Aktualisierte Fassung einer Diagnose
Von Florian Hauschild
„Das einzige was zwischen uns und einer besseren Zukunft steht, ist Ignoranz“ lautet ein Spruch, der vor einiger Zeit in den sozialen Netzwerken kursiert. Wohl wahr: Nicht übermäßig mächtige Planer einer „Neuen Weltordnung“, nicht „die Eurokrise“ und nicht einmal die hoffnungslos dilettantisch agierende Regierung Merkel sind es, die Fortschritt und sozialen Wandel hin zum Besseren verhindern, es ist die aufsummierte Ignoranz der einzelnen Individuen, die – vor allem auch in Deutschland – eine regelrecht gehirngewaschene, geistig unfreie Gesellschaft formen.
Doch Zuerst: Der Begriff Ignoranz soll hier nicht als Beschimpfung verwendet werden, „Ignoranz“ beschreibt vielmehr ignorierendes Verhalten, also willentliches Nichtbeachten von relevanter Information. Wir sprechen hier von einer Ignoranz, die sich in dieser Gesellschaft ausgebreitet hat wie ein Virus, hervorgerufen und gefüttert durch manipulative Massenmedien und unterstützt durch selbst ernannte „kritische Stimmen“, die ihrerseits nicht in der Lage oder zu ängstlich sind, um tiefgründige Systemkritik zu äußern und/oder Argumente einer solchen tiefen Systemkritik schlichtweg ignorieren.
Da gibt es beispielsweise im Internet Publikationen mit dem schönen Untertitel „Die kritische Website“. Auch wenn dort oft gute Arbeit geleistet wird, hält man es auf solchen Seiten leider für absolut unnötig, die Logik des bestehenden Geldsystems einmal in die systemische Analyse und schließlich Kritik mit aufzunehmen.
Seit längerer Zeit auf vielen Blogs (wie etwa hier und hier) sowie seit Kurzem auch im Mainstram (ARD, FAZ, Zeit) wurde die Thematik eines fehlerhaften, ungerechten, zum Scheitern verurteilten Geldsystems bereits mehrfach tiefgründig, seriös und fundiert erörtert. Unter dem Artikel „Wie Banken Geld machen“ führten beispielsweise knapp 12.000 Leser eine Diskussion in über 140 Kommentaren. Gäbe es fundierte, glaubhafte Argumente, die belegen können, dass das bestehende Geldsystem (anders als dargelegt) gerecht, demokratisch und fehlerfrei wäre, wären diese Argumente auch gefallen. Einzig: Es gibt solche Argumente nicht.
Eine gnadenlose Ignoranz in dieser Sache beweist auch immer wieder die so genannte „Linke“. Besonders Vertreter des linksextremen, pseudolinken und antideutschen Milieus werden nicht müde eine Verbindung zwischen Geldsystemkritik und „strukturellem Antisemitismus“ zu konstruieren. Genau das Gegenteil ist allerdings der Fall: Dann wenn die Menschen das fehlerhafte, zum Scheitern verurteilte Geldsystem nicht verstehen, besteht die Gefahr antisemitischer Tendenzen; suchen die „Hintergangenen“ die Schuld bei anderen und glauben, sie bei einer privilegierten Minderheit zu finden.
Ebenfalls immer wieder zu beobachten: Der Vorwurf der so genannten „verkürzten Kapitalismuskritik“. Stimmen, die derartige Behauptungen äußern sind allerdings derart ignorant, dass sie sich nicht einmal die Ausgangsargumente der Geldsystemkritik angehört haben. Es geht mitnichten darum, zu sagen: Ändern wir das Geldsystem und alles ist gut, vielmehr gilt es zu erkennen: Das Geldsystem muss ebenfalls und vor allem völlig neu konstruiert werden, was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch fundamentale Veränderungen im Wirtschaftssystem, im Mediensystem, im Bildungssystem, im politischen System, in den Besitzverhältnissen usw. bedarf. Keine dieser Änderungen könnte allerdings Bestand haben, wenn an einem fehlerhaften, ausbeuterischem Geldsystem festgehalten wird.
