Vor 50 Jahren startete die erste Mondlandung. Leider habe ich damals nicht dabei sein können, ich war erst 155 Tage alt, als das Raumschiff abhob. Trotzdem fasziniert mich das Geschehen von damals. Heute berichte ich von der dramatischen Landung auf dem Mond, die für das deutsche Fernsehpublikum nach Bilderbuchlandung aussah.
20.07.1969, 3 Uhr in der Frühe in Houston. Die Besatzung von Apollo 11 ist endlich eingeschlafen, und länger als 4 Stunden wird sie nicht mehr schlafen können. Der große Tag ist heute, der Tag, an dem ein Mensch seinen Fuß erstmals auf einen anderen Himmelskörper setzt. Die Anspannung beim schwarzen Team unter Glynn Lunney ist kaum größer als normal. Dieses team wird es nicht sein, das die Landung überwachen muss. Doch sie beobachten das Raumschiff gut, das zum sechsten, siebten oder achten mal um den Mond fliegt. Nach 8 Jahren Vorarbeit haben sie es geschafft. Aus dem Nichts und ein paar wenigen Ideen ist eine Unternehmung geworden, die in wenigen Stunden an ihr Ziel gelangt, das scheinbar Unmögliche zu versuchen: Eine Landung auf dem Mond.
In ihrem 3 Kubikmeter großen Raumschiff schlafen die Astronauten. Der Verbindungstunnel zur Mondfähre ist offen, die Kühlpumpen summen, im Kopfhörer, den Michael Collins aufgesetzt hat, knackt es hin und wieder. Licht und Schatten wechseln sich im Fenster ab, die erde geht spektakulär auf und wieder unter, die Bühne ist bereitet für ein Unternehmen, das auch heute noch fasziniert. Wenn ich damals alt genug gewesen wäre, hätte ich mir vorgestellt, wie die Astronauten dort in ihrer Kapsel lebten. ich hätte mich gefragt, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen mochten. Hatten sie überhaupt Zeit, großartige Gedanken zu denken? Sie waren so lange so effizient auf ihre Aufgabe vorbereitet worden, hatten so unendlich viele Trainingsstunden absolviert, hatten gelernt, alles ohne Angst und mit wissenschaftlicher Präzision auszuführen, was ihnen auf ihrer Reise begegnete, dass man Zweifel haben kann. Erst im nachhinein werden sie vermutlich darüber nachgedacht haben. Aber ich hätte darüber nachgedacht. An diesem Tag wären mir die Milliarden Dollar die Anstrengung wert gewesen. 400.000 Menschen und ihre Familien lebten von dieser Mission, Erfindungen wurden gemacht, Verfahren erforscht. Und die Menschheit tat ihren allerersten Schritt von ihrem Planeten herunter.
07:04 Uhr in Houston (12:04 Uhr deutscher Zeit): Ron Evans weckte die Besatzung von Apollo 11.
“Wie sehen unsere Systeme aus?” fragte Michael Collins nach der Begrüßung. “Alles ist tadellos. Das schwarze Team hat die Nacht über gut darauf aufgepasst”, antwortete Evans.
“Gut zu hören, ich habe nämlich nicht aufgepasst, sondern geschlafen”, erklärte Collins.
Die Raumkapsel verschwand wieder hinter dem Mond. Die Astronauten Aldrin und Armstrong zogen ihre schweren Raumanzüge an, mit denen sie bald auf dem Mond spazieren gehen würden. Sie begannen damit,
Ausrüstungsgegenstände in die Mondfähre zu räumen und die Systeme hochzufahren. Zwischendurch frühstückten sie noch mit Michael Collins zusammen.
Kurz vor 9 gab Evans wieder die neuesten Nachrichten durch. Überall auf der Welt würden Gottesdienste für die Crew gehalten, auch im weißen Haus, und auch der Papst würde die Landung verfolgen.
“Eine Schlagzeile heute morgen fordert euch dazu auf, auf dem Mond nach einem wunderschönen Mädchen mit einem großen Kaninchen Ausschau zu halten. Einer chinesischen Legende nach ist die junge Dame mit dem Namen Chang-o vor 4000 Jahren auf den Mond verbannt worden, als sie ihrem Mann die Pille der Unsterblichkeit stehlen wollte. Schaut euch auch nach ihrem Begleiter um, einem großen chinesischen Kaninchen, das im Schatten eines Zimtbaumes auf seinen Hinterpfoten sitzt”, las Evans vor. “Okay, wir halten nach dem Hasenmädchen Ausschau”, erwiderte Buzz Aldrin. Er benutzte die Worte Bunny girl, was durchaus despektierlich verstanden werden konnte.
“Okay. … Gloria Diaz von den Philippinen ist gestern Abend zur Miss Universum gewählt worden. … Sie ist 18, hat schwarzes Haar und schwarze Augen, und ihre Maße …” – Doch die spare ich mir. Es reicht zu sagen, dass sie wirklich vorgelesen wurden.
Um 10 Uhr houstoner Zeit übernahm das weiße Team von Gene Kranz die Schicht im Kontrollzentrum. Unter den Männern waren die beiden Controller Steve Bales und Bob Carlton, in einem der Hinterzimmer saß der Software-Experte Jack Garman. Auf einmal ging alles sehr sehr schnell.
Die beiden Mondfahrer zogen in die Fähre um, und eine Stunde später, während sie wieder hinter dem Mond waren, wurde die Schleuse geschlossen, dann startete die Tunnelentlüftung, die in dem
Verbindungstunnel zwischen Kommandokapsel und Mondfähre ein Vakuum herstellen sollte.
