Der Film, der ohne Freud entstand

Erstellt am 6. November 2010 von Michael

GEHEIMNISSE EINER SEELE
Deutschland 1925
Regie: G.W. Pabst
Mit Werner Krauss, Ruth Weyher, Pavel Pavlov, Jack Trevor u.a.
Dauer: 75 min

Ein deutscher Stummfilm, restauriert von der deutschen Transit Film und vom Filmmuseum München  – und doch ist Geheimnisse einer Seele in Deutschland nicht auf DVD erhältlich. In den USA und in Spanien hingegen ist die Restaurierung aus Deutschland auf Silberscheibe erschienen. Man mag sich über diese Tatsache wundern – oder ärgern – wirklich erklärbar ist sie nicht, zumal nicht nur mit diesem Film so verfahren wurde: Eine ganze Reihe deutscher Stummfilme, die in Deutschland nicht auf Silberling zu haben sind, bekomt man im Ausland auf DVD. Immerhin! (Mehr zum Thema siehe auch hier.)
Abstriche muss der auf Vollständigkeit bedachte Stummfilmfreund allerdings bei den Ausgaben aus den USA machen, denn die originalen Zwischentitel werden dort gemeinhin durch englische ersetzt. Offenbar hat man sich in der Branche darauf geeinigt, dass untertitelte ausländische Zwischentitel dem Geschäft nicht zuträglich sind.

Zum Film: Geheimnisse einer Seele ist eine populäre Veranschaulichung von Sigmund Freuds damals noch junger Psychoanalyse. Hans Neumann, Leiter der UFA-Unterabteilung Kulturfilm stiess auf der Suche nach modernen Sujets auf diese Thematik; nach historischen Projekten wie I.N.R.I. und Raskolnikov befand er wohl, die Kulturfilm müsse sich ein etwas zeitgenössicheres Image zulegen. Und da die Psychoanalyse gerade in aller Munde war, bot sie sich für seine Zwecke geradezu an.
Neumann fragte bei Professor Freud um Mitarbeit an. Dieser wollte jedoch von der Filmwelt nichts wissen; kurz zuvor erhielt er das für ihn merkwürdige Angebot, als Berater bei einer Serie von amerikanischen Liebesfilmen mitzuwirken, das er entrüstet ablehnte.
Zwei Psychiater aus Freuds engstem Kreis konnten schliesslich für Geheimnisse einer Seele gewonnen werden; ihre Furcht, weniger Berufene könnten sich des Filmprojekts bemächtigen und die Psychoanayse in Misskredit bringen führte zu ihrer Zusage, für die Drehbuchentwicklung und die Dreharbeiten als Berater zur Seite zu stehen.
Freud selbst war weiterhin nicht zur Mitarbeit zu bewegen. Er distanzierte sich im Zug der Filmarbeiten wegen interner Unstimmigkeiten von den beiden Beratern. Die Medien verkündeten indessen, der Meister selbst arbeite am Projekt; aus den USA tönte es, er führe selbst Regie.
Schliesslich drohten Kontroversen um den Film gar, den inneren Kreis der Freud-Anhänger zu spalten.

Als heutiger Betrachter wundert man sich etwas über den Rummel, den Geheimnisse einer Seele damals in Psychologenkreisen damals offenbar auslöste. Der Film bietet praktisch keine Angriffsfläche. Es handelt sich um eine relativ glatte, völlig kritiklose Dramaturgie der freudschen Traumdeutung.
Damit kein Missverständnis entsteht: Der Film vermag durchaus zu faszinieren, und das auf mehreren Ebenen; doch als Zeitdokument bezüglich Freuds Theorie ist er doch etwas zu vage und unverbindlich um von grossem Nutzen zu sein.

Pabsts Film überzeugt vollständig mit seinen Traumsequenzen und den Erinnerungsrückblenden. Da gelingen den Filmemachern unvergessliche, an den Expressionismus angelehnte Bilder von grosser suggestiver Kraft. Durch sie ist diser Film noch heute bekannt, sie werden oft zitiert und reproduziert. Das Aus-den-Boden-Wachsen einer italienischen Kleinstadt samt Turm, der sich phallisch aus der Erde in die Höhe schraubt ist eine Sequenz, wie sie in dieser Kühnheit ausserhalb der engen Welt des Animationsfilms nur im Stummfilm möglich war. Die Nachtmahre der von Werner Krauss gespielten Hauptfigur wird man dank ihrer eigenwilligen Konzeption kaum je vergessen. Hier verlässt der Film denn auch das ständig spürbare enge Korsett, das ihm der Legitimationswahn der Freud-Anhänger aufoktroyiert hatte.

Trotzdem ist auch jener Teil des Films, der in der Realität spielt, durchaus sehenswert – dank Pabsts Regie. Er lässt die Schauspieler nüchtern und zurückhaltend agieren und erzeugt gerade dadurch eine ständig präsente unterschwellige Spannung. Er bildet damit einen scharfen Kontrast zur expressionistisch angehauchten Traumsequenz; der Expressionismus dient dort unter anderem dazu, die Sequenzen, die in der Realität spielen durch den Kontrast glaubhafter, realistischer wirken zu lassen.
Und die effektvolle Lichtregie hilft mit, den Streifen über jeden Durchschnitt zu erheben und ihn zu einem eindringlichen Erlebnis zu machen.

Mit den höchst interessanten und ausführlichen Produktionsnotitzen, mit denen Kino International die DVD ausgestattet hat, wird der Film sehr gut ergänzt. Gerade diese Ergänzung bettet den Film in seinen historischen Kontext und erhebt ihn dadurch doch noch zum interessanten Zeitdokument.

8/10

Die DVD stammt von Kino International. Der Film wurde vom sorgfältig restauriert – mit sehr schönem Resultat. Die originalen deutschen Zwischentitel wurden allerdings durch englische ersetzt – für Puristen sicherlich ein Minus.
Die qualitativ wohl gleichwertige Ausgabe des spanischen Anbieters Divisa schafft da Abhilfe. Sie scheint in jeder anderen Hinsicht (Lizenzgeber, Musikbegleitung usw.) mit der hier besprochenen DVD identisch zu sein.

Die Begleitmusik stammt von Ekkehard Wölk (Klavier) und begleitet das Geschehen angemessen.

Regionalcode 0

Verfügbarkeit
USA: Die Film hier erwähnte DVD stammt aus dem Stummfilm-Sortiment von Kino International und kann auch dort bezogen werden. amazon.com bietet den Film ebenfalls an.
Europa: Divisa in Spanien bietet den Film ebenfalls an – mit den originalen deutschen Untertiteln. Hier gibt’s ihn günstig zu kaufen.
Für Preisvergleiche, evtl. preisgünstigere Angebote und andere Fragen im Zusammenhang mit DVD-Bestellungen aus dem Ausland siehe auch die Tipps zur DVD-Bestellung im Ausland.

*******************************************************************