DER GANZ NORMALE WAHNSINN?

Von Politropolis @sattler59

An manchen Tagen kann ich über meine Mitmenschen nur die Augen verdrehen. Das geht vermutlich vielen so. Aber in letzter Zeit muss ich wirklich aufpassen, wohin ich laufe, weil dieses ständige Rotieren der Augäpfel nicht nur das Sehvermögen allgemein etwas einschränkt, sondern sich auch extrem nachteilig auf den Gleichgewichtssinn auswirkt. Und ausgerechnet der ist in Zeiten wie diesen doch so unglaublich wichtig, wenn man nicht Gefahr laufen will, äußerst hart entweder extrem weit rechts oder extrem weit links von dem Drahtseil aufzukommen, in das unser aller Leben sich offenbar verwandelt hat.

Flucht vor dem Wahnsinn – Foto: © Timo Klostermeier / pixelio.de

Einfach nur ein Mensch zu sein, ist ein Balanceakt geworden. Und beiderseits des Seiles stehen jene, die sich einbilden, über die Intentionen und die Gesinnung all derer befinden zu können, zu dürfen, zu müssen, die sich bemühen, inmitten des sie umtosenden Wahnsinns die Richtung zu halten und einfach nur das zu tun, was ihrer Meinung nach getan werden muss.
Weil es nämlich sonst niemand anderer tut. Wie auch, wenn das Schreien doch so viel wichtiger geworden ist als das Handeln?

Der Zustrom an Flüchtlingen wirkt wie eine gewaltige Spaltaxt.

Er ist auf uns hernieder gefahren – für die meisten von uns völlig überraschend und unerwartet, hatten doch die Ereignisse im Mittleren Osten, in Afrika, generell außerhalb unseres Landes bis dato nichts zu tun. Die spielten sich dort ab, wo sie hingehörten. Weit weg … und im Fernsehen, wo man einfach aus- oder umschalten konnte. Und wo sie uns in kleinen, mundgerechten Happen serviert wurden, mit Bildern und Texten, die nicht einmal an der Oberfläche der tatsächlichen Zustände kratzten und nur dazu dienten, unsere Bündnispolitik zu rechtfertigen. Oder die Verwendung von Steuergeldern, oder die Verteidigung unseres Landes am Hindukusch. Alles schön weit weg von unserer alltäglichen Realität.

Das hat sich nun geändert. Und darin, uns an geänderte Lebensumstände anzupassen, sind wir irgendwie gar nicht gut. Wir wollen unsere Komfortzone zurück. Wir wollen keine Frauen mit Kopftüchern auf unseren Straßen, keine Menschen, die in unserem Land Sozialleistungen beziehen, obwohl sie hier doch nie eingezahlt haben, keine Massenunterkünfte, keine zweckentfremdeten Turnhallen. Wir wollen nicht, dass Einrichtungen zu Asylbewerberheimen umgestaltet werden, die bis dato möglicherweise Kindern zugutekamen, deren Eltern nicht genug finanziellen Rückhalt haben, um ihnen einen Aufenthalt in einem Ferienlager oder einen Jahresurlaub mit der Familie zu bieten. Und über all dies Nicht-Wollen verlieren wir den Blick auf einen ganz wichtigen Aspekt.
Einen Aspekt, den wir allerdings auch gar nicht wahrnehmen sollen.

Ein gewisser rollender Schwätzer hat mal lauthals etwas von einer Schicksals- und Solidargemeinschaft verkündet, zu der wir (die Deutschen) gehören. Allerdings bekundet er nun merkwürdigerweise nicht das geringste Interesse daran, diese Worte auch auf die wirtschaftlich Schwachen im eigenen Land anzuwenden. Es sind IHRE Turnhallen, IHRE Jugendherbergen, IHRE Schulen, die zu Flüchtlingsunterkünften (teil)umfunktioniert werden. SIE werden gezwungen, in Konkurrenz zu Menschen zu treten, die mit Waffen, deren Verkauf unsere Regierung genehmigt hat, im Zuge geopolitischer Interventionen, an denen unsere Regierung sich in unserem – IHREM Namen – beteiligt, aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Die Last wird – wie leider allzu oft – nicht gerecht verteilt. Und wenn jemand den Mund aufmacht, um auf diesen Umstand hinzuweisen, wird er ganz schnell mit der Nazi-Keule zu Verstummen gebracht.

Es macht einen Menschen nicht zum Rechtsextremen, wenn er darauf hinweist, dass eine bestimmte Einrichtung aus gutem Grund für Kinder wirtschaftlich schwacher Familien gegründet wurde, damit man ihnen in den Ferien auch mal eine Luftveränderung ermöglichen kann, und sie deshalb nicht in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt werden sollte. Es macht ihn lediglich zu einer Person, die über einer Gruppe Hilfsbedürftiger nicht andere ebenso Hilfsbedürftige aus den Augen verliert. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, auch wenn es ihm gern und oft so ausgelegt wird – allzu oft von Menschen, die von der geplanten Maßnahme nicht selbst betroffen werden. Und von denen gibt es in der bisherigen Form der Lastenverteilung nur allzu viele.

