Der gute Unterschied.

Von Nadine M Helmer
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Ich verrate wohl kein sehr großes Geheimnis, wenn ich von mir sage, dass ich eine komplette Nulpe in Naturwissenschaften bin. Dreisatz kann ich höchstens mit Zettel und Stift und Taschenrechner. Dieses Buchstabenrechnen habe ich nie verstanden. Biologie fand ich noch spannend, da konnte ich mich einigermaßen halten, solange es nicht zu abstrakt wurde. Das, wie hieß es noch, Periodensystem in Chemie? Ppffffff. Bunte Kästchen mit Nummern, so, was soll mir das sagen?

Stellt mich vor einen Jackson Pollock, vor einen Adolph Menzel, gebt mir Lyrik von TS Eliot. DAS ist eingängig! Das verstehe ich, dafür kann ich Gefühle und Leidenschaft entwickeln, Bücher lesen und Klausuren mit passablen Ergebnissen schreiben.

Alle meine Klassenkameraden wussten ungefähr, wer in was gut ist. Mich hätte sicher nie jemand gefragt, wie diese Kurve berechnet wird oder die Atome fliegen. Ich war die, die englische Grammatik erklärt hat. Für Mathe bin ich woanders hingegangen. Weil wir alle sechsundzwanzig so unterschiedlich sind und waren. Das war nie ein Problem.

Christine vom Blog Mama arbeitet hat nun eine Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele gestartet. Sie schreibt:

Sport sollte Spaß machen und nicht nur für ein gutes Körpergefühl, sondern auch für Selbstbewusstsein sorgen, unabhängig vom Talent und Können des Einzelnen. Die Bundesjugendspiele in ihrer jetzigen Form (ursprünglich auf die Reichsjugendwettkämpfe zurückgehend) konterkarieren dieses Ziel, sie demotivieren Schüler und setzen sie unter sozialen Druck.(...) Dabei werden die individuellen körperlichen Voraussetzungen (Körperbau, Größe, Konstitution) der einzelnen Kinder nicht berücksichtigt. (...) Das Argument, gerade die schwächeren Schüler könnten bei den Bundesugendspielen Erfolge verbuchen, darf nicht über den Schutz derjenigen Schüler gestellt werden, die im Sport keine guten oder schlechte Leistungen erbringen. Ein Wettkampf, bei dem Einzelne schon vorher wissen, dass sie chancenlos sind, ist sinnlos und unfair.

 

Ich finde das schade. Kinder, die im normalen schulischen Alltag nicht als Leuchten hervorstechen, sollen also nicht auch mal belohnt werden, weil sie Asse im Sport sind. Weil sich dann ein Kind, das kein Leichtathletik-Gen in sich trägt, sich dann in seinen Gefühlen verletzt sieht? Ich verstehe das Argument nicht, denn das hieße ja, kein Kind dürfe sich je einem Wettbewerb aussetzen. "Wettbewerb" meine ich jetzt nicht nur auf Sport bezogen, sondern allgemein.

 

Ich war großer Loser der nicht-freiwilligen Matheolympiade. Wusste ich auch vorher. Okay. Um mit den hagelnden Fünfen umzugehen hatte ich exakt zwei Möglichkeiten: entweder ich strenge mich sehr an und übe und beschäftige mich damit (Ehrgeiz entwickeln) oder ich finde mich damit ab (Ich habe mich in Chemie nie wieder angestrengt und die Fünf im Zeugnis schon zum Schuljahresbeginn einkalkuliert). Nachdem ich fünf Jahre lang den gleichen Mathelehrer hatte und dann zu Beginn der Oberstufe ein neuer, ganz "frischer" Lehrer kam, tat sich eine kleine Welt auf. Er erklärte uns Nulpen die Mathewelt noch einmal ganz von vorn. Zähler, Nenner, Bruch vor Strich. Und auf einmal befand ich mich in einem soliden Mittelfeld.

 

Es kann nie darum gehen, alles nach denen auszurichten, die irgendwas nicht gut sind. Ja, klingt erst mal fies. Ist es aber nicht. Weil, wenn wir Schule so gestalten, werden wir dem Leben nicht gerecht. Es ist umso gemeiner, jemandem, der sich anstrengt, jemandem, der gut in etwas ist, ein Talent hat, Zeit und Mühe investiert, Anerkennung und Lob und vielleicht auch Belohnung zu verwehren. Es wird immer unsportliche Kinder geben, die im Sportunterricht im wahrsten Sinne des Wortes hinten runterfallen. Aber es sind doch genau diese Kinder, die schlau in anderen Fächern sind. Kein Kind ist komplett talentfrei. Jeder kann was anderes gut, und das ist doch prima! Nur so können wir voneinander lernen. Ich finde diese Tendenz, alle immer gleich zu behandeln (und zwar immer auf dem Niveau Null: keine Bewertung, kein Wettbewerb), zutiefst ungerecht.

Die "Guten" haben keinen Anreiz mehr, sich anzustrengen, weil wofür?

Die weniger Guten haben keinen Anreiz mehr, sich anzustrengen, weil wofür? 

 

Ich fordere keine Einsen oder Pokale von meinem Kind. Sondern, dass es sich Mühe gibt.  Ich würde meinem Rübchen immer abfordern, sich anzustrengen, im Rahmen ihrer Kräfte und Möglichkeiten.  Wer sich von vornherein immer als Verlierer sieht, wird immer hinten dran sein, weil er kein Selbstvertrauen hat und sich selbst aufgibt. Und weil er den Blick dafür verloren hat, was er kann und wer er ist.

Wir müssen unsere Kinder schulen, einen Blick für die Unterschiedlichkeit Anderer zu haben, und diese Unterschiede auch auszuhalten. Es ist nicht schlimm, wenn ein anderer etwas hat oder besser kann als man selbst. Die eigene Welt darf nicht untergehen, nur weil man in einer Sache schlechter gestellt ist als die anderen. Umgekehrt darf man sich nicht über andere erheben,wenn man in einer Sache besser abschneidet als der andere. Weil Sport nicht die ganze Welt und der ganze Mensch ist und Mathe auch nicht.

 

Vielleicht geht es ja auch in dieser Petition gar nicht um die Abschaffung eines sportlichen Wettkampfes per se, sondern um was ganz anderes: die Angst vorm Ausgelacht werden, des Bloßgestelltseins. Da sind wir Eltern und auch die Sportlehrer gefragt: jedes Kind sollte Unterstützung aus seiner Peer-Group erfahren. Wir könnten uns Gedanken darüber machen, wie man die "Unsportlichen" motivieren kann und deren kleine Fortschritte und Erfolge feiern.

Es geht doch vielmehr um Fragen des gegenseitigen Respekts und wie man mit Schwächen anderer umgeht. Hier liegt doch der Hase im Pfeffer, nicht?

 

Ich geh jetzt Pollock ankucken. Und mich nächste Woche beim Abijubiläum bei dem damalig frischen Lehrer bedanken, weil er Geduld und Unterstützung für uns Nulpen hatte.

 

 PS: Karolin von den Dachbuben hat auch das Thema schön beschrieben.