Um von der Kommandokapsel in die Mondfähre zu kommen, mussten die Astronauten, von der Flugrichtung aus gesehen, nach oben schweben und durch den Tunnel gleiten. In der Mondfähre hatten Aldrin und Armstrong noch weniger Platz als in der Kommandokapsel. Sie standen nebeneinander, Schulter an Schulter, sitze oder Liegen gab es nicht. Vor ihnen war das große Instrumentenpult, vor jedem war ein kleines, dreieckiges Fenster angebracht, der Ausstieg war zwischen ihnen fast am Boden. Wenn Armstrong aussteigen wollte, musste er sich umdrehen, bücken und dann rückwärts hinauskriechen, dirigiert von Aldrin.
Während das noch zusammenhängende Raumfahrzeug hinter dem Mond war, fragte Michael Collins in der Mondfähre nach, warum der Zar so still war. Doch Armstrong konzentrierte sich voll auf seine Arbeit, und die Bemerkung von Mike Collins, er solle sich vor der Revolution in Acht nehmen, dürfte ihm nur ein mildes Lächeln entlockt haben. Dann sagte Collins: “Die Mondschwerkraft ist ein Kinderspiel, lasst es langsam angehen. Wenn ich euch da unten schnaufen und keuchen höre, kriegt ihr es mit mir zu tun.”
Um 13:44 Uhr houstoner Zeit lösten sich die beiden Raumfahrzeuge voneinander. Die wenige noch im Tunnel verbliebene Luft ließ sie rund 20 Meter auseinandertreiben, dann löste Collins die Haltebolzen, die Mondfähre, der “Adler” hatte Flügel.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hatte Flugleiter Gene Kranz seinen Kontrolleuren noch einmal eine Pause gegönnt. Es hatte einen Run auf die Toiletten gegeben, jetzt waren alle zurück. Kranz dirigierte die Männer auf einen privaten Kommunikationskanal, damit niemand sie hören konnte. “Wir sind im Begriff, Geschichte zu machen”, erklärte er. “Für diesen Augenblick haben wir trainiert und uns vorbereitet, jetzt sind wir bereit. Aber eines möchte ich euch sagen – was auch passieren mag, wenn wir diesen Raum verlassen, dann verlassen wir ihn gemeinsam als Team.” Dann schaltete er wieder auf den Kanal des Flugdirektors zurück, ordnete an, die Türen des Kontrollraums so lange zu schließen, bis der Landeversuch beendet war, und zündete sich die nächste Kent an. Dies war weit mehr als eine pathetische Ansprache. Die Flugleiter, die noch leben, bekommen noch heute feuchte Augen, wenn sie sich daran erinnern. Gene Kranz appellierte an ihren Teamgeist, das gegenseitige Vertrauen, an die unbedingte Verlässlichkeit, die von jedem erwartet wurde, und er sorgte dafür, dass sich alle als Mitglieder einer gemeinsamen Mannschaft fühlten, selbst wenn es Probleme geben sollte. Die anspannung im Kontrollraum war extrem hoch gewesen, laut waren Fragen, nervöse Gespräche hin und her gegangen. Jetzt beruhigte sich die Szene. Gene Kranz war der ruhende Pol.
Als die beiden Raumfahrzeuge wieder auf der Vorderseite des Mondes waren, inspizierte Collins aus geringer Entfernung die Raumfähre, um eventuelle Schäden zu finden, die das Trennungsmanöver verursacht haben könnte. Doch es war alles in Ordnung.
“Ihr habt da eine hübsche Maschine, auch wenn ihr auf dem Kopf steht”, kommentierte er, denn aus seiner sicht stand die Mondfähre derzeit auf dem Kopf.
“Irgend jemand steht auf dem Kopf, aber nicht wir”, widersprach Armstrong. “Bis gleich”, sagte er dann, als gingen er und Buzz Aldrin nur mal eine Stunde an die frische Luft.
Um 14:50 Uhr houstoner Zeit erhielt die Mondlandefähre die Erlaubnis zum sogenannten DOI-Manöver, mit dem sie den Orbit um den Mond verlassen und sich für den Landeanflug in Position bringen würde. Was den Technikern ein paar Sorgen machte, war die immer wieder ziemlich schlechte Verbindung zwischen Eagle und der Bodenstation. Während all der Manöver der letzten Stunden musste man sich immer wieder um das Problem kümmern. Es war derzeit nicht wirklich gefährlich, doch es stellte einen kleinen Unsicherheitsfaktor dar.
Eine halbe Stunde später, jetzt wieder hinter dem Mond, zündete das Triebwerk erneut und die Mondfähre sank langsam dem fremden
Himmelskörper entgegen. Immer noch merkte man den beiden Männern, die das unförmige Gefährt flogen, nur wenig Anspannung an.
“Könntest du mir mal die Karte reichen, die wir für den Abstieg brauchen?” fragte Armstrong, der auf der linken Seite stand und die Fähre beim Landeanflug steuern würde. “Ich tausche sie gegen diesen Kaugummi.”
“Wieso hast du den denn aus dem Kommandomodul mitgebracht?” wollte Aldrin wissen.
“Hatte ich noch in meiner Tasche”, erklärte der Kommandant.
Und so brachten sie sich in Position.
