Der grosse Diktator

Der grosse Diktator

THE GREAT DICTATOR
USA 1940
Regie: Charles Chaplin
Mit Charles Chaplin, Paulette Goddard, Reginald Gardiner, Henry Daniell, Billy Gilbert u.a.
Drehbuch: Charles Chaplin
Deutschsprachige Kinoauswertung 1958 unter dem Titel Der grosse Diktator
Dauer: 120 min

Hierbei handelt es sich um eine stark bearbeitete Version eines älteren Artikels aus diesem Blog.

DER FILM:
Die Schlussrede, mit der Charles Chaplin seinen Film The Great Dictator beschliesst, wurde und wird immer wieder kritisiert und als Störfaktor, als unpassendes Element bezeichnet. Dabei ist diese Rede die Keimzelle des Films.
Jahrzehntelang trug sich Chaplin mit der Idee eines Films über Napoleon Bonaparte – genauer: über dessen Privatleben. Es gab mehrere Drehbuchentwürfe und seitenlange Korrespondenzen mit Freunden, Autoren und Beratern. Klar war eines: Das Ende des Filmes sollte in eine pazifistische Botschaft münden, in einen Aufruf zum und ein Bekenntnis zum Freiden.
“Chaplins Napoleon” wurde nie gedreht – die Gründe sind bis heute unklar. Die pazifistische Schlussrede aber – oder zumindest die Idee davon – rettete Chaplin in jenes Projekt hinüber, das er stattdessen realisierte, und das gewisse Ähnlichkeit mit dem “Napoleon”-Stoff aufwies (auch das Doppelgängermotiv tauchte dort bereits auf): The Great Dictator.
Die Idee zum Film wurde an Chaplin herangetragen; sein Bärtchen gab damals in der Öffentlichkeit immer wieder Anlass zu Vergleichen mit Adolf Hitler, und so verwundert es nicht, dass der britische Produzent / Regisseur Alexander Korda schliesslich mit dem Vorschlag an Chaplin herantrat, doch einen Film über die Beziehung zwischen dem Tramp und dem Diktator zu drehen. Sogar Präsident Roosevelt soll Chaplin ermuntert haben, den Film zu realisieren. Er stand damit im Gegensatz zu weiten Teilen der Politik und der grossen Filmstudios, welche die Bezeihungen zu Deutschland nicht aufs Spiel setzen wollten.
So tauschte Chaplin irgendwann in den späten Dreissigerjahren Napoleon gegen Adolf Hitler aus, und drehte sein bislang erfolgreichstes und kontroversestes Werk.
The Great Dictator wurde zum meisterwarteten Film des Jahres. Vergleicht man ihn mit anderen bekannten US-Kinowerken jener Zeit, dann findet man wohl auf Anhieb keines, das derart offen, direkt und erbarmungslos satirische Hiebe gegen ein real existierendes Staatsoberhaupt – oder irgendeine andere Person des öffentlichen Lebens – führte und dabei weitgehend auf die damals gängigen Konventionen von Komödie und Drama (strahlend schöner und/ oder smarter Held aus dem Upperclass-Milieu macht seinen Weg) verzichtete.
Statt dessen im Mittelpunkt: Ein mächtiger Halbirrer, dem zudem jegliche Intelligenz abgeht einerseits, andererseits ein armer Schlucker, der herumgeschubst wird – zwei Doppelgänger, deren Ähnlichkeit nirgends erklärt wird, obwohl sie sich nicht in blossen Äusserlichkeiten erschöpft. Diktator Hynkel und der “kleine jüdische Barbier” erscheinen wie die zwei Kehrseiten einer Figur. Hynkel ist der Tramp, der plötzlich zu Macht gelangt ist – genauso linkisch, clownhaft, ungeschickt, bisweilen verschüchtert und anarchisch wie jener. Als Machtmensch mutiert er – mangels politischer Erfahrung – zum willenlosen Spielball seines Ministers Garbitsch. Es scheint wirklich, als wolle Chaplin seinen Tramp einmal in den Kleidern der Mächtigen präsentieren. Das bringt ihm den Vorwurf ein, er verharmlose Hitler, indem er ihn als Witzfigur zeigt.
Am Schluss dann wird der “echte” Tramp in die Rolle des Herrschers geschubst – und er mutiert zum pazifistischen Diktator und relativiert den Witz-Hitler wieder.

