Thiemo Strutzenberger und Nicola Kirsch © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus /
Im Schauspielhaus in Wien hatte am 10. Dezember Anja Hillings neues Stück „Der Garten“ Premiere. Vieles darin war neu – aber einiges auch altbekannt.
Der Inhalt ist rasch erzählt: Antonia, eine Kritikerin, die Artikel über Rockkonzerte schreibt und von einem Tag auf den anderen dieser Arbeit überdrüssig wird, düpiert ihren Freund, ihre Chefin und ihre KollegInnen und schmeißt alles hin, um aus ihrem bisherigen Leben auszusteigen. Als Gärtnerin möchte sie arbeiten und das, obwohl sie selbst nicht einmal Tulpen von Hyazinthen unterscheiden kann. Ihr neuer Arbeitsplatz ist aber nicht irgendein Stück Grün, sondern der Garten Sam Embers, jenes Rockstars, dessen letztes Konzert sie komplett aus ihrer Bahn geworfen hat.
Fast möchte man meinen, die Geschichte sei vor 3 oder 4 Dezennien geschrieben worden. Zu einer Zeit, in der es ein Leichtes war, einen Job zu ergattern und ihn auch flugs wieder aufs Spiel zu setzen. Tatsächlich aber entstand der Text erst in diesem Jahr als Auftragswerk des Schauspielhauses. Gemessen an der aktuellen europäischen Jugendarbeitslosigkeit benimmt sich das Geschehen beinahe schon antiquiert. Denn Hand aufs Herz – es wird momentan nicht sehr viele Frauen geben, die ihren gut bezahlten und sicheren Redakteurinnenjob zugunsten eines erhofften Gärtnerinnenjobs sausen lassen würden. Aber wir sind im Theater – und hier darf schon mal die Realität verschoben werden.
Die anderen Redaktionsmitglieder bemühen sich zumindest noch – auch wenn es ihnen schwer fällt – jene Lebensrollen aufrecht zu erhalten, in die sie sich selbst hineinmanövriert haben. Dabei tragen alle persönliche Bürden mit sich und teilen diese, so oft es nur geht, den anderen auch kräftig mit. Ob schwul oder hypochondrisch veranlagt, ob brustamputiert oder abgeglitten in einen falschen Beruf – jede und jeder von ihnen verspürt die Ungerechtigkeit des Lebens am eigenen Leib, ohne sich dagegen jedoch wirklich aufzulehnen.
Da mutet das Schicksal von Wolfgang und Georg hingegen ein wenig erfreulicher an. Die beiden Polizeibeamten unterbrechen den Handlungsfluss immer wieder, um das Ende des Stückes vorzubereiten. Ein Ende, das – wie könnte es anders sein – kein Happyend darstellt. Antonia stirbt gemeinsam mit Sam im Drogenliebesrausch und die beiden Kommissare sind ausgeschickt, um den Tatort zu sichern. Trotz ihres gruseligen Handwerks haben sie sich, obwohl im Privatleben nicht gerade verwöhnt, zumindest noch einen Hauch von Lebensfreude erhalten. Und – was mehr zählt – erscheinen wesentlich geerdeter als ihre „Gegenspieler“ in der Redaktion. Mit einem Seitenhieb auf die asiatische Lifestyle-Welle mimt einer von ihnen einen Bären – ganz im Stile der Bewegungsmuster aus dem Qigong – und erheitert dabei nicht nur seinen Kollegen, sondern auch das Publikum. Zumindest in diesem Moment ist Hilling mit dem Plot ganz im Hier und Jetzt angekommen.
Bis es aber soweit ist, wird das Publikum Zeuge einer feuchtfröhlichen Party, eines Rockkonzertausschnittes sowie einer gespenstischen Spurensuche im noch dunklen Garten, in dem die beiden Polizisten schließlich die Leichname jener Menschen bergen, die alles gewagt und dabei alles verloren haben.