Der Besucherraum im Kontrollzentrum füllte sich, die gesamte NASA-Spitze war anwesend, auch die Ingenieure, die die Rakete und die Landefähre gebaut hatten, Vertreter der Vertragsfirmen und Forschungslaboratorien und natürlich viele Astronauten. Charlie Duke, der CapCom, wartete darauf, wieder Kontakt mit den Astronauten zu bekommen. Jetzt würde es losgehen, in einer halben Stunde würden sie wissen, ob es ihnen gelungen war, zwei Männer mit einer kleinen Raumfähre auf dem Mond zu landen.
Wäre ich damals alt genug gewesen, hätte ich ganz sicher die Landung jetzt bereits am Radio oder Fernseher verfolgt. In Deutschland übertrug die ARD das Ereignis aus einem eigens eingerichteten Studio. Wissenschaftler waren als Experten anwesend, die Landung wurde auf einer Karte nachgezeichnet, der spätere Mondspaziergang in einer Art Sandkasten nachgestellt. Moderiert wurde die Sendung von Günter Siefarth, einem Journalisten, den man den Rest seines Lebens Mr. Apollo nennen sollte, auch wenn er sich später als Präsentator der Ergebnisse bei Bundestagswahlen betätigte. Siefarth versuchte, so nüchtern zu bleiben wie Armstrong oder Kranz, aber man kann die Spannung spüren, wenn man diese alten Aufnahmen hört.
Auch das erste Abstiegsmanöver hatte funktioniert, Collins kommentierte es begeistert, als er als erster wieder hinter dem Mond hervorkam. Auch Armstrong und Aldrin waren zufrieden. Dann erhielten sie vom Kontrollzentrum die letzten Daten. “Wir sind auf einem guten Weg”, kommentierte Kranz und ließ um 15:53 Uhr houstoner Zeit (20:53 Uhr deutscher Zeit) die Türen des Kontrollzentrums endgültig verriegeln. Niemand konnte jetzt mehr hinaus oder herein, niemand konnte jetzt mehr stören.
Um 16 Uhr erhielt die Besatzung die Erlaubnis zum Landeanflug. Die beiden Astronauten schalteten ihre Kamera ein, um von der landung einen 16-MM-Film anfertigen zu können.
“Was bleibt noch zu tun?” fragte Armstrong seinen Kollegen, der die Checkliste hatte.
“Landetriebwerk scharfschalten, 40 Sekunden”, sagte Aldrin.
Armstrong fragte: “Läuft deine Kamera?”
“Kamera Läuft”, bestätigte aldrin.
“Okay, … Triebwerk scharfgeschaltet”, sagte Armstrong.
Aldrin: “Kontrollleuchte für Flughöhe ist an.”
Mit dieser Leuchte wurde angezeigt, dass das Landeradar noch keine Daten lieferte, dafür war man noch zu hoch. Die Flughöhe wurde noch durch Houstons Daten geliefert, die man einfach übernahm.
Um 16:05:11 Uhr houstoner Zeit (21:05:11 Uhr deutscher Zeit) Zündete das Triebwerk, und es begannen die dramatischen 13 Minuten des Abstiegs zum Mond.
Schon eine Sekunde nach der HZündung des Triebwerks verlor die Bodenstation die Verbindung zur Mondfähre. Nur Michael Collins in der “Columbia”, wie die Kommandokapsel hieß, konnte die “Eagle” noch per Funk erreichen. Für eine gute Landung waren aber die Daten für die Kontrollstation unbedingt erforderlich. So wurde Collins gebeten, Aldrin anzuweisen, auf die hintere Rundstrahlantenne der Fähre umzuschalten. Nach einigen Sekunden wurde die Verbindung wieder hergestellt, und Steve Bales, der Guidance Officer des Kontrollteams, bekam den ersten Schreck. Das Raumschiff war ganz offensichtlich zu schnell. Rund 6 Meter pro Sekunde schneller, als es eigentlich vorgesehen war. Er informierte Flugdirektor Kranz, der genau wusste, dass sie die Mission abbrechen mussten, falls die Mondfähre noch schneller wurde. Ein Grund für die hohe Geschwindigkeit ließ sich zunächst nicht ermitteln, und die ständigen Ausfälle der Datenübertragung machten die Situation nicht einfacher. Viel später stellte sich heraus, dass beim Abdocken von der Kolumbia ein Rest Luft im Verbindungstunnel verblieben war, der der Mondfähre eine etwas schnellere Drift als geplant verschafft hatte.
2 Minuten nach der Zündung stellte Aldrin erstmals fest: “Flughöhe etwas zu hoch.”
Armstrong fragte: “Möchtest du dieses Radar abschalten?”
Buzz bestätigte. Gemeint war ein sogenanntes Rendezvous-Radar, das ständig die Columbia im Fokus behielt und für den Wiederaufstieg und das Andocken benötigt wurde. Jetzt aber hatte es nichts zu tun. Doch Armstrong schaltete das Radar nicht ab, sondern stellte es auf “nachführen”, was dazu führte, dass es nach wie vor – und zwar vergeblich – nach den Daten der Columbia suchte. Von nun an
überschwemmte es den Computer, der – wir erinnern uns – nur 72 Kilobyte freien Speicher hatte, mit sinnlosen Positionsdaten. Doch davon ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand etwas.
Obwohl es ein paar Spannungen im Wechselstromkreis gab, teilte Charlie Duke der Besatzung mit, dass alles in Ordnung sei, sie sähen immer noch gut aus. Die Schwankungen könnten das erste Anzeichen für eine Überlastung der Computeranzeige gewesen sein, aber sie waren in keinem Falle besorgniserregend.
Seit der Triebwerkszündung waren genau drei Minuten vergangen, als Armstrong die Mondkarte und die darauf eingezeichnete flugbahn mit der Wirklichkeit vor dem Fenster verglich.
