Der Kampf um den Kongress

Nun da Clinton in den Umfragen wieder komfortabel vorne liegt - ein vergleichsweise starker Effekt der ersten TV-Debatte - ist es an der Zeit, den Wahlkampf genauer anzuschauen, der in der Aufmerksamkeit immer etwas hinten liegt, in seiner Bedeutung aber mindestens ebenso wichtig ist: der Kongress. Alle zwei Jahre wählen die Amerikaner das komplette Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu, was die Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses zur Disposition stellt. Bevor wir uns in die Details stürzen, einige Hintergrunddetails.
Um Gesetze zu beschließen, müssen beide Kammern des Kongresses sich einig sein. Das heißt, eine Partei braucht entweder Kollaborateure bei den Gegnern oder in beiden Kammern eine Mehrheit. Die Democrats haben aktuell praktisch keine Aussicht auf eines der beiden Szenarien; sie können maximal die Mehrheit im Senat zurückerobern. Daher nur kurz zum House of Representatives: was tut das eigentlich? Die direkt in den Bundesstaaten (nach Bevölkerungszahl verteilten) gewählten Repräsentanten haben die größte Bedeutung in einigen Verfahrensfragen (etwa der Präsidentenwahl, wenn niemand 270 Elektorenstimmen erhält oder bei einem Impeachment) sowie beim Budgetrecht. In der Praxis ist Letzteres das mit Abstand wichtigste Recht, weil dem Repräsentantenhaus bei den Haushaltsverhandlungen die Schlüsselrolle zukommt. Der Senat dagegen ist vor allem für zwei Bereiche exklusiv zuständig: Verträge mit dem Ausland (etwa Klimaverträge) und Ernennungen (etwa zum Supreme Court).
Früher - noch bis in etwa die 1980er Jahre - war das Phänomen des "ticket splitting" gang und gäbe, also die Praxis, einen Präsidentschaftskandidaten einer anderen Partei zu wählen als bei den Kongresswahlen (vergleichbar mit einem "ticket split" zwischen Erst- und Zweitstimme in Deutschland, vorausgesetzt, man teilt zwischen SPD und CDU). Im Rahmen der immer stärkeren Polarisierung hat dieses Phänomen jedoch rapide an Bedeutung verloren. Eine Wahl wie 1984, als Reagan 49 von 50 Staaten gewann, die Democrats aber die Mehrheit im Kongress behielten, ist heute unvorstellbar. Die Mehrheitsverhältnisse im Kongress folgen dem Ergebnis der Präsidentschaftswahl. Aber, und hier kommt der entscheidende Faktor, sie tun das nicht synchron. Lokale Machtverhältnisse und das gerrymandering (hier erklärt) sorgen dafür, dass die Wahlkreise deutlich stabilier sind als die battleground states bei der Präsidentschaftswahl. Um etwa im House of Representatives die Mehrheit zurückzuerobern, müsste Hillary Clinton die Wahl mit acht, neun Prozentpunkten Vorsprung zu Donald Trump gewinnen - und dann reden wir wohlgemerkt von einer äußerst knappen Mehrheit oder einem faktischen Gleichstand. Zum Vergleich: 1988, als Bush seinen Herausforderer Michale Dukakis mit 426 zu 111 Elektorenstimmen geradezu vernichtete, führte er "nur" 7,8%. Normal sind eher Abstände im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Ein Umschwung im Repräsentatenhaus wird daher kaum passieren, auch wenn die komfortable republikanische Mehrheit wohl etwas kleiner werden wird.
Der Kampf um den KongressWesentlich interessanter ist dagegen der Senat. Senatoren werden auf sechs Jahre gewählt, und jedes Jahr steht rund ein Drittel zur Wiederwahl. Die 33 Abgeordneten dieses Jahr wurden alle 2010 gewählt - also auf dem Höhepunkt der Tea-Party-Bewegung. Die Democrats hatten sich daher gute Chancen ausgerechnet, das Ergebnis von 2014 - als die Democrats viele der 2008 mit Obama gewonnen Sitze wieder verloren - umzudrehen. Tatsächlich stehen 10 Democrats 24 Republicans gegenüber, rein rechnerisch haben die Republicans also zweieinhalb mal so viel zu verlieren wie die Democrats.

