Der goldene Handschuh – Heinz Strunk

Der-goldene-handschuh-heinz-strunk-rezension“Verlangen ist die Quelle aller Konflikte, aller Massaker, allen Leids, ein Feuer des Bösen.”

„Dieses Buch [ist] eine Zumutung, eine große und zugleich humane Zumutung“, schrieb bereits der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube in seiner Besprechung über Der goldene Handschuh von Heinz Strunk. Recht hat Herr Kaube. Schon allein das Buchcover schockierte mich. Zu sehen ist ein entsetzlich entstellter Mann, der sofort tiefes Mitleid auslöst. Seine deformierte Nase sitzt schief im Gesicht, seine traurigen Augen schielen in verschiedene Richtungen. Es handelt sich um den berühmten Frauenmörder aus Hamburg, Fritz Honka. Der Name war mir bis zur Lektüre des Romans nicht geläufig, dafür bin ich zu jung, die Morde spielten sich in den 70er Jahren ab. Mit dem Buchcover war es das noch nicht, erst mit Beginn der Geschichte sollten Gefühle der Beklemmung und vor allem Ekel seinen Lauf nehmen.

Augenmerk der Handlung im Roman liegt auf dem trostlosen Alltag von Fritz Honka, der sein Dasein hauptsächlich in der titelgebenden Hamburger Kneipe der goldene Handschuh fristet. Honka wird hier Fiete genannt. Im goldenen Handschuh kommen Menschen zusammen, die der Gesellschaft und dem normalen Leben völlig abgerückt sind: Verrückte, Irre, Wahnsinnige, Schläger, Diebe oder Mörder. Alle sind dem Alkohol hoffnungslos verfallen, alle leiden. Niemand nimmt Notiz vom anderen, jeder versumpft für sich allein und macht dabei den anderen noch nieder.

Fiete ist ein armes Würstchen unter ihnen. Er fühlt sich einsam, sehnt sich nach einem normalen Leben. Seine Kindheit und Jugend waren schrecklich, er musste, angefangen bei Misshandlungen über Schlägereien bis hin zu Vergewaltigung, sogar einen Mordversuch über sich ergehen lassen. Einen Menschen, der sich für ihn interessierte, gab es nie. Nur einmal für nur zwei Jahre, als er aus der DDR geflohen ist und sich der Bauer Geerdes um ihn gekümmert hat. „Die siebzehn Jahre davor hatte es kein Glück gegeben, und die siebzehn Jahre danach auch nicht.“

Das anfängliche Mitgefühl schlägt jedoch ganz schnell in Ekel und Abneigung um. Nüchtern und sachlich beschreibt Strunk, wie die Menschen im goldenen Handschuh miteinander umgehen. Alle machen sich gegenseitig fertig, man bekommt ein Bild von einer Gesellschaft, in der hemmungslos gesoffen, gebrüllt, gepöbelt und geprügelt wird. Niemals werden die Figuren jedoch bewertet, nichts wird entschuldigt oder geschönt. der Leser von dem Treiben denkt, wird ihm selbst überlassen. Der Erzähler befindet sich mitten unter den Säufern, ist ein Teil von ihnen und beobachtet nur. Den Gestank von Schweiß, Alkohol und anderen Exkrementen kann man dank Strunks einfühlsamen Sprache fast riechen.

Die Erzählperspektive übernimmt ein auktorialer Erzähler, der sich teilweise in der erlebten Rede jedoch ganz nah an die Figuren herantastet. Teilweise ist es erschreckend, welche verachtenden Gedanken und perversen Fantasien Fiete gegenüber seinen Mitmenschen hegt. Dann wiederum erscheint Fiete als netter und sogar sympathischer Nachbar von nebenan, der einfach nur versucht, sein kaputtes Leben wieder in den Griff zu bekommen.  Hier steigt Hoffnung nicht nur bei Fiete, sondern auch beim Leser auf. Fiete erhält einen Job als Nachtwächter und damit eine Chance auf ein normales Leben. In der ersten Zeit trinkt er sogar weniger, nimmt Abstand vom goldenen Handschuh und unternimmt Ausflüge. Doch Fiete ist nicht stark genug und noch bevor er selbst es merkt, gerät sein Leben endgültig aus den Fugen. Er ermordet und verstümmelt vier Frauen, ihre Leichen versteckt er in seiner Wohnung. Nur durch ein Feuer, der sich im Haus ereignet, entdeckt die Feuerwehr die Leichen.

Kurze Pausen zum Durchatmen erhält der Leser durch zwei parallel verlaufende Handlungen. In einer ebenfalls schonungslosen und nüchternen Sprache schildert Strunk das Leben dreier Generationen einer ehemals wohlhabenden Reeder-Familie. Sie haben nichts mit Fiete zu tun, dennoch hat diese Komposition einen wichtigen Grund: Nur so gelingt es Strunk zu zeigen, dass sich nicht nur im goldenen Handschuh die tiefsten Abgründe auftun, im Gegenteil, Alkoholmissbrauch und sadistische Gewaltfantasien gibt es in jeder Gesellschaftsschicht, egal ob arm oder reich. Selbst junge Menschen sind nicht davor gefeit, wie Strunk es an dem pubertierenden WH3 beweist.

Mit Der goldene Handschuh erzählt Heinz Strunk auf eine grotesk komische und zugleich erschütternde Weise das Leben eines Frauenmörders, ohne sich Urteile oder Bewertungen zu erlauben. Er nähert sich literarisch einer Gesellschaft, in der sich Menschen nach Glück und Anerkennung sehnen, die es jedoch nicht aus der trostlosen, kaputten und grausamen Welt schaffen. Der Roman ist nichts für Zartbesaitete, wer jedoch mit roher Gewalt und Fäkalsprache zurechtkommt, sollte dieses Werk lesen.

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh. Rowohlt. Hamburg 2016. 256 Seiten. 19,95 Euro.



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