“Okay, wir waren etwas zu früh am 3-Minuten-Punkt. Wir sind dabei, etwas zu weit westlich zu landen.”
Edwin Aldrin beruhigte ihn: “Sinkrate sieht wirklich gut aus. Flughöhe stimmt fast.”
Trotzdem meldete Armstrong die Beobachtung an die Bodenstation. Die Meldung bestätigte den zu schnellen Flug.
35 Sekunden später drehte Armstrong die Mondfähre in Rückenlage. Das war im flugplan so vorgesehen, denn nur in dieser Lage konnte das landeradar die Mondoberfläche anvisieren und die Flughöhe genau bestimmen. Die Mondoberfläche geriet damit aber aus dem Blickfeld der Astronauten, ein Vergleich mit der Karte war jetzt vorübergehend nicht mehr möglich. Die Drehung der Mondfähre bewirkte wieder eine schwächere Kommunikation mit der Bodenstation.
Doch genau in dieser situation sah der Flugplan vor, dass die Kontrolleure in Houston entschieden, ob die Landung fortgesetzt werden sollte. Ohne Telemetrie war das aber schwer zu entscheiden. Natürlich hätte Gene Kranz die Mission hier abbrechen können, denn die Entscheidung musste jetzt fallen. Nur 30 oder 40 Sekunden später, und die Crew hätte nicht mehr rechtzeitig reagieren können. So erbat Kranz eine Entscheidung der flugkontrolleure auf Basis der letzten erhaltenen Daten, und alle sprachen sich vorläufig für die Fortsetzung der Mission aus.
Als die Kommunikation wieder besser wurde, hatte sich “Eagle” um 180 Grad gedreht, und das Landeradar nahm endlich seine Arbeit auf. Es stellte die recht hohe Geschwindigkeit fest, die sich aber nicht änderte. Gleichzeitig zeigte es an, dass die Landefähre um 2900 Fuß, also rund 930 Meter, niedriger war als vom primären Navigations- und Steuerungssystem angenommen. Als Steve Bales dem Flugdirektor diese nachricht meldete, die dann gleich auch noch von Aldrin bestätigt wurde, fragte kranz: “Akzeptieren Sie diese Zahlen?” Abbruch oder nicht, das war die Frage. Das Raumfahrzeug war zu schnell und zu niedrig, musste man die Mission nicht abbrechen? Jedenfalls musste man die Daten im Auge behalten, und auch Armstrong schaltete auf eine Datenanzeige um, die ihm immer den Unterschied zwischen der angenommenen flughöhe des Navigationssystems und der tatsächlichen Flughöhe des Radars zeigte. Diese Anzeige wurde ständig aktualisiert und belastete den Speicher des computers zusätzlich.
5 Minuten und 15 Sekunden waren seit der Triebwerkszündung vergangen, da schrillte in den Helmen von Buzz Aldrin und Neil Armstrong der Alarmton, und auf der Computeranzeige standen die Zahlen 1202.
Als Armstrong jetzt ins Funkgerät sprach, klang seine Stimme erstmals leicht Angespannt. “Programmalarm”, sagte er knapp, und Charlie Duke antwortete: “Bei uns sieht alles gut aus.” “Es ist ein Alarm 1202”, legte der Kommandant von Apollo 11 nach.
Gene Kranz im Kontrollzentrum in Houston hörte Armstrongs angespannte Stimme.
“Was ist es, Guidance?” fragte er.
“Augenblick”, antwortete Steve Bales. Er war verantwortlich für die Funktion des Bordcomputers und für die Software des Steuerungssystems. Es kam auf Sekunden an, denn ein unidentifizierter Computeralarm konnte tödlich sein, da der Flug der Mondfähre vollkommen vom Computer gesteuert wurde. Das war auch gar nicht anders möglich. Nur der Computer konnte gewährleisten, dass bei der geringen Treibstoffmenge, die das Gefährt an Bord hatte, nichts vergeudet und der direkteste Kurs auf die sparsamste Weise geflogen wurde. Also musste der Fehlercode so schnell wie möglich identifiziert werden.
Auch die Flugkontrolleure absolvierten vor einem Raumflug Simulationen. Dabei wurden sie mit Problemen konfrontiert, die sie lösen mussten. Damit sollten sie auf alle eventualitäten vorbereitet sein. In der lezten Simulation vor dem Start von Apollo 11 hatten die
Simulationsspezialisten das Team mit einer Serie von Computeralarmen konfrontiert. Weil Bales nicht wusste, um was es sich handelte, hatte er den simulierten Landungsversuch abgebrochen und war dafür vom Simulation Supervisor, dem Trainer, gescholten worden. Dieser Alarm sei so unbedeutend gewesen, dass ein Abbruch unnötig gewesen sei. Gene Kranz hatte nach dieser Besprechung von Bales verlangt, eine Liste mit allen denkbaren Computeralarmen zu erstellen, getreu dem Motto: “Ein Fehlschlag ist nicht akzeptabel.”
Der Computer der Kommandokapsel war, ebenso wie das Gerät in der Mondlandefähre, vom Massachusetts Institute of Technology (M. I. T.) entwickelt worden. Bales rief dort an und wollte eine Liste aller Codes haben. Seinen Software-Experten Jack Garman, der während der Landung im Hinterzimmer sitzen würde, wies er an, sich die Codes anzusehen und eine Regel zu entwerfen, was bei jedem einzelnen Auftreten eines solchen Alarms zu geschehen habe. So entstand eine lange Liste mit Fehlercodes und daraus resultierenden Verhaltensweisen. Das war jetzt besonders nützlich.
