Der Glaube versetzt Märkte

Von Oeffingerfreidenker

Von Marc Schanz
Liebe Marktradikale, 
ihr seit auf einer heiligen Mission, ihr wollt alle von den Segnungen des Marktes überzeugen und ausnahmslos jeden zur Religion der Marktgläubigkeit bekehren. Euer Glaube sagt euch, dass ihr das Recht auf eurer Seite habt, denn der Markt ist noch unfehlbarer als der Papst selbst. Es gibt keine Alternative zur Religion der Marktgläubigkeit, denn ohne die Allgegenwärtigkeit des Marktes wird es kein Paradies auf Erden geben. Die Erlösung aller ist nah, nur sind wir leider noch zu dumm, das auch zu verstehen.
Der Markt ist nach heutigem Erkenntnisstand die effizienteste Form des Wirtschaftens. Ihr Marktjünger aber sagt, der Markt kann noch mehr, er hat magische, nein, göttliche Kräfte! Ausnahmslos alle würden von den Segnungen des freien Markts profitieren, wenn man ihn nur endlich ließe. Er verfügt sogar als einziger über die erstaunliche Fähigkeit, in die Zukunft schauen zu können und nimmt daher wie von Zauberhand alle nur erdenklichen Risiken vorweg. Nicht nur das, er hat auch einen eingebauten Öko-Schutz, denn der Respekt vor der Umwelt und der Natur ist der Zwillingsbruder der Rendite. Das ist aber noch längst nicht alles! Der Markt wird uns, wenn wir alle nur noch den einen, wahren Gott anbeten und uns alle dabei ganz fest an den Händen halten, den Weltfrieden bringen!
An dieser Stelle des “Marktunsers” verdrücke ich immer eine humanistische Träne, denn ihr marktradikale Schlechtmenschen habt tief in euch drinnen doch einen menschlichen Kern und wollt ja einfach nur die besseren Gutmenschen sein. Leider ist euer Glaube nicht nur abgrundtief naiv, er ist auch äußerst gefährlich – aber Hand aufs Herz, das wisst ihr kleinen Heuchler doch schon längst selbst! 
Wieso kann der Markt all die Wundertaten nicht vollbringen, die ihr uns in verheißungsvollen Worten versprecht? Ihr habt ja nicht in allem Unrecht, der Markt könnte sogar eines eurer kruden Versprechen einlösen und zwar das der Effizienz. Nur müssten dazu ideale Bedingungen herrschen, in dem eine nahezu völlige Markttransparenz gewährleistet würde und die Marktmacht der Teilnehmer in etwa gleich verteilt wäre. Doch die Welt ist nicht ideal, in der harten Realität setzt sich meist der finanzstärkste Marktteilnehmer durch. Das eine solche Machtentscheidung weder alle Aspekte angemessen berücksichtigen kann, noch automatisch dem Allgemeinwohl dient, ist schon seit den Zeiten des John Maynard Keynes bekannt: 

“Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.”
Wie wahr diese alte Erkenntnis ist, macht die Dauerkrise überdeutlich sicht- und auch erlebbar. Wer euch Radikale etwas besser kennt, weiß natürlich, dass dies kein Zufall ist. Die Krise wurde ermöglicht, indem aufgrund marktradikaler Glaubenskonzepte die Märkte dereguliert und somit enthemmt wurden. Seit wir der irrsinnigen Idee verfallen sind, die Krise mit genau den marktradikalen Strategien zu bekämpfen, welche die Krise erst verursacht haben, will sie sie einfach kein Ende nehmen. Für uns Ungläubige erscheint alles wie ein böser Traum, doch für euch Marktradikale ist die Welt in bester Ordnung. Die Krise ist nämlich ein Geschäft, dass ihr euch keinesfalls entgehen lassen könnt. Solange ihr an Krise verdient, solange ihr mit ihrer Hilfe alles auszuquetschen könnt bis es nichts mehr auszuquetschen gibt, solange wird die Krise bestehen. Ein Ende der Krise wäre für euch die reinste Hölle! 
Meine lieben Marktradikale, ihr hasst den Staat. Ihr werft ihm ständig vor, er sei nicht effizient. Das ist richtig, aber genau so gut kann ich einer Schnecke den Vorwurf machen, wieso sie denn keine Überschallgeschwindigkeit erreichen kann. Der Staat erfüllt zahlreiche Aufgaben, die eben nicht effizient sein müssen. Zum einen muss der Staat entsprechende Strukturen bereitstellen, die überhaupt erst das Wirtschaften ermöglichen, und zum anderen muss er sicherstellen, dass unserer erwirtschafteter Wohlstand nicht einfach wieder zerfällt. 
Wohlstand gibt es nicht umsonst, wenn wir ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungssystem haben wollen, wenn wir unsere kulturelle Vielfalt bewahren möchten, müssen wir auch dafür bezahlen. Selbst der unter Kritik geratene Sozialstaat produziert nicht nur Kosten, sondern er reduziert sie auch an anderer Stelle: er vermindert die Kriminalität und stärkt die Wirtschaft, da in Not geratene nicht sofort von der Teilnahme an der Gesellschaft und dem Markt ausgeschlossen werden. Ihr sagt, wir können uns das alles nicht mehr leisten, dafür sei kein Geld mehr da, doch das ist eine Lüge. Nicht die Ausgaben und die Schulden sind das Problem, sondern die Verteilung des Vermögens gepaart mit einer irrationale Panik vor einem Schuldenkollaps, die sich tragischer weise als selbst erfüllende Prophezeiung erweisen könnte.
Ihr macht den Staat für seinen Schuldenberg verantwortlich. Ihr werft ihm vor, einfach alles auf die nachfolgende Generation abzuwälzen. Wer möchte euch da widersprechen? Natürlich sind die Schulden eine Bürde, aber sie sind nicht nur schlecht, sie haben auch eine Funktion. Sie verlagern im Grunde Ausgaben in die Zukunft, dabei werden zwar die Möglichkeiten folgender Generationen eingeengt, aber auch wichtige Verteilungsfragen geregelt. Wer nämlich generationenübergreifende Verteilungsfragen über den privaten Kapitalmarkt regeln möchte, der benötigt eine entsprechend große Menge an Verbindlichkeiten – die Staatsschulden stellen diese bereit. 
Das Glaubensgebäude der Marktradikalen reicht aus, um die Zustände in einem verelendeten Drittweltland zu erklären. Ein moderner Staat, der einflussreich genug ist, um auch die Interessen von ökonomisch Schwachen Gruppen zu vertreten, ein Staat, der Wohlstand verwalten und verteilen muss, ein Staat, der seine Zukunft verantwortungsvoll gestaltet und dafür Schulden aufnimmt, all das sprengt das dürftige Weltbild der Marktradikalen. 
Ein echter Wissenschaftler würde, stellt er eine Diskrepanz zwischen seiner Theorie und der Wirklichkeit fest, seine Annahmen in Frage stellen. Radikale verfügen nicht über diesen Lösungsweg, ihre Ideologie lässt keine Kritik zu und sie fordern daher, dass sich die Wirklichkeit ihrer einfältigen Welt anzupassen hat. Leider konnten sich die Marktradikalen mit dieser wahnsinnigen Logik sogar durchsetzen: an den europäischen Krisenländern wird erfolgreich erprobt, wie schnell ein moderner Staat und seine Gesellschaft implodieren können. 
Liebe Marktradikale, ihr wollt eine Welt, in der nur die Stärksten überleben, in der es gerecht ist, wenn die Starken den Kuchen nur unter sich aufteilen. Ihr wollt, dass alle ohne Schutz den Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt sind. Schwache, nutzlose Menschen sind in euren Augen an ihrem Schicksal selbst schuld und haben daher ihre Teilnahme an der Gesellschaft verwirkt. Gemäß eurer Ideologie dürfen wir nicht vorsorgen, sondern müssen immer und jederzeit dem ökonomischen Überlebenskampf ausgesetzt sein. Kurzum, ihr möchtet ein Ende der modernen Zivilisation, in der wir derzeit leben, weil ihr sie als Gutmenschentum verachtet. 
Liebe Marktradikale, ihr ward schon immer und ihr werdet immer Schlechtmenschen sein.