Der große Zweifel und die Nachfolge

Zu den wichtigen Eigenschaften eines guten Zen-Lehrers gehört, den "Großen Zweifel" zu wecken. Damit ist die allgemein unter Menschen verbreitete Frage gemeint, die uns nach dem Woher und Wohin unserer Existenz suchen lässt: Was war ich vor meiner Geburt, wie wird es nach meinem Tod sein? Dem Zweifel wird in einer Schule des Zen durch Kôan oder Huatou Rechnung getragen, Geschichten, Aussprüche oder Worte, die über ein rein logisches Antworten auf eine existentielle oder Sinn-Krise hinaushelfen sollen, hin zum Vorgedanklichen. Bleibt man jedoch dabei stehen, sich moralisch "einwandfrei"  zu verhalten, Gedankenaufruhr zu beherrschen und nicht mehr ständig unterscheidend zu werten, kann man doch noch wie "ein Toter auf Bodenhöhe" sein: Die Meditationsmethode hat sich nicht restlos der "Großen Angelegenheit von Leben und Tod" hingegeben, und im Dornengestrüpp des Daseins, wenn echte Prüfungen kommen, kann ein so Übender zu Fall kommen. Chanmeister Yuanyun Jiexian (1610-1672) hat davor gewarnt.
In einem seiner letzten Beiträge zur "Adult Practice" hat Muho darauf hingewiesen, dass es anderen möglich sei, ihre eigene Zen-Linie zu begründen, und Beispiele dafür genannt. Er hält es offenbar auch für wahrscheinlich, dass solche Linien bald wieder "aussterben". In der Geschichte des Zen haben wir bereits Beispiele für das Aussterben selbst von starken Zenlinien. Müssen wir das eigentlich fürchten, wo es heute noch sicherer als je zuvor Möglichkeiten der "Überlieferung" einer solchen Linie gibt? Im Grunde kann alles, was einmal war, wieder neu aufflammen.
Meister Yuanyun beschrieb ausführlich, wie gewissenhaft ein Meister bei der Bestätigung seiner Dharmanachfolge sein sollte, und wie bedeutsam es sei, dass diese gesichert wird. Für ein Zeitalter des Verfalls der Lehre beschrieb er jedoch auch diese Alternative: "In einer solchen Situation ließen echte erleuchtete Meister die Übertragungslinie lieber abreißen und zogen sich in erhabene Einsamkeit zurück. Dies betrachteten sie als den Weg, die Lehre gerade zu rücken und zu retten. Obwohl sie keinen Dharma-Erben hinterließen, leuchtet ihr Licht hundert Generationen lang. Kann man dann wirklich sagen, sie hätten die Linie enden lassen?
In so genannten Übungszentren, wo man sich nicht an die angemessenen Richtlinien hält, ernennt ein Meister zahlreiche Schüler zu seinen Nachfolgern und erreicht doch nichts, denn wenn man Melonenreben am Mittag wässert, werden sie keine Früchte tragen. Nicht lange danach wird eine solche Linie ruiniert sein und ein schreckliches Durcheinander hinterlassen. Kann man das etwa ein Fortführen der Übertragung nennen?"

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