“Sagt uns, was es mit Alarm 1202 auf sich hat”, forderte Armstrong noch angespannter als zuvor.
Steve Bales erinnerte sich nicht an den Fehlercode 1202, aber er fragte über die Leitung zu seinen Experten bei Jack Garman nach. Beide konsultierten ihre Papiere, und Jack war ein paar Augenblicke schneller. “Es ist ein Befehlsüberlauf. Wenn es nicht öfter geschieht, können wir weitermachen”, rief Garman in sein Mikrofon.
Ein Befehlsüberlauf bedeutete, dass der Computer nicht mehr in der Lage war, in angemessener zeit alle an ihn gerichteten Aufgaben zu erfüllen. Daher nahm er gemäß seiner Programmierung eine priorisierung vor. Alles, was mit der Stabilisierung der Fluglage zusammenhing, hatte Vorrang vor allen anderen Aktionen, zum Beispiel der Ausgabe einer Datenabfrage auf dem Display. Bales konnte sich sicher sein, dass die Flugaktivität des Computers unbeirrt fortgesetzt werden würde. Obwohl es also durchaus riskant war, sagte er zu Gene Kranz:
“Wir sind “go” was diesen Alarm betrifft. Wenn es nicht noch mal auftritt, können wir fortfahren.”
Gene Kranz musste in diesem Augenblick nicht genau wissen, was das Problem verursacht hatte oder was der Alarm besagte. Ihm genügte es, dass sein verantwortlicher Kontrolleur grünes Licht gegeben hatte. Für alles andere wäre auch keine Zeit gewesen.
“Roger”, bestätigte er, und noch bevor er die entsprechende Anweisung geben konnte, gab Charlie Duke an die Besatzung durch: “Verstanden. – Wir machen weiter, trotz des Alarms!”
Vom Auftreten des Alarms bis zu Dukes Antwort hatte es nur 27 Sekunden gedauert.
Die Krise schien erst einmal behoben, und Duke konnte wieder andere Angaben durchgeben, vor allem, dass der Schub des Raumschiffes 6 Minuten und 25 Sekunden nach der Triebwerkszündung reduziert werden sollte, um auf die Landestelle einzuschwenken.
Doch Aldrin meldete sich sofort wieder: “Derselbe Alarm, und scheinbar taucht er immer dann auf, wenn wir ein 16/68 drin haben.”
Aldrin hatte damit schneller als die Kontrolleure in Houston erkannt, wass den Computeralarm ausgelöst hatte. 16/68 war die Kombination, die den Computer anwies, den Höhenunterschied zwischen dem PGNCS und dem Radar anzuzeigen.
Steve Bales reagierte sofort: “Wir beobachten die Delta-H-Anzeige von hier aus”, sagte er. Damit wurde der Computer der Landefähre zunächst entlastet. Duke gab dies an die Besatzung weiter. Dies alles hätte durchaus zum Abbruch der Mission führen können, und wenn sich nicht zwischenzeitlich die Verbindung zwischen “Eagle” und Houston stabilisiert hätte, wäre es auch sicher so gekommen.
Damit schien das Schlimmste überstanden zu sein. Der Höhenunterschied zwischen den beiden Messsystemen löste sich langsam auf, die Flugbahn wurden vom Computer entsprechend korrigiert. Bei 6 Minuten und 25 Sekunden erfolgte die Schubdrosselung, und Aldrin sagte: “Hier drin merkt man es richtig, wenn der Schub gedrosselt wird. Besser als im (stationären) Simulator.”
Nun begann sich die “Eagle” wieder so aufzurichten, dass Armstrong erneut die Mondoberfläche durch sein Fenster sehen konnte. Der Landeanflug stand bevor.
“Sind jetzt bei 7 Minuten, von hier sieht alles großartig aus, Eagle”, kam die Stimme von Charlie Duke aus den Empfängern.
Wenige Sekunden später wandte sich Bob Carlton an Gene Kranz. Er war der Verantwortliche Kontrolleur für die Triebwerkssysteme der Mondfähre und für den Treibstoff.
“Sie sollen die Treibstoffanzeige 2 beobachten”, sagte er.
Es gab zwei unterschiedliche Anzeigesysteme für die Messung des verbliebenen Treibstoffs. Bob Carlton war der Meinung, dass das System Nr. 2 das genauere System war.
“CapCom, sie sollen Treibstoffsystem 2 beobachten, das ist kritisch”, befahl Kranz, doch Carlton unterbrach ihn.
“Nur Treibstoffsystem 2, wir wollen nicht sagen, es sei kritisch.” “Verstanden”, bestätigte Kranz, und Charlie Duke funkte: “Eagle, hier Houston: Beobachtet bitte die Treibstoffanzeige 2.”
“Verstanden, Treibstoffanzeige 2”, kam die sofortige Antwort.
Armstrong wandte sich zu seinem Kollegen Aldrin um: “Wir sind gleich bei 8 Minuten”, sagte er. Sie waren weit gekommen, nur noch 4115 Meter über der Mondoberfläche, und wenn alles gut ging, würden sie in weniger als 5 Minuten landen.
“Bitte gebt uns den voraussichtlichen Zeitpunkt für das Umschalten, Houston”, bat Aldrin. In Houston musste niemand nachfragen, welches Umschalten er meinte. In wenigen Sekunden wurde das Programm 63 durch das Programm 64 des Computers abgelöst, das das Triebwerk in den direkten Landeanflug brachte.