Kurz gesagt: Linke, linksextreme und pseudolinke Denunzianten der Geldsystemkritik sind schlichtweg nicht in der Lage zwischen notwendiger und hinreichender Bedingung zu unterscheiden.
So gilt: Schreiber, „Kritiker“, Politiker, „Experten“, die selbst nicht wahrhaben wollen, dass das bestehende Geldsystem vor allem an der derzeitigen Praxis der Geldschöpfung in Verbindung mit dem Zinseszins krankt, bleibt daher nur die Möglichkeit, die gesamte Thematik einfach zu ignorieren oder zu diffamieren.
Was teils wie ein Einzelfall partieller Blindheit wirkt, ist in Wirklichkeit jedoch Ausprägung einer zu weiten Teilen gehirngewaschenen, obrigkeitshörigen Untertanengesellschaft in der selbst kritische Geister bis heute meist nicht gelernt haben selbst zu denken und sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.
Wo liegen die Ursachen dieser geistigen Unfreiheit?
Eine der Hauptursachen für die hier dargestellte Ignoranz liegt mit Sicherheit in dem Irrglauben, Erkenntnis müsse immer „von oben“ kommen. In unserer Gesellschaft werden Vertreter der institutionalisierten Wissenschaften per se als Vertreter und Richter über Wahrheit anerkannt. Dabei kommt Universitäten bezüglich der Erkenntnis im Grunde die gleiche Rolle zu, wie sie die Kirchen auf dem Markt der Heilsversprechen für sich beanspruchen: Universitäten und deren Vertreter reklamieren für sich das Deutungsmonopol über die Wahrheit. Titel und Grade entscheiden darüber welche Individuen sich an der Deutungsarbeit beteiligen dürfen. Der Rest der Gesellschaft hat diese formalrechtliche Instanz zu respektieren, Erkenntnis die außerhalb der institutionalisierten Wissenschaften zu Tage gefördert wird gilt als „unwissenschaftlich“ (sprich „unwahr“).
Als Höhepunkt dieser arroganten Form der Inanspruchnahme der Deutungshoheit ist immer wieder zu beobachten, dass Vertreter der institutionalisierten Wissenschaften schwarmintelligente Wissenssammlungen wie wikipedia als „nicht valide Quelle“ diskreditieren, wenngleich es an der wikipedia-Politik durchaus einiges zu kritisieren gibt. Der Grundgedanke hinter dieser Abgrenzung ist jedoch recht simpel: Die Zivilgesellschaft ist einfach zu dumm, pöbelhaft und ungebildet um selbstorganisiert Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Die Abgrenzung der institutionalisierten „Wissenschaftler“ „nach unten“ ist also in erster Linie von Egoismus geprägt. Es spricht hier nicht die Liebe zur Wahrheit aus den „Wissenschaftlern“, es geht einzig und allein darum die eigene Relevanz und schließlich den eigenen Posten, das eigene Auskommen zu sichern.
Nun erleben wir ähnliches im Subsystem der politischen Medien: Wahr ist nur das, was von den Konzernmedien wiedergegeben wird, so die verbreitete Botschaft und der oft noch sehr tief sitzende Gedanke in der Gesellschaft. Die mächtigste und wirkungsvollste Waffe im Kampf um die Hoheit über die öffentliche Meinung bietet den Konzernmedien hier immer noch das so genannte Agenda setting: Indem bestimmte Themen überbetont und andere einfach ignoriert werden, wird die Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit dahingehend beeinflusst, dass untertäniges, obrigkeitshöriges Verhalten weiter common sense ist.
Wenn ein Provinzpolitiker in den USA etwas zu vermelden hat, finden sich solche Banalitäten nicht selten als Titelschlagzeile bei spiegel online wieder. Als die Demonstrationen im Zuge von „occupy Wallstreet“ begannen, orientierten sich deutsche Mainstreammedien am ehesten an Fox News und CNN und ignorierten die Proteste zwölf Tage lang fast vollständig.
