shelly singt nicht einfach Soul-Titel, sie zerstört sie und setzt sie neu zusammen. Das macht sie wunderbar, so auch mit Macy Grays I Try. Alina Süggeler lobte sie als «Gesamtkunstwerk» und, dass sie auf der Bühne wirke «wie ein wildes Tier, das an seinem Zaun entlang streift». Nur braucht es für den ESC eben kein Zoo-, sondern eher ein Zirkustier.
Neben Shelly hatten sich in den vergangenen Wochen zwei Kandidaten deutlich vom Feld abgesetzt: Yana und Roman. Auch diesmal lag ein Unterschied von einer halben Klasse zu ihren Verfolgern. Yana sang die zweite Rihanna-Nummer des Abends, traf anders als Céline aber nicht nur jeden Ton, sondern machte den etwas monotonen Dancefloor-Stampfer ganz zu ihrem Lied.
Nach Yanas Auftritt waren alle wach
Was ebenfalls für Yana spricht: Sie verfügt über das eindrucksvollste Stimmvolumen aller Teilnehmer und wählt als einzige stets zielsicher Titel mit mehr Tempo. Ihr We Found Love war nicht gerade das komplizierteste Stück der Sechs – aber danach waren Publikum und Jury in jedem Fall wieder wach.
Als letzter ran musste wie immer Roman. Er hatte sich den formidablen Titel der – natürlich amerikanischen – Crossover-Rocker Incubus, Drive, ausgesucht. Als wollte ihn, den einsamen Spitzenreiter aller Umfragen, der Sender diesmal richtig herausfordern, streikte in den ersten Takten sein Mikrofon. Roman tat das einzig richtige und sang unbeirrt weiter, bis die Technik wieder funktionierte. Raab, Süggeler und D lobten daraufhin atemlos seine Professionalität. Davon abgesehen schmiegt sich auch keines der Baku-Talente so schön in die Kurven und Schwünge seiner Songs wie Roman.
Ein schiefer Ton bringt die Entscheidung
Dann wurde abgestimmt und zwar durchaus nachvollziehbar. Roman, Shelly und Yana kamen mit jeweils über 20 Prozent der Anrufe auf die ersten Plätze, die Übrigen lagen mit je um die elf Prozent ebenfalls nah beieinander. Den Ausschlag gaben Célines schiefe Töne im Refrain. Sie wird nicht Unser Star für Baku.
Zwei Fragen bleiben offen. Erstens, wann müssen sich die Kandidaten endlich an Titeln aus für den ESC relevanten Genres versuchen? Und zweitens: Wieso geht bei Deutschland sucht den Superstar eigentlich nie das Mikro kaputt?
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«Unser Star für Baku» – Der kleine, schiefe Unterschied