Selbstverständlich muss Flüchtlingen geholfen werden. Selbstverständlich sind ihnen Sozialleistungen zu bewilligen. Selbstverständlich brauchen sie ein Dach über dem Kopf, Essen auf dem Teller, Kleidung, Schuhe, Bildung, Kultur, Integration. Jeder von uns benötigt diese Dinge. Und sie müssen auch für JEDEN gewährleistet werden, ungeachtet der Nationalität, der Religion oder der Art und Weise, in der diese Hilfsbedürftigkeit entstanden ist.

Aber genau an diesem Punkt versagen wir, versagt unsere Politik.
Sie versagt gewollt.
Anders ist es nicht zu erklären, dass Milliarden zur Verfügung stehen, um Rüstungsgüter zu kaufen, unter anderem die von der USA bei uns stationierten Atomwaffen gegen modernere und noch tödlichere Exemplare auszutauschen, fremde Militärbasen im eigenen Land zu finanzieren, über die dann per Fernbedienung neue Flüchtlingsströme ausgelöst werden, oder die Bundeswehr zu Auslandseinsätzen zu entsenden, obwohl sie laut Grundgesetz eine reine Verteidigungsarmee sein soll, während die aus dieser Politik resultierenden Flüchtlinge wie Retourenware unsachgemäß in Notunterkünften eingelagert werden und die wirtschaftlich Schwachen der eigenen Bevölkerung von Sanktionen bedroht ein Dasein am Existenzminimum fristen.

Erschreckend ist in diesem Zusammenhang, dass die Menschen nicht erkennen, dass ihre Ängste, ihre Nöte, ihre Sorgen, ja sogar ihre Versuche, sich in diesem Zusammenhang Gehör zu verschaffen, genutzt werden, um die Problematik noch zu verschärfen. Dass braunes Gesindel sich auf den Karren jedes Protestes mit ein wenig Potenzial schwingt, ist eine traurige Tatsache. Und sobald eben jenes Gesindel damit begonnen hat, die eigene Ideologie inklusive Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in die Bewegung hineinzukotzen und damit die Wahrnehmung der Protestierenden und auf die Protestierenden zu verzerren und deren Argumentationen einen völkischen Stempel aufzudrücken, macht es den gesamten Protest – so begründet er auch ist – diskussionsunwürdig, weil über ihn eben nun auch menschenfeindliche Botschaften transportiert werden.

Auf der anderen Seite des Spektrums agieren Personen, die sich über menschliche Ängste und Sorgen offenbar erhaben wähnen. Sie verurteilen alles als rechtsextrem, das nicht der eigenen Ideologie entspricht. Schon wer sich einer Argumentation bedient, die auch mal auf einer rechten Plattform aufgetaucht ist, wird als Nazi abgestempelt. Wie z.B. ein Sänger, dessen Hang zu rechtsoffenen Verschwörungstheorien ihm offenbar so sehr auf die Stimme geschlagen ist, dass er deshalb nicht am ESC teilnehmen kann. Klar, es ist ja auch wahnsinnig wichtig, dass jemand, der an einem besseren Musikwettbewerb teilnimmt, eine lupenreine politische Gesinnung hat.
Für jene, die in unserem Namen durch Brüssel, Genf oder schlicht den Bundestag touren, sind die Anforderungen offenbar nicht ganz so hoch.

Und über all diesem Gesinnungswirrwarr grinst die Politik sich über all die gelungenen Ablenkungen ins Fäustchen und feiert das mal schnell mit einem weiteren Auslandseinsatz der Bundeswehr. Kein Krieg, natürlich nicht laut unserer Angriffsministerin, denn es geht ja nur um die geplante Vernichtung einer Terrororganisation. Natürlich nicht über die Austrocknung der finanziellen Kanäle – man darf doch so nette Verbündete wie Saudi Arabien oder die Türkei nicht verprellen. Diesmal geht es also als weiterer ungeladener Partygast in den ohnehin schon überfüllten syrischen Luftraum. Das geplante Feuerwerk soll dem Vernehmen nach gigantisch sein, obwohl es natürlich mit chirurgischer Präzision um all die Zivilisten und zivilen Einrichtungen herum abgebrannt werden soll. Na, dann hoffen wir doch mal, dass da nicht der eine oder andere genau in das Bombardement hineinstolpert.

Und während man in unserem Namen wohl noch in diesem Jahr aktiv Syrer tötet und weitere Flüchtlinge auf den beschwerlichen Weg nach Europa schickt, tragen hierzulande besorgte Menschen weiter ihre Ängste und Nöte auf die Straßen, wo Rechtsaußen weiterhin seine Ergüsse hinzufügen wird, während von Linksaußen weiterhin alles pauschal als Nazi beschimpft wird, was nicht in eigene Schemata passt. Die Rüstungsprofite werden weiter fließen, während die Lunte am Pulverfass weiter abbrennt. Der Terror wird weiter Zulauf erhalten – vermutlich nicht zuletzt von Menschen, die in Europa in irgendwelchen Zeltlagern darauf hoffen, ihre Familien nachholen zu dürfen, die derweil von eben jenen Europäern munter bombardiert werden. Woraufhin man sicher weitere Bomber schicken wird…

Der ganz normale Wahnsinn eben.

von Heidi Langer

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Foto: © Timo Klostermeier / pixelio.de