Oder auch: Was „die Märkte“ von so genannten „Rettungspaketen“ halten, wird generell eher in den Fokus gerückt als das, was die Menschen – etwa die weltweit Millionen protestierenden – denken. Die subtile Botschaft auf der Metaebene dahinter: „Entscheidend für die Gesellschaft ist nicht was Du, lieber Leser, denkst und machst, auch nicht was die Mehrheit von Euch denkt oder macht, entscheidend ist was die Amts- und Würdenträger der Gesellschaft machen, denken und sagen.“
Herdenhaftes, gehirngewaschenes Untertanentum hat in einer solchen Berichterstattung zweifellos eine wichtige Basis.
Wie sich selbst kritische Geister manipulieren lassen
Selbst bei kritischen Geistern ist zu beobachten, dass diese gerne die Mär der „digitalen Welt“ wiederkäuen. Ein von den Konzernmedien geschickt in Umlauf gebrachter Propagandabegriff um die eigene Deutungshoheit zu wahren. Der Begriff der „digitalen Welt“ oder auch der „Internet-Gesellschaft“ suggeriert es gäbe so etwas wie einen eigenständigen sozialen Raum – das Internet – der mit der eigentlichen, „richtigen“ sozialen Welt nicht viel zu tun habe. Im Internet gibt es vor allem krude Gedanken, Kinderpornographie, Hacker, Spinner und neuerdings Piraten, so die weit verbreitete Meinung in konservativen Kreisen.
Was „im Internet“ gesagt wird sei dann auch erstmal per se weniger wert, da es ja innerhalb dieser kleinen, nicht ernstzunehmenden „digitalen Welt“ gesagt wird, die ja nun wirklich bitte nicht mit der Realität zu verwechseln sei.
Die Stumpfsinnigkeit und Borniertheit eines solchen Weltbildes ist kaum zu ertragen. Fakt ist: Das Internet ist ein dezentrales Kommunikationsnetz indem die Gesamtgesellschaft technisch gesehen barriere- und zensurfrei miteinander kommunizieren kann und dies auch tut. Von einer Internetgesellschaft zu sprechen ist in etwa so sinnvoll wie von einer Telefon- oder Briefgesellschaft zu reden. Sowohl Telefon, Brief und Internet sind letztendlich Kommunikationskanäle, die die Zivilgesellschaft nutzt um sich auszutauschen. Jedoch: Das Internet ist das fortschrittlichste, interaktivste und technisch am weitesten entwickelte dieser Kommunikationswerkzeuge.
Das Internet ist wie geschaffen für schwarmintelligentes Arbeiten, für hierarchiefreie Organisation und für Erkenntnisgewinn der frei ist von den Schranken institutioneller Titel und Grade. Das Internet ist auch ein Kommunikationswerkzeug um politische Kommunikation wieder aus den Händen von Konzernmedien zu reißen und sie dahin zu verfrachten wo sie hingehört: In die Hände der Menschen. Ohne Übertreibung lässt sich somit sagen: Das Internet ist die demokratischste Errungenschaft in der Menschheitsgeschichte. Richtig genutzt, ist der freie, digitale Informationsfluss das entscheidende Kriterium beim Aufbau einer besseren, gerechteren Gesellschaftsordnung.
Nichtsdestotrotz neigen gerade pseudo-elitäre „Kritiker“ dazu sich von der so genannten „dummen Masse“ abzugrenzen. Denn klar ist auch: Gesteht man dem Leser eigene Intelligenz und Mitspracherecht auf Augenhöhe zu, wird es für Publizierende schwerer die eigene Position dauerhaft zu legitimieren. Vor allem wenn man selbst ein homo ignorans ist.
Ein homo ignorans, der weiter dem Irrglauben anhängt, Erkenntnis komme „von oben“ oder aus den Universitäten, ein homo ignorans der glaubt, gesellschaftlich relevant ist nur, was in den Massenmedien behandelt wird und ein homo ignorans der denkt, das Internet sei eine eigene kleine Welt, die mit der sozialen Realität nicht viel zu tun hat. Dream on!
Warum spenden?: Selbstverständnis eines Bloggers – Journalismus im schwarmintelligenten Wandel
Der Artikel erschien in abgewandelter Form bereits hier am 27. September 2011.
Zum Thema:
- Strategien der Meinungsmache – Die Medien als Instrument der Herrschaft
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