Der Kerzenständer auf dem Meeresgrund

Wie dieser Kerzenständer auf den Meeresgrund kam, weiß ich auch nicht. Vielleicht stammt er von einem versunkenen Piratenschiff, aber vielleicht ist er auch nur von einem Fischerboot ins Wasser gefallen, als nachts die Netze ausgeworfen wurden. Er war einfach auf dem Meeresboden, zwischen Korallen und Algen, und bunte Fische schwammen seit Jahren an ihm vorbei und der Kerzenständer war wie in einem Schlaf.

Plötzlich aber wachte er auf. Er schüttelte sich, damit die Algen abfielen, reckte sich und sagte blubbernd: „Wo bin ich den da hingeraten, das sieht ja aus wie eine bunte Landschaft!“ Ein netter Tintenfisch, der gerade in der Nähe wohnte, sagte: „He, bist Du aufgewacht, hübscher Kerl, Du bist schon lange bei uns, und hast nichts gesagt – wie heißt Du denn?“ „Ich heiße Keschtä und bin ein Kerzenschtänder.“ „Was ist denn das, ein Kerzenschtänder?“ „Ich eben.“ „Ja schon, aber  wozu bist du gut?“ „Ich trage das Licht.“ „Ja und wo ist denn Dein Licht?“ Jetzt war der Kerzenständer lange still und dachte nach. Dann sagte er zögernd: „Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht mehr. Vielleicht habe ich das Licht verloren.“ Der Tintenfisch dachte auch nach. Dann schlug er teilnahmsvoll vor: „Soll ich Dir ein bisschen Tinte geben, dann kannst Du Deinem Licht einen Brief schreiben?“ „Ich habe aber seine Adresse nicht … und ich weiß nicht, ob die Kerze hier auf dem Meeresgrund brennen würde.“

Den Tintenfisch beschäftigte das sehr, und so berief er eine Versammlung aller Fische ein, um ein dringendes Problem zu besprechen. Am nächsten Sonntag waren alle da: Seerochen und Delphine, Quallen und Seepferdchen, Walfische und ganze Schwärme bunt schillernder Meeresfische. Und der Tintenfisch sagte mit lauter Stimme: “Liebe Fischinnen und Fischherren. Seit vielen Jahren ist bei uns dieses Objekt, und das ist nun aufgewacht. Es ist Keschtä, von Beruf Lichtträger. Aber es hat kein Licht und vielleicht finden wir eine Möglichkeit, ihm zu helfen.“ Es begann nun eine lange Diskussion, und niemand wusste so recht, von wo man das Licht hernehmen könnte. Bis ein kleiner Fisch erklärte: „Vor langer Zeit habe ich bei einer Insel gesehen, dass die Leute Lichtchen vor den Häusern hatten, da könnten wir doch fragen, ob wir eines bekommen?“ Alle Fische waren Feuer und Flamme und sie beauftragten den Seehecht, einen mutigen schlanken Burschen, so ein Licht für Keschtä zu holen. Der Seehecht war ein schneller Schwimmer, und er flitzte die ganze Nacht durch und war am nächsten Morgen schon am Sandstrand jener Insel. Dort saß ein alter Fischer am Ufer und putzte sein Fischernetz.

„He Mann,” rief der Hecht, und guckte aus dem Wasser. Erstaunt kam der Mann zu ihm und trat sogar einige Schritte ins Wasser. „He Mann, wir Fische haben ein Problem. Bei uns wohnt Keschtä, von Beruf Lichtträger, und der hat keine Kerze. Hast du uns bitte eine?“ Der alte Mann guckte ihn freundlich an, und sagte: „Lieber Seehecht, ich kann dir gerne eine Kerze schenken, aber die brennt nicht unter dem Wasser.“

Dem Seehecht war die Enttäuschung anzusehen. Was tun?

Aber der Mann hatte eine Idee: „Ich kenne eine Insel, nicht weit von hier. Dort gehen die Leute rückwärts, der Rauch zieht bei den Häusern in den Kamin hinein und die Kokosnüsse fallen auf die Palmen hoch. Kurzum, dort ist alles umgekehrt. Dort gibt es Kerzen, die heißen Nezrek: wenn man sie anpustet, dann beginnen sie zu brennen. Dann werden sie immer größer und wenn man ein Streichholz daran hält, löschen sie aus.“ Jetzt war der Seehecht nicht mehr zu halten. Er bedankte sich und flitzte davon.

Nicht lange, und er war bei der beschriebenen Insel. Die Fischer waren gerade daran, Fische, die sie auf dem Markt gekauft hatten, mit Hilfe der Netze ins Meer zu werfen. Der Hecht musste bei ihnen nicht lange betteln – die Fischer schenkten ihm lachend eine ihrer wunderlichen Kerzen. Er nahm sie in die Flossen und flitzte zurück.

Du kannst Dir die Freude vorstellen, bei allen Fischen, beim Tintenfisch und vor allem beim Kerzenständer. Als das Seepferdchen die Kerze anpustete begann sie sofort zu brennen und das herrliche Licht beleuchtete die bunten Korallen und die Fische schillerten in dem zauberhaften Unterwasserlicht. Und der Kerzenständer war glücklich, dass er nun in seiner neuen Welt wieder zum Lichtträger geworden war.


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