Der Bundesregierung ist diese Sache mit den jahrelang nicht aufgeklärten Neonazi-Morden dermaßen peinlich, dass sie darüber nachdenkt, die Angehörigen der Mordopfer mit jeweils 10.000 Euro zu entschädigen. Auf diese Weise soll Solidarität mit „unseren“ Ausländern geheuchelt, äh, demonstriert werden.
Denn, dass muss man zugeben, dieses Neonazi-Pack hat unter der (wohlwollenden?!) Aufsicht Dutzender gut bezahlter, aber total nutzloser V-Leute ja nicht die schlechten Ausländer gekillt, die Schmarotzer und Versager, die nicht ordentlich deutsch lernen, die Schule abbrechen, und sich dann mit den erschlichenen Sozialleistungen ein schönes Leben auf „unsere“ Kosten machen, falls sie nicht gleich kriminell werden, sondern die guten Ausländer, die mit ihren kleinen Geschäften ein anständiges Leben führten, ihre Mitbürger brav mit Döner, Salat und Flaschbier versorgten und bestimmt immer pünktlich ihre Steuern bezahlt haben. Um die ist es ja eigentlich doch schade.
Insbesondere jetzt, wo sich heraus stellt, dass es gar nicht irgendeine ausländische Mafia oder sonstige ausländische Kriminelle waren – wie natürlich von der deutschen Polizei milieubedingt vermutet werden musste, sondern irregeleitete Deutsche, oder schlimmer noch, selbst ernannte Super-Deutsche, die weiter führen, was vor 70, 80, 100 Jahren mal zum guten Ton gehörte in Deutschland.
Nicht nur für ausländische Touristen, sondern auch für deutsche Politiker interessant...
Und noch immer zum guten Ton gehört, bis in die SPD hinein. Herr Sarrazin, meines Wissens noch immer Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, darf wieterhin mit seinen rassistischen Thesen hausieren gehen, Millionen haben dieses miese Machwerk gekauft (ja, ich habe auch mal reingesehen und es ist haarsträubend, was deutsche Autoren und deutsche Verlagen so publizieren, es ist ja nicht da einzige Buch in der Richtung, wenn auch das derzeit bekannteste). Immerhin: Den Unsinn mit dem Juden-Gen soll Sarrazin laut Wikipedia inzwischen dementiert haben.
Wie ernst der Bundesregierung die Sache mit der Entschädigung von Nazi-Opfern tatsächlich ist, zeigt unter anderem ein kleiner Artikel in der Leipziger Volkszeitung: Laut aktuellem Haushalt wird der Haushaltstitel 681 01, „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ für den Etat 2012 um die Hälfte gekürzt – von einer auf eine halbe Million Euro. So wichtig ist unserer Bundesregierung der Kampf gegen Extremisten, die erstaunlicherweise nicht nur links zu finden sind.
Aber das ist ja auch kein Wunder, denn es gibt laut offizieller Zählung gar nicht dermaßen viele Opfer rechter Gewalt – die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine entsprechende Anfrage der Linksfraktion kommt gerade mal auf 40 Opfer rechter Gewalt seit 1990. Opferverbände dagegen gehen von mindestens 136 Opfern im gleichen Zeitraum aus – und tatsächlich sind es noch deutlich mehr, denn die aktuell bekannt gewordenen Nazi-Morde sind darin noch gar nicht enthalten.
Wenn man die Opfer von staatlich sanktionierter rassistischer Gewalt noch addieren würde, wäre die Zahl sicher unerträglich – wie viele Menschen sterben, weil sie gar nicht erst nach Deutschland kommen dürfen? Wie viele ertrinken im Mittelmeer, weil ihnen (unter anderem auch deutsche) Kriegs- und Patrouillenschiffe nicht zur Hilfe kommen? Wie viele sterben auf den verschiedensten Schmuggelrouten der Menschenschmuggler? Wie viele kommen um, weil sie aus Deutschland wieder weggeschickt werden?
Ab und zu erregt die Abschiebung von besonders gut integrierten Minderjährigen Aufsehen, weil engagierte Mitschüler für sie kämpfen, in einigen Fällen kann zumindest verhindert werden, dass Jugendliche ohne Begleitung in einem ihnen fremden Land ausgesetzt werden. Andere dagegen sterben in Abschiebehaft oder bei der Rückführung in ein Land, aus dem sie unter Lebensgefahr geflohen sind.
Die Bundesregierung sollte sich ihre Scheißbetroffenheit in den Arsch schieben, und sich endlich darum kümmern, dass die Nicht-Deutschen, die nach Deutschland kommen, weder von irren Neonazis, noch von offiziellen Staatsorganen umgebracht werden. Sondern dass sie genauso behandelt werden, wie Artikel 1 unseres Grundgesetzes es verlangt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Da steht nicht: Die Würde des deutschen Menschen. Wie wäre es, wenn deutsche Verfassungsschützer als Grundvoraussetzung für ihren Dienst zuerst einmal die Verfassung lesen und verstehen lernen, die sie angeblich schützen?
Update 23.11.:
Inzwischen hat die Regierung gemerkt, dass es wenig glaubhaft ist, ein Zeichen gegen den Rechtsextremismus ausgerechnet mit einer Mittelkürzung zu setzen. Jetzt heißt es, dass die Härteleistungen für Extremismus-Opfer doch nicht halbiert werden sollen. Außerdem werden die zahlreichen Gegner der Extremismusklausel damit beruhigt, dass auch hier keine weitere Kürzung der Projekt-Gelder vorgenommen werden soll. Eigentlich sollte der Etat für Projekte gegen Rechtsextremismus im Haushalt 2012 um zwei Millionen auf 22 Millionen Euro gekürzt werden. Extremismus-Ministerin Kristina Schröder stellte nach der heftigen Kritik, die ihr im Bundestag entgegenschlug, in einer knappen Pressemitteilung einmal mehr unter Beweis, dass sie im Grunde jede Gesinnung außerhalb des rechten Flügels ihrer Partei schon für bedenklich hält:
Ich freue mich, dass die Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen mit ihrem Beschluss heute praktisch dasselbe Bekenntnis zu unserer Demokratie, unserem Rechtsstaat und unserer Werteordnung abgelegt haben, das wir bei der Vergabe von Geldern für Projekte gegen Extremisten einfordern. Man kann Extremismus nicht mit Extremisten bekämpfen. Es ist mir völlig unverständlich, dass SPD und Grüne etwas abschaffen wollen, was sie heute selber im Bundestag bekräftigt haben, nämlich das aktive Eintreten und Werben für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diese Regierung gibt fast fünfmal so viel Geld für den Kampf gegen Rechtsextremismus aus wie für den Kampf gegen Linksextremismus, schon das zeigt, dass wir beide Extremismus-Gefahren nicht gleichsetzen.