INHALT:
Im ersten Weltkrieg wird der linkische Charlie verletzt und leidet fortan unter Amnäsie. Jahre später wird er als geheilt aus der Anstalt entlassen und nimmt seine Arbeit als Barbier wieder auf – im Ghetto, das von den Schergen des inzwischen an die Macht gekommenen Diktators Hynkel terrorisiert wird. Hynkel sieht Charlie zum Verwechseln ähnlich, und am Schluss nimmt dieser denn auch seinen Platz ein, was in eine utopische Vision von Friede und Brüderlichkeit mündet.

DIE UMSETZUNG:
Chaplins Kamera bleibt ziemlich statisch, wie in all seinen Filmen. Dafür bewegt er die Schauspieler, oft in komödiantisch-überzeichneter Weise, ganz nach Art der Slapstick-Konventionen und erzielt auf diese Weise grosse Wirkung. Dabei bedient er sich ganz oft der Methode des “undercranking”, (ein Ausdruck aus der Stummfilmzeit, als die Kameras noch Kurbeln [ = cranks] besassen, mit denen der Film im Gehäuse transprotiert wurde; der Ausdruck “undercranking” meint eine verlangsamte Aufnahmegeschwindigkeit, welche die Action beim Vorführen schneller ablaufen lässt). Das “undercranking”, das meist fast nicht bemerkbar ist, aber für den gewollten “lächerlichen” Effekt sorgt, wird mit im Nachhinein synchronisierten kurzen Dialogen kaschiert. Eine der bekanntesten Sequenzen, in denen sich Chaplin dieser Methode bediente, ist jene, in der Hynkel vom Schreibtisch aufsteht, sich kurz ans Klavier setzt, und dann weitereilt, um für den Maler und den Bildhauer zu posieren, bevor er auch von dort nach kurzem Halt wieder abrauscht.
The Great Dictator besitzt zwei Hauptschauplätze: Das Ghetto, die Welt des jüdischen Barbiers und der Palast des Diktators. Der Part im Ghetto greift die z.T. von Chaplin selbst etablierten Konventionen des Stummfilm (ärmliche Verhältnisse als Thema, gesellschaftliche Verlierer im Mittelpunkt) wieder auf und ist somit rückwärtsgewandt. Der Diktator-Teil ist da interessanter und bringt tatsächlich etwas Neues und Unerhörtes ins US-Kino ein: Satire. Chaplin verwendete sie zwar bereits in Modern Times, wo ihr Ziel die Industrialisierung war. Doch hier erstmal eine Person des aktuellen politischen Geschehens Zeil der Attacken. Chaplin stellt sein prominentes “Opfer” praktisch unverhüllt in den Mittelpunkt des Films und reitet Attacken gegen seine Person, gegen dessen politische Unbedarftheit und seine manische Prunksucht. Einige Filmhistoriker attestieren Chaplin, mit diesem Film die Tür im sich gegenüber Deutschland neutral gebenden Amerika für weitere Anti-Nazi-Attacken aufgestossen zu haben.
Chaplin machte sich mit dem Dictator allerdings auch erbitterte Feinde innerhalb Hollywoods, die ihn bezichtigten, Amerikas Werte verraten zu haben. Hier lag der Ursprung der späteren Kommunismus-Vorwürfe gegen Chaplin, die ihn in den Fünfzigerjahren bewogen, Hollywood zu verlassen.
Die Politsatire setzte sich im US-Kino vorerst nicht durch, der Hays Code wachte weiterhin über Werte und Verfehlungen in Hollywoods Filmen. Trotzdem dürfte The Great Dictator Massstäbe für eine spätere Generation von US-Regisseuren gesetzt haben.
Aus der zeitlichen Distanz betrachtet, greift Chaplins Spott angesichts seines Objektes und angesichts der menschlichen Katastrophe, die Adolf Hitler war und angerichtet hat, zu kurz und verursacht nachfolgenden Generationen beim Betrachten ein mulmiges Gefühl. Chaplin selbst hat später gesagt, er hätte den Film nicht drehen können, wenn er gewusst hätte, was im deutschen Reich wirklich vorging.
Satire deckt Misstände auf oder prangert diese an, indem sie sie satirisch überhöht. Adolf Hitler und sein Regime einen Missstand zu nennen, kommt im Nachhinein einer Verniedlichung gleich.
Natürlich ist Chaplins erster Tonfilm in seiner Gesamtheit äusserst unterhaltsam und komisch. Einzelne Sequenzen sind sogar hervorragend gelungen und gehören zum Besten, was Chaplin je auf die Leinwand gebracht hat. Die Satire ist an einigen Stellen tatsächlich ätzend, an einer schmerzt sie sogar wirklich (wo die Juden zwischenzeitlich wegen eines Darlehens tolereiert werden). Doch wird der Film den Gräueln und den Ungeheuerlichkeiten in keinem Moment gerecht, die im Dritten Reich begangen wurden.
Die Schlussrede, in der Chaplin selbst plötzlich hinter der Maske des Tramps hervortritt, die Handlung abbrechen lässt und damit aus der damaligen filmischen Konvention ausbricht, macht dieses durch den Lauf der Zeit verursachte Manko dank der zutiefst persönlichen und pazifistischen Botschaft weitgehend  wieder wett und macht The Great Dictator zu dem, was er im Grunde ist: Zu einem zwar höchst ambivalenten, durch seine Ehrlichkeit aber anrührenden und mutigen filmischen Bekenntnis, das seiner Zeit voraus war.