“Noch 30 Sekunden”, verkündete Duke. Eagle befand sich zu diesem Zeitpunkt 2130 Meter über dem Boden. Die Zeit verstrich, und auf die Sekunde genau sprang das Programm um. Für die Männer im Kontrollzentrum mochte es so scheinen, als hätten sie das Gröbste überstanden: Das Raumschiff fiel dem Mondboden entgegen, war noch 1500 Meter hoch und ging schnell tiefer.
Nun war es Zeit für die letzte Entscheidung in Houston: Go oder No go for landing? Gene Kranz fragte seine Flight Controller, aber niemand hatte etwas zu beanstanden. 9 Minuten nach der Triebwerkszündung erhielt die Eagle-Besatzung die Erlaubnis zur Landung. Und immer wieder wurde den Männern von Charlie Duke bestätigt: “You’re looking great”, “ihr seht gut aus.” Das war auch das einzige, was zum Beispiel die deutschen Fernsehberichterstatter von den Funkgesprächen wirklich verstanden. Woher sollten sie wissen, was Delta-H, PGNCS, AGC und ähnliche Begriffe bedeuteten? Hätte ich damals vor dem Fernseher gesessen, und hätte ich den Originalfunkverkehr hören können, ich hätte auch nur gehört, dass alles wunderbar war. Vielleicht mit Ausnahme der Programmalarme, deren Codes ich auch nicht gekannt hätte, und die ich also nicht hätte entschlüsseln können.
“Alles klar. Verstanden. Freigabe für die Landung. Höhe: 915 Meter”, gab Aldrin durch, nachdem er die Freigabe erhalten hatte. Die Mondlandefähre richtete sich auf, und Neil und Buzz erhielten wieder Sicht auf die Mondoberfläche. Bevor sie einen Blick darauf werfen konnten, meldete sich unerwartet der Computer mit einem weiteren Programmalarm, diesmal mit der Codenummer 1201. Doch Steve Bales brauchte nur zu rufen: “Ignorieren, ist derselbe Typ”, und die Angelegenheit war erledigt. Schwieriger war, dass der computer für eine kurze Zeit so überlastet war, dass er die gesamte Anzeige stilllegte, doch auch das ging vorüber.
Etwas mehr als neuneinhalb Minuten waren vergangen, seit das Triebwerk gezündet hatte. Rund 610 Meter trennten “Eagle” noch von der Oberfläche, sie sanken mit rund 15 Meter pro Sekunde dem Mondboden entgegen. Neil Armstrong blickte aus dem Fenster und sagte etwas angespannt zu Buzz: “Gib mir einen LPD.”
Der Landepunktanzeiger (landing point designator) war ein sehr primitives Gerät. Er bestand aus vertikalen Gradeinteilungen, die auf Armstrongs Fenster gemalt worden waren. Wenn er vom Computer eine Gradzahl erhielt und genau der Linie mit den Augen folgte, die er sah, wenn er auf die Gradeinteilung seines Fensters schaute, konnte er sehen, wo der Computer das Schiff landen wollte.
“47 Grad”, antwortete Buzz. Inzwischen wurden sie von Duke unterbrochen, der ihnen sagte, dass alles nach Plan verlief. Dann tauchte auch wieder ein Programmalarm auf. Buzz registrierte ihn, er war derjenige, der sich um den Computer kümmerte, während Armstrong die Steuerung und den Mondboden im auge behielt. Wieder kam von Houston die Anweisung, den Alarm zu ignorieren.
Wie mögen sich die Beiden Astronauten gefühlt haben. Auf der einen Seite mussten sie konzentriert ihre Arbeit erledigen, auf der anderen Seite trommelten immer wieder Problemnachrichten und Alarme auf sie ein. Sie befanden sich über einem zwar gut kartographierten, aber doch fremden Himmelskörper, wussten aber nicht, wo sie waren, und mussten eine geeignete Landestelle ausfindig machen. Vielen Leuten wäre in dieser Situation wohl ein Film ihres Lebens vor ihrem geistigen Auge entstanden, aber eigentlich hatten Armstrong und Aldrin dazu keine Zeit. Auch die Flight Controller in Houston hätten bei so vielen Problemen in so kurzer Zeit auch verzagen können, oder sie hätten auf Sicherheit setzen und die Mission abbrechen können. Dies hier, der Landeanflug selbst und der spätere Mondspaziergang, war der einzige Teil der Mission, der noch nie geübt worden war, außer in den Simulationen. Ein Teil der Faszination dieser Geschichte liegt darin, dass sie nicht aufgegeben, nicht abgebrochen haben.
“Was ist der LPD-Winkel?” fragte Armstrong erneut. Das Raumschiff richtete sich immer noch auf, der Winkel hatte sich wieder verschoben. “35 Grad”, entgegnete Aldrin.
“Okay.”
Doch Aldrin machte sofort weiter: “213 Meter Höhe, Sinkgeschwindigkeit 6,4 Meter pro Sekunde, LPD-Winkel jetzt 33 Grad.”
Seit der Triebwerkszündung waren genau 10 Minuten vergangen, als Armstrong sagte: “Ziemlich steinige Gegend.”
Er hatte entdeckt, dass der vorgesehene Landeplatz nicht geeignet war. Dort lagen große Geröllbrocken herum, und der Landeort lag am Innenhang eines großen Kraters.
“Ich werde”, begann Armstrong, sprach aber nicht weiter, sondern übernahm die manuelle Steuerung. Noch immer hatte die “Eagle” 150 Meter Höhe.