Die Kontrolle über den Senat ist für die Democrats aber auch deutlich wichtiger als jene über das Repräsentantenhaus, denn angesichts des zu erwartenden Fortgangs der republikanischen Blockadepolitik kommt es weniger auf erfolgreich verabschiedete Gesetze an - wie Obama wird auch Clinton mit executive orders regieren müssen - als auf die Möglichkeit, eigene Kandidaten zu bestätigen. Da im Februar diesen Jahres der (sehr konservative) Supreme-Court-Richter Antonin Scalia verstorben ist und die Republicans in einem eklatanten Normenbruch jede Anhörung des moderaten Obama-Kandidaten Merrick Garland verweigern, wird es dem nächsten Senat zufallen, diese Vakanz zu füllen. Erringen die Democrats im Senat einen Gleichstand oder eine Mehrheit, so können sie dies tun (im Falle eines Gleichstands entscheidet der Vizepräsident, der nach Lage der Dinge Tim Kaine heißen und Clintons Wünschen folgen würde).
Aber diese Chance, das seit den 1980er Jahren (!) bestehende konservative Übergewicht im Supreme Court zu drehen, ist noch nicht alles. Mehrere Mitglieder des Gerichts sind bereits über 80 Jahre alt, so dass die Chance, dass diese in den nächsten vier Jahren entweder sterben oder zurücktreten werden, nicht gering ist. In diesem Fall könnte Clinton die neuen Richter bestimmen. Und sie wird sich vermutlich bei weitem nicht so kompromissbereit zeigen wie Obama, der mit Garland nicht nur einen Zentristen aufgestellt hat, sondern auch eine Person, die bereits über 60 Jahre alt ist. Wenn die Democrats die Mehrheit im Senat erobern, hält nur wenig Clinton davon ab, zwei oder drei vierzigjährige Liberale zu berufen.
Moment, könnte der versierte Leser da jetzt einwenden. Was ist mit dem filibuster, jener Einrichtung, die es erlaubt Abstimmung als Protestmittel beliebig weit hinauszuzögern, wenn nicht eine Supermehrheit von 60 Stimmen dagegen steht? Nun, der filibuster wurde von den Republicans in den Jahren 2008 bis 2014 so radikal missbraucht, dass die Democrats im Kongress ihn bereits weitgehend entkernt haben. Er besteht nur noch für Supreme-Court-Nominierungen und einige andere hochrangige Posten und kann mit einer einfachen Mehrheitsentscheidung beseitigt werden, wie alle Regeln des Kongresses. Im Falle eines Clintonsiegs werden die Democrats das ziemlich sicher besorgen, und im Falle eines Trumpsiegs werden die Republicans es tun. Der filibuster ist tot.
Der Kampf um den KongressNachdem wir also die Bedeutung des Senats erkannt haben, sehen wir uns einmal genauer an, wie es um die Wahlchancen steht. Und hier sieht es für die Democrats leider nicht besonders gut aus. Fangen wir zu erst einmal bei den Staaten an, die die Republicans mit Sicherheit behalten werden. Das wären (von West nach Ost) Idaho (ID), Utah (UT), North Dakota (ND), South Dakota (SD), Kansas (KS), Oklahoma (OK), Iowa (IA), Arkansas (AR), Louisiana (LA), Alabama (AL), Kentucky (KY), Georgia (GA), South Carolina (SC). Das sind schon einmal 13 von 24 Sitzen. Die Democrats, auf der anderen Seite, behalten garantiert Washington (WA), Oregon (OR), Kalifornien (CA), Colorda (CO) und New York (NY). Das sind 5 von 10 Sitzen. Der ganze Rest ist in unterschiedlicher Stärke "up for grabs". Nur mit sehr viel Glück werden die Democrats einen Sitz in Arizona (AZ), Missouri (MO), Ohio (OH), North Carolina (NC) oder Florida (FL) erobern, was weitere fünf Sitze aus der Rechnung entfernt. Besonders Ohio, wo mit Rob Portman ein extrem starker Kandidat antritt, Arizona, wo John McCain zuletzt viel Boden gutgemacht hat, und Florida, wo Marco Rubio dasselbe gelang, ist kaum mit einer Überraschung zu rechnen. Die Democrats müssen insgesamt 14 Sitze erobern, um einen Gleichstand zu erhalten. Der aktuelle Stand wäre daher: D-5, R-18.
