Der Freihandel, der uns in die Freiheit entlässt

Diese Jobkillerpartei! Die Linke würde nämlich mal wieder Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Weil sie gegen TTIP und CETA ist. Sagt jedenfalls Sigmar Gabriel. Ich finde das auch grob fahrlässig. Denn für 3,77 Euro die Stunde Monsanto-Mais auf Paletten zu schlichten oder gechlorte Hühner für den Supermarkt herzurichten, wäre wirklich eine große Chance für Europas Arbeitssuchende gewesen.

Der Freihandel, der uns in die Freiheit entlässt

Viel Arbeit, wenig Geld.
Arbeiten im Freihandel.

Sag jetzt noch einer, diese Regierung würde an Minderheiten kein Interesse zeigen. Tut sie. Sie kümmert sich um die Perspektiven von 2.900 Menschen. Von 2.900 jetzt noch arbeitslosen Personen, die dank des Freihandelsabkommens TTIP zu Arbeit kommen sollen. Die Bertelsmann-Stiftung, nicht gerade dafür bekannt, grundsätzlich gegen neoliberale Marktkonzepte aufzutreten, hat in einer Studie errechnet, dass dieses Abkommen die Arbeitslosigkeit in Deutschland gerade mal um 0,11 Prozent senken würde. Und das ist nicht jährlich gemeint, sondern insgesamt. Die auf Handelsrecht spezialisierte amerikanische Rechtsanwältin Lori Wallach schreibt hierzu, dass die Zollschranken zwischen den USA und der EU »bereits ziemlich niedrig« seien, sodass ein Wegfall der Zölle den Handel wohl kaum beleben würde. Das Bruttoinlandsprodukt wachse »allenfalls um ein paar Promille«. Aber die Politik stellt einen Wohlstandsschub in Aussicht.

Die EU-Kommission behauptete, dass TTIP das Einkommen einer vierköpfigen Familie um jährlich 545 Euro erhöht. Tobias Kröll von der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik« nennt diese Zahl »modernes Kaffeesatzlesen«. Es sei bestenfalls das optimistischste Szenario. Wie die Haushalte dieses Mehreinkommen erhalten sollen, hat die EU-Kommission nämlich nicht erklärt. Und weil das nur ein Durchschnittswert ist, dann heißt das auch: Eine Familie bekommt 1090 Euro, die andere gar nichts. Wer profitiert also? Es ist ja ferner wohl nicht anzunehmen, dass die Haushalte postalisch einen Scheck zugestellt bekommen. Daher muss man fragen: Sinken die Kosten? Oder steigen am Ende sogar die Löhne? Irgendwie müssen diese durchschnittlichen 545 Euro doch eingetrieben werden für die Arbeitnehmer.
Doch Verdi erteilt dieser Hoffnung eine Abfuhr. Denn die Konzerne hätten vermutlich die Chance, mittels Schiedsgerichtsverfahren (Investor-state dispute settlement) europäische Sozialstandards auszusetzen. Am Ende ist vielleicht sogar der neue Mindestlohn Makulatur. So abwegig ist das gar nicht. Es braucht weitaus weniger als eine Freihandelszone, um solche Vereinbarungen zu treffen. Die FIFA erklärt den Bewerbern für ihrer Turniere in ihren Unterlagen, dass sie unter Umständen nicht bereit dazu sei, etwaige nationale Sozialstandards einzuhalten, die bei der Vorbereitung des Turniers anfallen könnten. So konnte man das wenigstens lesen, als die Niederlande die Papiere veröffentlichten, die ihr die FIFA zukommen ließ. Nun gut, wir sorgen uns ja eh zu viel. Es geht ja schließlich nur um 2.900 Jobs, die so behandelt würden. Es sei denn, das Abflachen des Lohnniveaus und der Arbeitsplatzqualität färbt auch auf all die anderen Jobs ab, die schon vor TTIP darbten. Und das wird es. Genau das sind ja die großen Chancen, die dieser neoliberale Angriff auf die Reste des europäischen Sozialstaatskonzepts in Aussicht stellt.
Sigmar Gabriel stellt den Menschen in diesem Lande ein Plätzchen im Niedriglohnsektor und Aufstockung durch Hartz IV in Aussicht und hofft vermutlich, dass der Freihandel weiter das gesamte Lohnniveau drückt. Die Löhne sind doch ohnehin viel zu hoch. Das weiß doch jedes Kind. Vielleicht drückt TTIP sie ja. Der Bundespräsident stimmt da natürlich mit ein. Freihandel, das klingt doch wie »Freiheit«. Da ist er doch Experte. Doch dieser Freihandel, der da beabsichtigt ist, ist das glatte Gegenteil von Freiheit. Er sperrt in Prekarisierung ein, will die Angleichung auf einem möglichst geringen Niveau, internationale Gleichschaltung der Arbeitsmärkte und eine Vereinheitlichung der Produktionsbedingungen. Freiheit in Verantwortung quasi.
Wer hat schon mal Arbeitsplätze in Freihandelszonen gesehen, die was getaugt hätten? Dort herrschen immer Unterbezahlung, Überstunden und Unsicherheit. TTIP funktioniert den ohnehin viel zu großen Niedriglohnsektor, der mehr und mehr zu einem Problem für Europa, für die Demokratie und das Zusammenleben wird, zu einer Freihandelszone um, in der der absolute Wettbewerb ausgerufen wird.
Ein Blick auf das Freihandelsabkommen NAFTA bestätigt das. Investoren aus den Vereinigten Staaten und Europa senkten die ohnehin niedrigen Arbeitsrechtsstandards in Mexiko beträchtlich. Löhne und Arbeitsbedingungen stehen unter Druck. Nicht nur in Mexiko, auch in den Vereinigten Staaten musste man damit fertig werden. Die Einkommensunterschiede wuchsen an und die Armutrate stieg. Wenn sich Gabriel jetzt hinstellt und sagt, er wolle nur das Wachstum eines solchen Abkommens, nicht aber die Standardisierung auf einem niedrigen Level, dann muss man ihm Ahnungslosigkeit vorwerfen. So funktioniert Freihandel nicht. Da geht es nur marginal um Zölle, die abgeschafft werden sollen. Es ging in erster Linie stets um billiges Personal, die Ungebundenheit des Kapitals und um Flexibilität. Der Standard des Freihandels ist nicht der Zoll, der fallen soll, sondern die Arbeitsbedingungen, die keiner Kontrolle mehr unterliegen dürfen.
Oh ja, ihr Linken! Ich macht wirklich alles kaputt. Der Wohlstand steht ins Haus und ihr killt ihn schon, bevor er überhaupt im Vorgarten ist. Wir Arbeitnehmer und Erwerbslose hätten eine riesige Chance bekommen und ihr würgt sie ab. Gönnt es uns nicht. Wer würde nicht gerne erleben, dass sein Arbeitgeber vor ihn tritt und sagt, dass man sich jetzt per Schiedsgericht geeinigt hätte, den Mindestlohn auszusetzen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Wenn es dann mal besser läuft, würde es den Mindestlohn selbstverständlich wieder geben. »Aber seid froh, dass ihr noch Arbeit habt. Das ist das Wichtigste. Und wem es nicht passt, da ist die Türe.« Dann wird er in Freiheit entlassen. Oh ja, der »Frei«-Handel meint es wirklich ernst.
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