Sie flogen über den anvisierten Krater hinweg, Armstrong musste weiter vorne nach einer Landestelle suchen, doch er hatte nicht unbegrenzt Zeit dazu. Er verlangsamte die Sinkgeschwindigkeit und erhöhte die Vorwärtsgeschwindigkeit, Aldrin gab ihm immer die aktuellen Werte durch: “122 M Höhe, runter mit 2,7 M/S, 64 KM/H vorwärts.”
Im Kontrollzentrum in Houston hatte der Chef der Astronauten, Deke Slayton, der sich neben Charlie Duke gesetzt hatte, den CapCom aufgefordert, nicht mehr so viel zu reden. Auch Gene Kranz griff das auf. “Lasst uns still sein, nur noch Treibstoffprobleme melden”, ordnete er an. Und das war nötig. Denn durch die verschiedenen Manöver hatte die Besatzung der “Eagle” mehr Treibstoff verbraucht, als ursprünglich geplant war. Duke sollte sich nicht mehr bei der Besatzung melden, sie nicht ablenken und keine negativen nachrichten durchgeben. Sie mussten sich konzentrieren und wussten selbst, wie gefährlich die Situation war. Sie mussten über einen recht großen Krater fliegen und wussten noch nicht, was sich dahinter befand.
“101 M Höhe, mit 1 M/s runter”, sagte Aldrin ruhig. Er selbst musste sich voll auf die Computeranzeigen verlassen, er konnte nicht hinunter auf den Mond blicken.
“Okay, du fliegst nur horizontal!” Jetzt hatte Armstrong den Sinkflug vorläufig völlig aufgehoben, um über den Krater hinwegzufliegen. Schon zuvor hatte er gesagt, dass es schwieriger sei, als es im Simulator aussah. Jetzt musste er sich vollkommen konzentrieren. “0,5 M/S runter, 82 M Höhe”, sagte Aldrin, als Armstrong wieder in den Sinkflug überging.
10 Minuten und 47 Sekunden nach der Triebwerkszündung fragte Armstrong: “Wie sieht’s mit dem Treibstoff aus?”
Aldrin antwortete sofort: “8 %.”
Das war nicht mehr besonders viel. In Houston zückte Bob Carlton seine Stoppuhr. Sobald die Lampe für eine kritisch geringe Treibstoffmenge aufleuchtete, würde die Crew nur noch 94 Sekunden zur Landung haben. Wenn sie bis dahin nicht gelandet war, musste sie binnen 20 Sekunden landen oder abbrechen.
“Okay. Hier ist eine … Die Stelle hier sieht gut aus”, gab Armstrong kurze Zeit später bekannt. In Houston hielt man den Atem an. “Ich sehe unseren Schatten”, ließ sich Aldrin vernehmen, sie hatten noch etwas mehr als 75 Meter Höhe.
In den Fernsehsendern blieb es eine gut geplante Bilderbuchlandung. Dass Armstrong eine Katastrophe verhinderte, indem er beherzt in die Steuerung griff, um ein Geröllfeld zu überfliegen, in dem Felsen lagen, die die Größe von Autos besaßen, bekam man zumindest in Deutschland nicht mit. Man hörte nur, wenn man genau aufpasste, Aldrins ständige Ansagen.
“1 M/S runter, 67 M Höhe, 14 KM/H vorwärts.”
Es entstand eine kurze pause, dann sagte Aldrin: “12 KM/H vorwärts, kommen schön runter.”
Armstrong hatte entdeckt, dass die von ihm zuerst ausgesuchte Landestelle doch nicht so geeignet war. Darum sagte er jetzt: “Ich werde direkt über diesen Krater fliegen.” Es war nur ein kleiner Krater, aber erst dahinter konnte Armstrong ein relativ ebenes Feld ausmachen. “30 M Höhe, 1 M/S runter, 10 KM/H vorwärts, 5 % Treibstoff”, verkündete aldrin. Es war der Moment, in dem in Houston Bob Carlton auf seine Stoppuhr drückte und “Low Level” sagte, der Treibstoff war fast aufgebraucht. Später sagte Carlton: “Als ich die Stoppuhr einschaltete, war ich sicher, dass wir nicht landen würden, wir waren noch lange nicht am Boden.”
Währenddessen las Aldrin für Armstrong, der das Raumschiff mit ruhiger Hand und schnellem Pulsschlag steuerte, weiter die aktuellen Daten vor. “Okay, 23 M Höhe und es sieht gut aus. 0,15 M/S runter, 6,6 KM/H vorwärts.”
11 Minuten und 51 Sekunden nach der Zündung sagte Duke über die Funkleitung: “60 Sekunden.” Die deutschen Rundfunk- und
Fernsehkommentatoren interpretierten diese Aussage falsch. Sie vermuteten, es dauere noch 60 Sekunden bis zur Landung, dabei war die Zeit gemeint, die bis zu einer Abbruchentscheidung wegen zu wenig Treibstoff verblieb. Der Fehler war verzeihlich, niemand erklärte, worauf sich die 60 Sekunden bezogen, und in dieser dramatischen, atemlosen Situation sprach auch der Presseoffizier der NASA nicht, um den Medien Gelegenheit zu geben, den Funkverkehr ungestört verfolgen zu können. Man muss sich klar machen, dass die Mission kurz vor dem abbruch stand, und es war absolut nicht sicher, ob dieser Abbruch, der Wiederaufstieg der Mondfähre und das Andocken an die “Columbia” gelingen würden.