Es ist aber nicht die Handlung, die wirklich beeindruckt, sondern vielmehr die sprachliche Leistung der Autorin. So erhält der Garten selbst bei ihr nicht nur eine, sondern gleich mehrere Stimmen. Diese beschreiben die einzelnen Figuren ausführlicher oder nähere Umstände und kommen beinahe sommernachtstraumgleich von beseelten Blumen, die so klingende Namen wie Beauty of Livemere oder Darjeeling Red tragen. Wer sich allerdings kein Programmheft geleistet hat, bleibt von dieser Information ausgeschlossen, denn auf der Bühne ist nicht zu erkennen, dass Anja Hilling diese Textpassagen floralen Zungen zugeschrieben hat. Vielmehr sind es die Schauspielerinnen und Schauspieler, die abwechselnd unerkannt in diese Rollen schlüpfen, was zwar dem Verständnis des Textes keinen Abbruch tut, die zusätzlich eingezogene Gedankenebene von Hilling jedoch leider ganz missachtet. Gerade in diesen Passagen möchte man gerne den Text vor sich auf den Knien liegen haben, um mitzulesen. Man hat große Lust, in diese ganz besondere Sprachpoesie noch tiefer eintauchen und nur ja nichts zu verpassen und sich daran zu delektieren. Schlingpflanzengleich bemühen sich die Worte in ihren Sätzen neben dem Verstand vor allem jene Gehirnregionen zu kitzeln, die für die Schönheit einer bestimmten Sprachmelodie verantwortlich sind. Und sie kitzeln so, dass man danach so süchtig werden könnte. Es sind Sätze wie: „Sie haben Angst vor der eigenen Persönlichkeit, die zu fett ist für das Loch der Erlösung“ oder „Sie wird nicht eher sterben, bevor die Seele in einen Hauptsatz passt“, in denen die Autorin zeigt, wie groß ihre Meisterschaft in der Erfindung neuer sprachlicher Qualitäten ist.
Darüber hinaus geizt Hillinger nicht mit dramaturgischen Kunstgriffen: Das Ende der Geschichte gleich zu Beginn aufzuzeigen, ohne dass man sich dessen bewusst wird, ist einer davon. Die schon angesprochene parallele Handlung der Polizisten, die auch wiederum dem Geschehen weit vorausgreift, der nächste. Hätte die Regie unter Felicitas Brucker die Blumensprache auch optisch stärker hervorgehoben, man könnte beinahe meinen, die Autorin würde damit eine kleine Verbeugung vor William Shakespeare machen, in dessen Komödien sich Fauna und Flora gerne neben dem schwachen Menschengeschlecht ein fröhliches Stelldichein geben. So aber geschieht das Blühen und Wachsen der Blumen ausschließlich durch flüssige Neonfarben, die im letzten Teil des Stückes nach und nach auf gläserene Paravents aufgespritzt werden. Solcherart künstlich hervorgerufen, wächst hier Rotes neben Gelbem, Blauem und Grünem, wie von der Natur auf den Kopf gestellt, von oben nach unten. Und es wird klar: Diese Blumen sind giftig und nur mehr dazu geeignet, eine postromantische Idee von der Natur hochzuhalten.
So blumig dies nun auch alles klingen mag, so kann nicht übersehen werden, dass Anja Hillinger vor allem eines am Herzen liegt: Die Beschreibung einer Gesellschaft, der es aufgrund ihres Existentialismus, an dem sie unbewusst schwer trägt, unmöglich geworden ist, dem Leben noch Freude und Sinn abzugewinnen. Interessant, dass offenbar jede neue Generation sich an diesem – fast hat es den Anschein – übermächtigen philosophischem Gedankengebäude neu abarbeiten muss.
Nicola Kirsch als Antonia und Thiemo Strutzenberger als Sam Embers bestimmen zwar über weite Strecken bravourös das Bühnengeschehen. Max Mayer als ewiger Dissertant und Antonias Freund, Katja Jung als ihre Chefin, Veronika Glatzner als ihre Freundin sowie Vincent Glander und Steffen Höld, die in den Doppelrollen von Kollegen und Polizeibeamten brillieren dürfen, zeigen aber, dass es niemandem im Ensemble gibt, der den anderen nicht gleichwertig gegenüberstehen würde.
Man sagt, dass die Revolution ihre Kinder frisst – bei Hillinger bedarf es hierzu nur der Natur.
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