  Hoffnung dürfen sich die Democrats vor allem in folgenden Rennen machen:
Indiana. Indiana ist traditionell Republican-Territorium, aber der Amtsinhaber tritt nicht noch einmal an, und die Chancen sind daher nicht schlecht, vor allem wenn die Democrats die städtischen Regionen mobilisieren können. Die Hoffnungen der Democrats ruhen vor allem aus der Rückkehr Evan Bayhs aus dem politischen Ruhestand, der bereits früher für Indiana und die Partei im Senat saß; ähnlich wie Jeb Bush aber scheint Bayh einiges an Unterstützung und Routine eingebüßt zu haben und ist aktuell eher der Underdog.
Illinois. Der Kandidat der Republicans, Amtsinhaber Mark Kirk, liegt in den Umfragen deutlich abgeschlagen. Diesen Sitz werden sie also vermutlich verlieren. Angesichts dessen, dass Obamas Heimatstaat Illinois eigentlich auch eine der zuverlässigsten Democrat-Basen ist, ist das wenig verwunderlich.
Wisconsin. In Wisconsin ist die Lage ähnlich wie in Illinois: der aktuelle Amtsinhaber Ron Johnson ist sehr unbeliebt und wird aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Herausforderer Russ Feingold verlieren.
New Hampshire. Der eher demokratenfreundliche Staat ist, obwohl Trump hier seinerzeit seine erste primary gewann, dem Kandidaten gegenüber nicht besonders positiv eingestellt, weswegen die Amtsinhaberin Kelly Ayotte eher schlechte Chancen hat. Sie hat zudem mit New Hampshires ehemaliger Gouverneurin Maggie Hassan eine formidable Gegnerin.
Pennsylvania. Der Republican Pat Toomey hat ein ähnliches Problem wie seine Kollegin Ayotte aus New Hampshire: Trumps Unbeliebtheit ist wie ein Mühlstein um den Hals ihrer Wiederwahlbemühungen. Sollte Trump nicht gewinnen, wird auch er wahrscheinlich verlieren.
Gewinnen die Democrats diese fünf Sitze UND verteidigen ihre fünf anderen, alten Sitze, hätten sie eine 51:49-Mehrheit im Senat. Abgesehen von der mehr als wackeligen Position Bayhs in Indiana aber sehen wir gerade hier ein großes Problem: Nevada. Hier geht der ehemalige demokratische Mehrheitsführer Harry Reid in Pension, weswegen die Democrats ihren Sitz in einem offenen Rennen verteidigen müssen - immer eine prekäre Situation, und aktuell gibt es keinen klaren Favoriten. Für die Democrats wird viel an der Mobilisierung der Latinos hängen.
Der Kampf um den Kongress Im aktuellen Klima haben die Republicans daher effektiv 49 sichere Sitze. Dem stehen 47 sichere Sitze der Democrats gegenüber. Von den verbliebenen vier Wahlen dürfen die Democrats also maximal eine verlieren, wenn sie einen handlungsfähigen Senat wollen. Die kurzfristigen Aussichten Clintons und der Democrats sind also alles andere als gut. Mittelfristig aber sind sie noch schlechter. Denn 2018 stehen atemberaubende 25 demokratische und nur 8 republikanische Sitze zur Wahl. Selbst wenn es also den Democrats gelingt, dieses Jahr eine schmale Mehrheit zu erobern, werden sie diese 2018 fast garantiert wieder verlieren. Die Wahlen im Jahr 2020 dann fallen mit gleich mehreren negativen Faktoren zusammen. Zum einen würde Präsidentin Clinton eine vierte demokratische Amtszeit erkämpfen müssen - ein mehr als wackeliges Unternehmen - und zudem würde der alle Dekade stattfindende Zensus in dieses Jahr fallen, bei dem die Wahlkreiseinteilungen neu vorgenommen werden (Stichwort gerrymandering). Und aktuell halten die Republicans die Gouverneursposten in 33 von 50 Staaten, ohne große Aussicht für die Democrats, dass sich das Verhältnis so schnell drehen wird.

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