Meine Großeltern wohnten, als ich Kind war, in der Leipziger Straße Nummer 3 in Bad Düben in einem Haus aus roten Backstein. Genau gegenüber befindet sich noch immer der „Goldene Löwe" oder die Burgschänke; den letzteren Namen verdankt sie der Burg Bad Düben. Nicht weit von dort fließt die Mulde, die besonders damals in den 1980er Jahren für ihre Drehlöcher bekannt war. Dort hinein zu springen, bedeutete nicht selten den sicheren Tod.
Gruslige Orte meiner Kindheit
Obwohl es ein Tabuthema in der DDR war, man nutze diesen Fluss tatsächlich, um sich das Leben zu nehmen. Auch sehr beliebt war der Wald oder der Dachboden um sich zu erhängen. Es stimmt, die folgende Geschichte gehört zu meinen grusligen Kindheitserinnerungen an die ich mich erinnere:
An dem Haus meiner Großeltern befand sich ein Hof, der wiederum von aneinandergereihten Schuppen eingegrenzt wurde. Dahinter lagerten Baufirmen oft ihren Bausand, der mir und anderen Kindern oft als Sandkasten diente. Danach kam ein Parkplatz für Besucher der Burg oder für Hänger, die von der LPG dort zwischenzeitlich abgestellt wurden. Neben dem Parkplatz führte ein Weg zu einer Privatwiese, vorbei an einen Steg, der sehr bewaldet war.
Wo sich alles ereignete
Obwohl heute das Haus samt Grundstück der Parkplatzerweiterung Platz machen musste, führt der Weg über den Steg auch heute noch zur der schattigen Wiese. Dort verbrachte ich im Schatten der Bäume oft viele Sommertage mit meiner Großtante.
Eines Tages unterbrach mich meine Tante, die es sich auf einer Decke auf jener Wiese bequem gemacht hatte, in meinem Abenteuerspiel. Leise flüsterte sie: „Ich glaube da drüben ist jemand ... wir... wir werden von jemanden beobachtet." Ich schaute in ihre Blickrichtung. Gegenüber von dem schattigen Platz auf dem wir waren, standen einige Birkenbäume. Dahinter schien ein Mann zu stehen. Er trug eine blaue Jacke. Er schien schwarze Haare zu haben, aber sein Gesicht konnte ich nicht erkennen.
Gefangen in einer ausweglosen Situation
Flüstern erläutere mir meine Großtante ihre Strategie: „Wir verhalten uns ganz still ... als hätten wir ihn nicht bemerkt ... vielleicht ist es auch nur ein Betrunkener .. der hier pinkeln muss." Wie voll ein Blase auch immer sein mag, aber diese Vermutung konnte nicht stimmen. Bis auf wenig Wanken, bewegte sich der Spanner nicht.
Gebannt schaute ich auf den Beobachter. Dann ... plötzlich .. spürte ich einen Gedanken in mir aufkommen ... der mich nur erschaudern ließ. Was wenn der Mann so einer ist ... von denen sich Oma und Opa immer hinter vorgehaltener Hand unterhalten.. einer der sich erhängt hat. Wie sollten meine Tante und ich daran nur vorbei kommen. Was wenn seine ... Augen, tot und herausgetreten... uns.. uns anstarrten .. uns im Traum verfolgten?
Wie an dem Gehängten vorbeikommen?
Nun es half ja alles nichts, irgendwie wurde es Mittagszeit und wir mussten nach Hause. Wir mussten an ihm vorbei. Meine Großtante beschloss sich vorzuwagen. Sie ging hinüber und rief den Mann: „Hallo! ... Sie! ... Was machen Sie hier die ganze Zeit?"
Keine Reaktion ... Totenstille von Gegenüber. Was durchaus zu meiner Vermutung passte. Ich grübelte. Mitten in meinen Gedanken riss mich meine Großtante mit einem Schrei raus : „Weiß du was das ist?!". Ich spürte dieses Kribbeln im Körper, wenn Adrenalin ins Blut schießt. Sag schon..., dachte ich. sag schon, es ist ein Toter, ... einer von denen, die sich gern im Wald oder an einem Baum erhängen.
Nun merkte ich, dass der Schrei meiner Großtante keiner war, sondern ein lautes Lachen. Der „Spanner" bestand nur aus einer kompletten Montur Bauarbeiterbekleidung, die ein Arbeiter wohl in der Mittagspause vergessen hatten, als dieser tatsächlich hier pinkeln war oder als sie die neue Fuhre Bausand vor unser Haus abkippten.