Im Mittelalter gab es manchen Handwerker, den wir heute nicht mehr kennen, und so gab es auch an allen Verkehrswegen den Hufschmied. Dieser war wie eine Autoreparaturwerkstätte – er musste abgefallene Hufeisen wieder montieren, Nägel ersetzten oder Pferde neu beschlagen (so quasi die Winterreifen installieren).
Es gab aber auch zahlreiche weitere Schmiede. So war da der Goldschmied, der Silberschmied, der Waffenschmied – und einige hatte noch zusätzlich ihre Gießereien. Diese Schmiede arbeiteten immer in der Nähe von einem Wasserlauf, und zudem gab es einige Köhler in den umliegenden Wäldern, die sie mit Brennmaterial versorgten.
Die Waffenschmiede war auch leicht auszumachen: man hörte den hellen Klang des Hammers auf dem Metall, das klingen des Werkstückes auf dem Amboss, des nachts sah man den Feuerschein aus den Hüttenfenster und durch das ständige Herbeischaffen von Brennmaterial war die Umgebung auch meist stark mit Fußpfaden durchzogen.
Räuber hatten es damals vielleicht auf Goldschmiede abgesehen, diese eher feinen Handwerker mit ihren geschickten, spitzen Fingern, aber kaum je wurde ein Waffenschmied überfallen, denn diese waren groß gewachsen und vom täglichen Hammerschwingen bärenstark. Zudem waren sie eben immer gut bewaffnet (mit halbfertigen und vollendeten scharfen Werkstücken) und nicht zimperlich.
Auf den Landstraßen war aber auch noch ein Schmied. Der Geschichtenschmied. Er wohnte in einem Wohnwagen aus Holz, mit großen Speichenrädern, der von einem Ochsen oder einem alten Gaul gezogen wurde. Der Wagen war meist unterwegs, und sonst stand er irgendwo an einer Aue, in einer lichtdurchfluteten Waldlichtung oder auf einer einsamen Anhöhe, mit etwas Buschwerk getarnt.
Der Geschichtenschmied sah recht kauzig aus. Er hatte vielfach geflickte Leinenhosen an, und trug einen langen, schäbigen Lodenmantel. Um den Hals hatte er einen bunten Shawl gewickelt, und auf dem Kopf trug er eine schwarze Mütze. Er hieß Zano Storley.
An einem Sonnabend saß Zano vor seinem Wohnwagen und drehte ein Hühnerbeinchen über dem kleinen Feuer. Er sprach wie so oft mit sich selber. „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.“ Und dann sagte er wieder einige unverständliche Sätze. Er verschwand im Unterholz und kam mit einigen Kräutern zurück, die er bereitlegte, um sie kurz vor dem Essen noch auf das Hühnerbeinchen zu zuzzeln … nach dem Essen wurde es rasch dunkel, und er verschwand in seinem Wagen.
Ein gelber Schein von der alten Öl-Lampe gab dem Raum ein gespenstiges Aussehen. Alles war voller zauberhafter Gegenstände, bunter Spiegel, farbigen Tüchern, Flaschen und dicken Büchern mit Ledereinbänden. Auf dem kleinen Tischchen am vorderen Ende des Wagens lag das Eisen, das noch geschmiedet werden musst. War es wirklich noch so heiß?
Das Eisen bestand aus einem kleinen Stapel Pergamenten, auf denen mit spitzer Feder ein Text stand. Eine Geschichte, genauso genommen. Und die Blätter, die Geschichte, alles wirkte so rosig, als ob sie eben erst zur Welt gekommen wäre. Zano Storley schlurfte zum Tisch, drehte die Lampe etwas auf und trug sie zum Text. Dann setzte er sich auf seine Schlafpritsche, und beugte sich nachdenklich über die Blätter auf dem Tisch.
Zano spürte den Blick der Geschichte in seinen Augen. Zano war schon viele Jahre Geschichtenschmied. Und wie bei einem Goldschmied, bekommt er manchmal von jemandem ein klumpen Gold, aus dem er dann eine Geschichte machte. Und manchmal auch ein fertiges Schmuckstück, das nur noch angepasst zu werden braucht – die eine Geschichte wird zum Beispiel für ein Hochzeit noch zugeschnitten, damit sie richtig sitzt. Einige Geschichten musste er noch lange schleifen, wie einen Diamanten, damit sie wirklich richtig gut würde, während andere Geschichten auch nach langer Bearbeitung nur zerbröseln. Das war nun mal die Arbeit und Aufgabe des Geschichtenschmiedes.
Aber diese hier war besonders. Er blätterte um, er lass sie schon zum dritten Mal. Man solle das Eisen schmieden, solange es heiß ist? Nein, dieses Eisen war zwar feurig heiß: eine junge, frische Geschichte, aber jeder Hammerschlag, jedes Schmieden hätte sie zerstört. Und deshalb legte er die Blätter nach einer Weile in eine Schachtel, mit Samt ausgelegt, und diese Schachtel in das Schränkchen, er schaute draußen nach seinem Ochsen, verschwand nochmals im Gebüsch, und dann ging Zano Storley schlafen.