“Noch 18 M Höhe, 0,8 M/S runter, 2,2 KM/H vorwärts. Gut so”, meinte Aldrin ruhig. Obwohl er nicht aus dem Fenster sehen konnte, und obwohl Armstrong schwieg, war ihm klar, dass der Kommandant eine geringe Vorwärtsdrift haben wollte, um nicht bei der Landung nach hinten wegzurutschen, zum Beispiel in ein Loch, das er nicht gesehen oder wieder vergessen hatte.
“Jetzt 12 M Höhe, 0,8 M/S runter, wirbeln etwas Staub auf.”
In Houston ahnte man zumindest, was Armstrong später bestätigen sollte: Der aufgewirbelte Staub verschlächterte die Sicht. Doch jetzt gab es keine Alternativen mehr. Wenn sie nicht abbrechen wollten, mussten sie runter.
“9 M Höhe, 0,8 M runter, schwacher Schatten.”
Später hat Neil Armstrong einmal gesagt, er hätte die “Eagle” einfach auf den Mondboden fallen lassen, wenn ihnen in 10 Metern Höhe der Treibstoff ausgegangen wäre. unter einem sechstel der normalen Schwerkraft wäre es so, als wäre das Schif nur 1,5 Meter gefallen. Armstrongs berechnender Mut war bekannt und umstritten. Er hatte sich gegen zu vorsichtiges Herantasten schon in den Vorbesprechungen gewehrt und sich als Kommandant die letzte Entscheidung über Abbruch oder Durchführung der Landung vorbehalten, sehr zum Unwillen seiner Vorgesetzten. Doch er konnte seine Meinung immer mit Fakten
unterfüttern, was ihm großen Respekt einbrachte. Er war kein Draufgänger, aber ein Mann, der seine Möglichkeiten ausschöpfen wollte. “4,4 KM vorwärts, vorwärts, treiben etwas nach rechts, 6 M Höhe, runter 0,15 M/S.”
12 Minuten und 20 Sekunden nach dem Start meldete sich Duke mit der knappen Durchsage: “30 Sekunden.”
Armstrong schien ihn einfach zu überhören, für ihn stand fest, dass sie landen würden. Auch Aldrin hatte andere Dinge zu tun. Vermutlich registrierten sie den Anruf im Unterbewusstsein, aber ihre Konzentration war ganz woanders.
“Bewegen uns ganz leicht vorwärts. Ist das richtig so?” fragte Aldrin. “Ja”, bestätigte Armstrong, und obwohl er nicht sehen konnte, was draußen vor sich ging, antwortete Aldrin einfach nur: “Okay.”
12 Minuten und 29 Sekunden nach der Triebwerkszündung sagte Aldrin laut: “Kontaktlicht!” Es bedeutete, dass einer der 1,7 Meter langen Fühler, die an den Landebeinen der “Eagle” angebracht waren, den Mondboden berührt hatte. 4 Sekunden später fuhr er mit etwas Aufregung in der Stimme fort: “Okay, Triebwerk stopp, ACA Ausgerastet.” Das ACA war der Steuerknüppel des Raumschiffes.
“Moduskontrolle, beide AUTO. Übersteuerung beim Triebwerk der Landestufe, Aus. Hauptschalter Triebwerk, Aus. 413 ist drin.” Die Programmadresse 413 teilte dem Computer die Landung der Mondfähre mit.
Für zwei Sekunden war es still überall auf der Welt, so stelle ich es mir vor. Es fehlte noch die offizielle Bestätigung, aber man konnte wissen, dass sie gelandet waren. Das erste bemannte Fluggerät der Menschheitsgeschichte hatte einen anderen Himmelskörper erreicht.
Charlie Duke in Houston konnte es nicht abwarten. Er war schon die ganze letzte Stunde sehr aufgeregt gewesen, hatte seine Aufgabe aber sehr gut gemeistert. Jetzt platzte es aus ihm heraus, noch bevor sich Armstrong offiziell meldete:
“Wir verstehen, ihr seid unten, Eagle.”
Um 16:10:01 Uhr houstoner Zeit (21:18:01 Uhr deutscher Zeit) sagte Neil Armstrong in perfekter Ruhe: “Houston, hier ist Basis Tranquility. Eagle ist gelandet.”
Duke war froh und glücklich, als er unter dem Applaus des gesamten Teams antwortete: “Verstanden, Twan … Tranquility. Wir verstehen, dass ihr gelandet seid. Eine Menge Jungs hier unten sind schon blau angelaufen, aber jetzt atmen wir wieder. Vielen Dank.”
“Danke ebenfalls”, kommentierte Aldrin.
Im Kontrollzentrum Houston brach ein unbeschreiblicher Jubel aus, und Gene Kranz hätte gern eingestimmt, wäre aufgesprungen und hätte seinem Team die Hand geschüttelt. – Doch schon wenige Sekunden später musste dieses Team anhand seiner Daten entscheiden, ob die Astronauten zumindest kurz auf dem Mond bleiben konnten. Für einen Moment brachte Kranz, so erzählte er später, vor Freude kein Wort heraus, dann schlug er mit dem Arm auf seine Konsole, wodurch alle erschraken und der Bann sich löste.
“Stille im Kontrollraum, eine Halbe Minute bis zur Entscheidung über Bleiben für T1!”
Mühsam rissen sich die Controller von ihrem Jubel und ihrer Freude los. Die Arbeit war nicht beendet. Was, wenn die Bodenverhältnisse nicht gut waren? Was, wenn die Fähre einzusinken oder abzurutschen drohte? Was, wenn irgendein System nicht richtig funktionierte? Sie mussten sich wieder konzentrieren und ihre Arbeit fortsetzen.