Der Geschmack von Rost und Knochen

Erstellt am 31. Dezember 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© Wild Bunch/Central / Marion Cotillard als Stéphanie in Jacques Audiards “Der Geschmack von Rost und Knochen”

Der letzte Film des französischen Regisseurs Jacques Audiard“Un prophète“ – ging als heißbegehrter Erfolg durch die Medien, wurde von den Kritikern gelobt, erhielt nach seiner Premiere bei den 2009er Filmfestspielen von Cannes, wo er für die Goldene Palme nominiert war und den Großen Preis der Jury gewinnen konnte, internationale Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch die Oscar Nominierung für den besten fremdsprachigen Film. Natürlich wartete man nun darauf, wie Audiard hiernach weitermachen würde. Die Antwort folgt nun mit „Der Geschmack von Rost und Knochen“, erneut mit einer Premiere in Cannes, erneut im Rennen um die Goldene Palme, leider erneut erfolglos. Das soll nicht heißen das es dem Film, der auf der Kurzgeschichtensammlung „Rust & Bone“ des kanadischen Schriftstellers Craig Davidson beruht, an Qualität mangelt. Ganz im Gegenteil. Mit einer überaus starken Marion Cotillard in der Hauptrolle überzeugt der neue Film von Audiard durch Feingefühl im Umgang mit dem Schicksal zweier vom Leben gebeutelter Menschen, die zueinander finden und aus ihrem Miteinander neue Stärke gewinnen.

Die Geschichte beginnt im Norden Frankreichs, wo sich Ali (Matthias Schoenaerts) mit seinem fünf Jahre alten Sohn auf der Straße durchschlagen muss. Der Vater kennt seinen Sohn kaum. Ohne Geld und Freunde sucht Ali Hilfe bei seiner Schwester an der Côte d’Azur. Dort angekommen nimmt er einen Job als Türsteher in einem Nachtclub an. Doch schnell gerät er in eine Situation, wo alles außer Kontrolle gerät. Er muss zwei Streithähne voneinander trennen, wobei die Schöne Stéphanie (Marion Cotillard) in Mitleidenschaft gezogen wird. Er kümmert sich um die Frau, hinterlässt seine Nummer. Stéphanie trainiert Killerwale im Marineland und auch bei hier gerät eine Situation außer Kontrolle, nur mit weitaus schwerwiegenderen Folgen: Sie verliert ihre Beine. Nach einem Anruf beginnt Ali ihr zu helfen, auf seine ganz eigene Art und Weise, gänzlich ohne Mitleid. Und nicht nur Stéphanie findet hierdurch zurück in ihr Leben, sondern auch Ali profitiert von der gemeinsamen Zeit.

Matthias Schoenaerts als Ali

Das haben diese beiden Menschen auch dringend nötig, denn selten hat man zwei Personen so sehr am Boden gesehen, ganz gleich ob durch menschliche Unfähigkeit, wie man es Ali gerne bestätigen möchte oder durch einen Schicksalsschlag wie Cotillards Stéphanie ihn erleiden muss. Auf der einen Seite hat man nun also Ali. Ihn lernt der Zuschauer zuerst kennen, diesen Herumtreiber, der sich auf der Straße durchschlägt. Er hat seinen kleinen Sohn am Hals, mit dem er eigentlich überhaupt nichts anzufangen weiß. Er ist genervt von ihm, übernimmt aber seine Vaterpflichten, wenn auch eher schlecht als recht. Bei einem Raubzug in einem Elektronikhandel rennt er mit der erbeuteten Ware schnell davon, der kleine Mann steht verwirrt auf der Straße, schaut wo denn sein Vater abgeblieben ist. Entwarnung insofern, dass die beiden in der nächsten Szene schon wieder beieinander sitzen, aber dieses Bild zieht sich konsequent durch den Film, immer wieder wird der Sohnemann vom Vater allein gelassen, immer wieder vernachlässigt er seine Aufsichtspflicht oder gibt diese an seine Schwester ab. Stéphanie ist die zweite verlorene Seele in diesem ruhigen, trotz aller Trauer recht sonnig inszenierten Drama. Sie ist anfangs gefangen in einer Beziehung, in der sie keine Zukunft mehr sieht, ist sichtlich nicht zufrieden mit ihrer Situation. Ihre einzige Fluchtmöglichkeit ist ihre Arbeit, ihr Training mit den Killerwalen. Hier sehen die Zuschauer Cotillard zum ersten Mal lächeln, hier erstrahlt sie selbst so sehr wie die Sonne, deren Licht immer wieder von Kameramann Stéphane Fontaine (der bereits für „Ein Prophet“ mit Audiard arbeitete) eingefangen wird um das Bild in ein gleißendes weiß/gelb zu tauchen. Aber diese Heiterkeit hält nicht lange an, hält sie niemals in diesem Film, der mit hellen Bildern eine Fröhlichkeit impliziert, die sich bei den Figuren niemals so richtig einstellen möchte. Auch in der sonst so schönen Landschaft der Côte d’Azur gibt es eben tragische Schicksale – und ein solches erlebt Stéphanie mit ihrem Unfall. Der Zuschauer sieht sie nur noch als schwarzen Schatten im Wasser treiben, ein wenig Blut verleiht der Szene noch einen kleinen Rot-Stich.

