Der Junge, der mit dem Herzen sah
Virginia MacGregor
Manhattan, 2015
14,99 €
978-3442547494
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Der neunjährige Milo leidet unter Retinitis pigmentosa: Sein Sehvermögen lässt immer stärker nach, und irgendwann wird er vollständig erblinden. Aber noch sieht er die Welt – wenn auch nur wie durch ein Nadelöhr. Doch so bemerkt er Kleinigkeiten, die anderen entgehen. Als seine 92-jährige Großmutter dement wird und in ein Altersheim umziehen muss, fallen Milo dort seltsame Vorgänge auf. Die Erwachsenen interessieren sich für Milos Erkenntnisse nicht, und so bleiben ihm nur der Koch Tripi und sein Ferkel Hamlet, um ihm bei seiner Mission zu helfen. Milo ist nämlich entschlossen, seine Großmutter wieder nach Hause zu holen, die Machenschaften der Heimleiterin offenzulegen und – vielleicht – seine Eltern zu versöhnen.
Milo ist ein schlauer, kleiner Junge. Durch seine Krankheit sieht er die Welt mit anderen Augen. Jedoch wird dem Leser schnell klar, dass er niemanden liebt außer Hamlet, Gran und sich. Auf seine Mutter ist er sauer, seinen Vater kann er nicht leiden und alle anderen beäugt er sehr kritisch. Kann so ein Junge sympathisch sein? Er steigert sich in Ungerechtigkeiten hinein und will diese ändern. Manchmal wirkt er sehr lieb, manchmal sehr steif und unnahbar.
Hamlet ist ein kleines, aufgewecktes Schwein. Was man von Schweinen hält, wird in dem Buch oft genug angesprochen. Ich hätte nichts gegen ein kleines Hausschwein.
Sandy und Andy sind die Eltern von Milo. Sandy hat das Los gezogen, sich gerade um Milo zu kümmern, da Andy abgehauen ist. Sie hat es schwer, da sie verlassen wurde und sich gehen lässt. Darunter leidet auch Milo und auch seine Großmutter.
Lou ist die weise, liebe Großmutter. Sie redet schon lange nicht mehr. Weiß aber vieles und spürt, dass manche Dinge einfach getan werden müssen. Sie hilft Milo, indem sie ihn bestärkt, aber auch mal Einhalt gebietet auf ihre liebenswürdige, verschrobene Art.
Milos Welt ist klein und das ist nicht so, weil er nicht aus seinem Zimmer heraus darf. Er leidet an Retinitis pigmentosa, einer Krankheit, die dazu führt, dass Milo bald blind sein wird. Bis dahin sieht er aber noch einen kleinen Fleck seiner Welt mit eigenen Augen. Leider versucht die Autorin nicht, mir diesen Blick nahezubringen. Zwar gibt es kurze Anspielungen, dass Milo den Kopf drehen muss und durch eine kleine Öffnung sieht, aber direkt vorstellen kann ich es mir nicht.
Seine Welt ist die einer mittelgroßen Stadt, in der es mehrere Altenheime gibt. Es gibt Supermärkte, Menschen mit Motorräder, breite Straßen und Milos Schule. Allerdings ist Milo mit dem Geschehen im Altersheim beschäftigt und hat wenig Zeit Freunde zu finden oder zu spielen. Viel von seiner Umgebung lernen wir nicht kennen.
Die Welt aus anderen Augen sehen, das machen Kinder sowieso. Oft sprechen sie Dinge an, die Erwachsene nur denken würde. Sie lachen öfter und nehmen die Welt in den ersten Jahren, wie einen großen Spielplatz wahr. Milo hat das Glück oder das Pech durch seine Krankheit gehandicapt zu sein. Für ihn bedeutet das einfach anders zu leben. Er muss alles noch einmal sehen, spüren und sich ganz auf seinen Körper verlassen, wenn die Augen nicht mehr funktionieren.
Er hat viele Wünsche, was bei Kindern normal ist. Allerdings sind die Wünsche von Milo nicht normal. Er möchte seine Eltern wieder zusammenbringen, Gran soll wieder Zuhause wohnen und Hamlet nicht mehr in der Garage. Gran ist nach einem Unfall soweit, dass Sandy sie in ein Heim schickt. Milo ist natürlich dagegen und das mit aller Macht. Er ist bockig und anstrengend, was für den Leser auch nicht gerade einfach ist.
Im Heim sieht er dann Dinge, die es so nicht geben dürfte. Am liebsten möchte er die Machenschaften aufdecken, aber wie es immer so ist: Kindern hört niemand zu. Daraus entwickelt sich ein Kampf mit neuen Freunden gegen die Heimleitung und auch ein bisschen gegen seine Mutter.
Problematisch an dem Roman ist, dass die Figuren nicht gerade Sympathieträger sind. Das fängt mit Sandy an, die irgendwie alles für Milo tun möchte, aber dann doch nicht macht. Außerdem ist Milo selbst sehr schwierig und ich finde, er macht sich zu wenig Gedanken darüber, was seiner Gran, Sandy oder ihm bevorsteht, wenn Gran und er weiter krank werden.
Die geballte Themenvielfalt ist ein Problem für den Leser. Er kann sich kaum konzentrieren. Da wäre die schwere Krankheit von Milo, die Alzheimer Erkrankung von Gran, die Gewichtsprobleme von seiner Mutter, der investigative Journalismus und noch das syrische Flüchtlingsproblem. Gerade letzteres wird nur am Rande aufgenommen und kommt viel zu kurz. Fakten gibt es oftmals zu den Themen nicht. Der Leser hat also die Wahl: die Geschichte so zu nehmen wie sie ist, oder sich aufzuregen über die Ungereimtheiten im Bezug auf die Themen.
Das Buchcover ist süß. Sofort habe ich mich gefragt, warum dort ein Schwein abgebildet ist und was für eine Blume der Junge in der Hand hält. Erst viel später, nachdem ich wieder einmal im Kino gewesen war, wurden mir Parallelen bewusst. Ist es nicht der kleine Prinz, der dort mit seiner Rose steht? Steht er nicht auf einem Planeten? Und hat einen Fuchs bei sich? Der Titel kann zudem als Anspielung an “Man sieht nur mit dem Herzen gut.” gesehen werden. Die Frage ist, ob der Roman von Virginia MacGregor diese Parallelen nötig hat.
Milo, Hamlet, Sandy und Co. sind liebenswert, aber auch wahnsinnig anstrengend. Die geballte Themenvielfalt wird zu schnell und zu kurz verarbeitet, sodass der Leser kaum Zeit bekommt um all die Themen zu verstehen. Milo allerdings ist ein bemerkenswerter Junge, der etwas mehr Raum benötigt hätte, um den Leser tatsächlich zu berühren.