Der Kartoffelmensch

Von Frauenblog @frauenblog

Nichts gegen Kartoffeln. Ich liebe sie! Pommes, Reibekuchen, Kartoffelsalat, Kartoffelgratin, Eintöpfe, Chips … ich könnte mich jeden Tag davon ernähren, aber ihre stille und unaufdringliche Art erinnert mich doch hin und wieder an einen bestimmten Typ Mensch, von dem ich wirklich ein für alle mal genug habe.

Gestern hat eine alleinerziehende Freundin von mir geweint. Der Grund, der sie zum Weinen brachte, hat auch mich schon so häufig in Verzweiflung gebracht und auch von anderen kenne ich diese Geschichten. Sie weinte wegen einem dieser Kartoffelmenschen. Dieser unscheinbare und unafdringliche Typ, der sich die meiste Zeit unter der Erde versteckt und sich dann ganz flexibel für alles verwursten lässt, was die Kinder gerne essen möchten. Dieses sich nicht festlegen lassende Gemüse, diese angepasste blöde Kartoffel! Es handelt sich um einen fernlebenden Kindsvater, der sich alle paar Monate mal aus der Erde pulen lässt, um sich für ein Festmahl herauszuputzen. Dieser hatte nämlich mal wieder etwas zu Meckern gehabt und dabei sahen weder meine Freundin noch ich für ihn, Anlass zur Beschwerde. Andersrum hingegen wäre eine ganze Menge zu bemängeln.

Umso seltener ein Eltern sich blicken lässt, desto mehr Starcharakter erhält diese Person. Ein Vater oder eine Mutter, die man nur viermal im Jahr sieht, wächst somit zu einem Star heran. Das kann den echten Helden, die sich Tag für Tag um jede kleine Katastrophe und jede große Krise kümmern, schon einmal einen kräftigen Schlag versetzen. Umso weiter entfernt der Papa/die Mama desto größer sein Starkult. Dieser extreme Gegensatz zwischen der Realität eines abwesenden Elterns und der Vorstellung der Kinder von diesem Eltern ist von Zeit zu Zeit einfach nicht mehr auszuhalten.

Denn wenn ich alles alleine machen, weiß ich natürlich wie unfair dieser andere Eltern ist, wie unzuverlässig, wie untreu, wie eigennützig und unreflektiert. In den Augen meines Kindes aber hat man es also mit einem Helden zu tun. Denn das ist es ja, was einen Star ausmacht. Die Abwesenheit, die Unerreichbarkeit ist es, die einen Fan faszinieren kann. Die verehrte Person ist anders als alle anderen. Ich kann als Fan alles in meinen Helden hineininterpretieren. Er muss gar nichts können, er muss nur als Projektionsfläche meiner Phantasien dienen. Wenn ich Glück habe und irgendwo ein Meet&Greet gewinne, trage ich ein aufregendes Dauergrinsen durch die Gegend, meine Hände schwitzen, mein Körper produziert Adrenalin. Da ein Holidaydad/eine Holidaymum in diesen kurzen Ferienzeiten mit den Kindern natürlich auch nahezu nur schöne Ausflüge erlebt, ist er/sie die Person, die diese Starrolle auch noch perfekt ausübt. Ein rauschendes Fest, alle Probleme des Alltags sind nicht existent und auf einer Welle aus Geschenken und aufregenden Ausflügen schwimmen die Kinder durch ihre kurzen Ferienzeiten. Schade, denken sie, wenn sie zurückkommen. Bei Holidaydad/Holidaymum darf ich immer solange aufbleiben wie ich will, ich darf viel mehr Fernsehen und wir gehen immer schwimmen und in den Freizeitpark. Irgendwie ist der abwesende immer ein bisschen besser als der/die Anwesende, denn beim Anwesenden erlebt man diesen Alltag, der oft stressig ist und in dem es Konflikte gibt und schon gar nicht bekommt man ständig alle Wünsche erfüllt. Der/die Abwesende hingegen empfindet es selbstverständlich als ganz normal, dass er die “kurze Zeit nutzt”, die er/sie hat und sie mit schönen Dingen füllt.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die meisten Konflikte aus der Schule, dem Kindergarten oder der Nachbarschaft sowieso zu Hause geblieben sind bei dem anderen Elternteil. Also darf man es der Kartoffel nicht einmal übelnehmen, dass sie zur Pommes wird. Irgendwie ist das ja auch alles nachvollziehbar. Und wenn man ein sehr fairer Mensch ist, kann man sogar denken, dass der/die andere es eben einfach nicht besser kann oder weiß. Man kann auch – wie ich es mir inzwischen angewöhnt habe – denken, dass es vielleicht einfach ganz normal ist, dass man den Bezug zu etwas verliert, dass man nie sieht und dass ein Holidaydad/eine Holidaymum gar nicht die Chance hat, mitzukommen, weil man sich als anwesende Person ja selbst ständig wundert, mit was man inzwischen schon so alles umgegangen ist und wie man lernen musste, sein Leben mit einem Kind zu teilen. Die vielen Gefühle: Die Sorgen, die Sehnsucht, die Ängste und Wünsche, die man im Bezug auf sein Kind entwickelt, die kann der Abwesende ja gar nicht haben. Geschenkt. Es werden noch ein paar Jahre vergehen und dann wird der Andere mir leidtun für das Verhältnis, das diese Person dann ganz zwangsläufig zu seinem eigenen Kind haben wird.

Gemein wird es erst dann, wenn Holidaydad/Holidaymum dich mit mails, sms oder Anrufen terrorisiert, weil der Eltern bei Dir fehlende Bindungstoleranz befürchtet oder Deinen Kooperationswillen bezweifelt, weil irgendwas. Oder wenn er/sie dir von deinen Krankheiten erzählt. Der Satz “Mein Arzt sagt, dass ich mein Kind lieber nicht zu mir hole!”, klingt selten dämlich, ich wette aber, dass sich unter meinen LeserInnen einige finden lassen, die ihn mindestens einmal gehört haben.

Es gibt so viele Gründe für abwesende Eltern, abwesend zu sein. Und noch mehr als Gründe gibt es Ausreden dafür. Ich finde das den Kindern gegenüber sehr unfair, weiß aber, dass ich es nicht ändern kann und versuche es darum unter “Egal” zu verbuchen. Aber wenn diese Urlaubseltern damit beginnen, Mitleid zu erregen wegen einer Krankheit, die sie haben, dann möchte ich etwas zerstören. Denn ein Kind ist für einen echten Eltern keine absagbare Erledigung. Es kann mir weder ein Arzt noch ein Polizist dazu raten, mich nicht um mein Kind zu kümmern. Mein Verhältnis zu meinem Kind mache nur ich ganz alleine. Nicht der andere Eltern trägt dafür die Verantwortung, keine staatliche Instanz und kein Kundenservice. Das ist dein Problem, lieber Urlaubseltern! Freu dich doch, dass du so ein Held bist für deine Kinder, du Kartoffel! Oder traust du dich, menschlich zu werden und deinem Kind als du selbst entgegen zutreten? Im Alltag vielleicht auch einmal, im Gespräch mit der Lehrerin oder an einem Tag an dem du und deine Kinder krank sind.

Werde zum Menschen oder bleib halt ein Kartoffelheld, aber lass die anderen Menschen doch bitte endlich damit in Ruh!

Ein Beitrag von Maike von Wegen / mutterseelenalleinerziehend.de