Der Gouverneur von Jajarkot

Das riesige fast klobige Haus war früher der Palast des Königs von Jajarkot. Der König lebt längst in Katmandu und sein Königssitz steht nun der Distriktregierung zur Verfügung. Den dünnen Vorhang schwinge ich zur Seite und dann bin ich im langen Saal. Als Projektleiter des Entwicklungsprogramms besuche ich den Distrikt-Gouverneur immer wieder mal, wenn ich in Khalanga bin. Der Saal ist vielleicht fünfzehn Meter lang. Am andern Ende, hinter einem mächtigen Schreibtisch, sitzt der füllige Mann. Fast lauernd wirkt er auf mich. Es ist kühl und riecht nach Sandelholz und Macht. Links und rechts der Wand entlang stehen in zwei langen Reihen Polstersessel nebeneinander. Sie sind alle mit demselben, olivfarbenen Leinen bedeckt, und etwa ein Dutzend Leute sitzen da.

Die Fenster sind bogenförmig und die grossen Holzrahmen reich mit Schnitzereien verziert. Ich blicke raus – dort stehen einige Polizisten im Hof. Dahinter die enorme Weite. Die phantastische Landschaft Nepals.Der mächtige Behri River schlängelt sich weit unten im Tal, der Horizont ist gesäumt von endlosen grünen Hügelzügen. Einige Bauern warten unten auf dem Mäuerchen auf die Hilfslieferungen von Reis, die hier später verteilt werden.

Drei der Leute, sie sitzen ganz vorne links, sind Meldeläufer. Sie warten auf einen Wink des Gouverneurs, um mit einem Zettel in ein anderes Büro zu eilen. Den kleinen drahtigen Mann vorne rechts kenne ich, es ist einer der Spione. Der Gouverneur ist verantwortlich für den ganzen Distrikt Jajarkot. Zahllose vollamtliche Spione reisen pausenlos durch den weglosen und zerfurchten Himalaja Distrikt. Hundertzwanzigtausend Menschen leben da, und es gibt keine Straßen, keine Telefone, kein Funk. So weiß der Herr Gouverneur schneller als man denken kann, dass in Pauk einer der Dorfschullehrer mit dem Cousin des Schahs in eine Schlägerei verwickelt war. Der Spion berichtet ihm leise und doch verständlich, dass es in Thalaraikar immer noch nicht genügend regnen würde für den Reis. Der mächtige Mann guckt fast muffig, aber die kleinen Äugelein bewegen sich listig und unruhig hin und her.

Neben den Meldeläufern sitzen auf der linken Seite weitere vier Männer. Sie sind sauber angezogen und tragen alle den typischen Nepalesischen Topi auf dem Kopf. Sie unterhalten sich miteinander. Zwei sind Händler, sie wollen sich über die zu tiefen Festpreise von einigen Lebensmitteln beschweren. Der Dritte ist ein Lehrer und wollte um Versetzung bitten. Der Vierte wollte sich wohl einfach wieder mal zeigen – er guckt seine schwarz polierten Schuhspitzen an. Gegenüber den Meldeläufern, gleich neben dem Spion, sitzen zwei Berater des Gouverneurs. Der eine liest eine Zeitung und der andere macht sich gelangweilt Notizen in einen Block, der ihm auf den Knien liegt. Zwei zerlumpte, barfüßige Bauern sitzen neben den Beratern, steif und unsicher. Vielleicht sind sie in einen Gerichtsfall verwickelt und wollen vom mächtigsten Mann des Distrikts Rechtsprechung.

Ich lasse mich mit Indra, meinem Kollegen, am Ende der Reihe in den Sessel fallen. Wir unterhalten uns leise. Der Gouverneur schenkt uns keine Beachtung. Ich blättere in meinem Notizbuch. Er klingelt mit einer riesigen Fahrradglocke und ein Diener erscheint. Er gibt ihm einen unverständlichen Befehl und der verschwindet. Draußen hört man Pferdegetrappel. Und plötzlich wendet sich der Gouverneur mit einem strahlenden Lächeln an mich – was gibt’s Neues? Ich antworte ein paar Sätze und bald schon spricht er wieder mit einem der Geschäftsleute. Ein Bote bringt einen Zettel und er unterzeichnet. Ein Bauer kommt und will jodiertes Salz haben, er schickt ihn weg und wendet sich plötzlich wieder zu mir. Er ist freundlich. Fragt nach unserem Projekt, nach den Alphabetisierungsklassen in Gurkhakot und ob wir wieder Probleme in Matellaphul gehabt hätten.

Nach einer halben Stunde gehen wir wieder. Draußen salutiert ein Polizist einem Mann zu. Ich schreite die zierliche Treppe runter. Riesige Risse in der Wand des Palastes erinnern an das große Erdbeben im letzten Jahr. Damals landete der Premierminister mit dem schnittigen Helikopter auf dem Platz vor dem Palast und brachte Zelte. Vom Gouverneurssitz zuoberst auf der Bergspitze vom Khalanga führt ein feierlicher Steinweg steil runter ins Dorf. Ich versuche meine Gedanken aus der Märchenwelt wieder in meinen Körper zurückzuholen.

Während der Neunzigerjahre habe ich mit meiner Familie im Rahmen eines Entwicklungsprogramms im Westhimalaja gelebt. Aus dieser Zeit stammen diese Zeilen.

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