Der falsche Inder ist einer meiner schönsten Neuentdeckungen, die ich im vergangenen Jahr machen durfte. Im Rahmen eines Seminars über Exilliteratur lasen wir diesen Roman von Abbas Khider. Bevor ich mich seinem viel gelobten neuen Roman Ohrfeige widme, möchte ich noch einmal mit einem kleinen Beitrag an Khiders bzw. Rasuls unglaubliche Odyssee erinnern.
1973 in Bagdad geboren, musste Khider 1996 wegen politischer Verfolgung aus seiner Heimat, dem Irak, fliehen. Nach einer vier Jahre langen Irrfahrt über Nordafrika, Griechenland und Italien kam er 2000 nach Deutschland. Diese Odyssee hält er in Der falsche Inder fest. Auffallend ist, dass Erfahrungen und Schicksalsschläge nicht in chronologischer Reihenfolge beschrieben werden. Vielmehr handeln die acht einzelnen Kapitel von zentralen Themen wie Kindheit und Jugend, Liebe und Schreiben, Flucht und anderen prekäre Lebensverhältnissen. Jedes Kapitel hat einen anderen Schwerpunkt, doch in jedem einzelnen geht es um Flucht. Erzählt wird die Geschichte auch nicht über Abbas Khider selbst, sondern über den Protagonisten Rasul Hamid. Ohne große Umschweife erzählt Rasul beinahe lakonisch von seiner Flucht mit Hindernissen. Dieser Plot wiederum ist in einer weiteren Rahmenhandlung eingebettet: Ein unbekannter Ich-Erzähler findet das Manuskript in einem Zug, liest es und erkennt es letztendlich als seine eigene Geschichte. Ob es sich bei dem Unbekannten um Khider selbst handelt, wird ebenfalls nicht klar. Möglich ist es.
Besonders interessant ist, dass in Der falsche Inder das Erinnern und der Prozess des Schreibens in einem Kapitel thematisiert werden. Rasul stellt sich hier die Frage nach den Gründen für das Schreiben: Will er seinen Gefühlen mit Worten Ausdruck verleihen? Will er gar die Welt mit dem Schreiben verändern? Oder will er sich selbst einfach nur besser verstehen können? Letztendlich schreibt Rasul alles Verlorene neu. Das erklärt die unübersichtlich wirkenden Kapitel. Mit jedem Mal wird eine Geschichte anders erzählt, sei es in einem literarischen Werk oder im Alltag. Wenn ich meinen Freunden eine Geschichte mehrmals erzähle, sieht sie immer anders aus, doch das bedeutet nicht, dass ich lüge. Der Kern bleibt immer noch wahr, Reihenfolge und gewählte Worte können sich unterscheiden. So verhält es sich auch mit dem Schreiben von Rasul. Auch hier ist wieder nicht klar, ob der Autor selbst mithilfe der Figur Rasul über sein Schreiben reflektiert.
Sicher ist allemal, dass Khider mit Der falsche Inder ein Spiel mit literarischen Genres treibt. Der falsche Inder kann als Autobiographie gelesen werden, gleichzeitig aber auch nicht. Handlungen und Gedanken können Ausdruck des Autor sein und wiederum nicht. Man kann nicht deuten oder herauslesen, ob sich wirklich alles so wie im Roman beschrieben zugetragen hat. Für Khider selbst ist dies auch nicht so wichtig, wie er in einem Interview sagt: „Wenn Leute über meine Bücher reden, reden sie häufig nur über meine Autobiographie. Doch selbst das, was mich daraus vielleicht zum Schreiben inspiriert hat, verfremdet sich im Text. Das Wichtigste ist aber nicht von meiner interessanten Biographie zu haben. Es geht darum was man daraus macht. In der Literatur. Als Kunst.“
Bereits zweimal folgte ich Rasul, oder Khider – wie auch immer – auf seiner Flucht nach Deutschland samt seiner Gedanken. Dennoch wird der Roman wieder und wieder auf meiner Liste stehen. Mit jeder Lektüre entdeckt man weitere Details kluge Gedanken. Ich bin gespannt auf seinen nächsten Roman Ohrfeige und freue mich darauf.
Abbas Khider: Der falsche Inder. btb. München 2013. 160 Seiten. 8,99 Euro.