Nun gilt es diese verkorksten Leben wieder aufzubauen, was sich zwar als recht mühseliges Unterfangen offenbart, aber wie immer gilt: Gemeinsam ist man stark, wie auch immer sich diese Gemeinsamkeit auch darstellen mag. Im Falle von Stéphanie und Ali als recht unkonventionell. Sie sieht in ihm nicht nur eine helfende Lebensstütze, sondern schon bald auch einen Vertrauten, einen Freund und mehr. Jemand der mit ihr wieder Liebe macht, trotz ihres entstellten Körpers. Ali nimmt sein Gegenüber als normalen Menschen wahr, lässt Stéphanie keine Sonderbehandlung zukommen, behandelt sie von Beginn an, als sei sie ein Mensch mit vollständig funktionstüchtigen Gliedmaßen. Das Lächeln, welches Stéphanie zuvor nur in Gegenwart ihrer Killerwale zeigte, findet in Anwesenheit von Ali wieder einen Weg in ihr Gesicht. Marion Cotillard kann dieses sonnenbehaftete Lächeln aufsetzen und das Glück in Person darstellen, nur um dann wenig später wieder weinend ihrer Situation wegen auf dem Boden zu liegen, alle Lebensgeister erloschen. Cotillard spielt das eine wie das andere so intensiv, das man sich unweigerlich für das Schicksal dieser Person verantwortlich fühlt, ebenso wie Ali gerne eine helfende Hand sein möchte. Wer weiß, ob man selbst so alltäglich mit ihr umgehen würde wie Ali, der sie trotz Verstümmelung dazu auffordert mit ihr schwimmen zu gehen. „Weißt du eigentlich was du da redest?“ fragt sie ihn mit ungläubigen Blicken. Er ignoriert ihre Skepsis, leitet damit die geistige Genesung ein, lockt Stéphanie aus ihrem Rückzug hervor bis sie sehnsüchtig am Strand sitzt, auf das Meer blickt und sich schließlich doch dazu entschließt, seiner Aufforderung nachzukommen.

Stéphanie (Marion Cotillard) liebt ihre Killerwale

Nicht nur in solchen Situationen, in denen Marion Cotillard die hin- und hergerissene Frau spielen muss, brilliert sie. Im gesamten Film zeigt sie eine hervorragende Leistung, bedenkt man dass ihre Beine nur per Computer entfernt wurden und sie sich in diese tragische Situation hineinversetzen musste. Ganz gleich ob anfangs im Rollstuhl, auf dem Boden kriechend, fern aller Hilfe, die sie nicht annehmen möchte oder mit Beinprothesen am Stock gehend, Cotillard wirkt stets authentisch. Hier muss nun auch die Arbeit des verantwortlichen Special Effects Departments erwähnt werden, die Cotillard hier am Computer die Beine abgenommen haben. Man fühlt sich sofort an den letztjährigen „Soul Surfer“ erinnert, wo AnnaSophia Robb dasselbe Schicksal ereilte, aber eine weitaus kleinere Schauspielkraft hierbei entfachte, wenngleich auch immer noch lobenswürdig. Nun also auch Cotillard, die in ihr Spiel den Schmerz des Verlustes sichtlich mit einfließen lässt.

Eine Gemeinsamkeit finden Stéphanie und Ali dann im Kampfsport. Ali praktiziert wilde Straßenschlägereien à la „Fight Club“. Stéphanie begleitet ihn, schaut dabei zu wie er mit all seinen Körperteilen seine Gegner zu Boden schlägt. Ihr ungewollter Unfall steht plötzlich im argen Kontrast zu den gewollten Verletzungen, die diese Straßenkämpfer sich gegenseitig zufügen. So stumpf wie Ali hier seine Kämpfe über die Bühne bringt, so schlicht scheint es auch um seine Gefühlswelt zu stehen. Nicht nur geht er uncharmant mit seinem Sohn und seiner Schwester um, bei aller Zuneigung ignoriert er das Band, das sich zwischen ihm und Stéphanie langsam aufbaut. Es erscheint, als sei sie nur ein Hobby von ihm, fleißig vögelt er weiterhin andere Frauen. Auch mit Stéphanie geht er ins Bett, sieht dies aber mehr als Training für die Frau, die ihr Selbstbewusstsein diesbezüglich gänzlich verloren hat. So wie sie mit ihren Killerwalen Bewegungen einstudiert, die Wale sie nachahmen, so erscheinen auf einmal die Bemühungen Alis nur als ein Training. Er nimmt sich Stéphanie an, wie sie sich ihren Walen angenommen hat.

Das ist der Schmerz, den „Der Geschmack von Rost und Knochen“ beim Zuschauer erzeugt, der mit ansehen muss, wie Stéphanies Liebesleben wieder auf die Beine kommt, aber von ihrem Gegenüber ignoriert wird. So erzeugt Matthias Schoenaerts durch seine Darstellung des Alis immer wieder ambivalente Gefühle beim Zuschauer, mal möchte man ihn hassen, dann aber auch wieder lobpreisen. Derweil sorgt vor allem Marion Cotillard dafür, dass man am Ende ausschließlich lobende Worte für Audiards Film übrig behalten kann.

Denis Sasse



“Der Geschmack von Rost und Knochen“

Originaltitel: De Rouille et d‘os
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: F, 2012
Länge: ca. 127 Minuten
Regie: Jacques Audiard
Darsteller: Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Céline Sallette, Armand Verdure, Corinne Masiero, Bouli Lanners

Deutschlandstart: 10. Januar 2013
Offizielle Homepage: der-geschmack-von-rost-und-knochen.de