Meine Bewertung: ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥
Wer sollte sich den Film ansehen: Historisch interessierte Filmfreunde;
Wer sollte sich den Film nicht ansehen: Freunde des Schenkelklopf-Humors.

DIE DVD:
Der grosse Diktator

Audio: Englischsprachige Orginalfassung
Untertitel: Englisch (ausblendbar)
Extras: Audiokommentar der beiden Chaplin-Experten Dan Kamin und Hooman Mehran; zwei Video-Essays (von Chaplin-Biograf Jeffery Vance und von der Chaplin-Archivarin Cecilia Conciarelli); die 60-minütige Dokumentation The Tramp and the Dictator von Kevin Brownlow und Michael Kloft; Farbfilmmaterial von den Dreharbeiten; zwei Ausschnitte aus zwei Kurzfilmen, welche die berühmte Rasier-Szene aus The Great Dictator vorwegnehmen; ein 30-seitiges Booklet mit interessanten Essays zum Film.
Der Film ist in der Criterion Collection erschienen – einmal mehr vorbildlich restauriert und aufbereitet, dass punkto Bild- und Tonqualität keine Wünsche mehr offen sind.
Die vielen Extras überzeugen auch diesmal wieder vollumfänglich. Sie vertiefen und erweitern den Blick auf den Film wesentlich. Grandios!
Alternative: Natürlich ist der Film auch im deutschsprachigen Raum auf DVD und auf Blu-ray erschienen, in durchaus vergleichbarer Bild- und Tonqualität (bei Arthaus – siehe hier); doch die Extras sprechen ganz stark für die Criterion-Ausgabe Criterion Collection; wer sich eingehend mit dem Film befassen will, dem bietet sich hier eine Fülle erstklassiger Hintergrundmaterialien.

VORHER-NACHHER:
Charles Chaplin drehte bekannterweise vorher Modern Times (dt.: Moderne Zeiten, 1936), danach Monsieur Verdoux (dt.: Monsieur Verdoux, der Frauenmörder von Paris, 1949).
Paulette Goddard war im selben Jahr, aber vor The Great Dictator in der Bob-Hope.Komödie The Ghost Breaker (George Marshall) zu sehen; danach im selben Jahr in Cecil B. DeMilles Nortwest Mounted Police (dt.: Die scharlachroten Reiter).Reginald Gardiner war vor dem hier besprochenen in S. Sylvan Simons Dulcy zu sehen, danach in Lewis Milestones My Life With Caroline (1941).

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