Der Fall SHENG YEN (1930-2009)

Interessiert an einem der "Grossen Vier" buddhistischen Lehrer Taiwans, habe ich mir vor einiger Zeit Texte von Sheng Yen besorgt, der schon mit 13 Jahren Moench geworden war und spaeter auch einen Doktortitel in buddhistischer Literatur machte. Da er zwischenzeitlich, wenn auch mehr aus logistischen Gruenden, sogar Soldat war, hatte ich von ihm eher Bodenstaendiges erwartet. Sein ausgiebiger Kommentar zum "Sutra der Vollstaendigen Erleuchtung" (auf das ich hier demnaechst noch eingehen werde), einem der Kerntexte fuer chinesische Mahayana-Buddhisten neben dem Shurangama-Sutra und dem Sraddhotpada-Shastra, enttaeuschte dann jedoch im Detail. Die Gruende liegen in seiner monastisch-konservativen Sichtweise der Ethik sowie seiner Deutung der Karmalehre und der Fehlbarkeiten eines Lehrers. 
Zwar erkennt Sheng Zen, dass "erwachte Wesen" sich aus Weisheit moralisch verhalten (S. 111 der engl. Fassung), behauptet dann jedoch, die Ebene des "Nicht-Denkens" (also im Wesentlichen des nicht-anhaftenden Gedankenspiels) wuerde durch Befolgen der Gebote (Vorschriften) erlangt (S. 115). Immerhin sind das gemaess dem Sutra die einfachen drei: Vermeide, anderen und dir zu schaden, tue, was anderen und dir nutzt und tue sogar das, was anderen dient, dir jedoch nicht.
Aus S. 141 f. erzaehlt er die Geschichte eines Mannes, der sich als Schlange wiedergeboren findet und dies als Wiedergutmachung frueheren Karmas ansieht. Einmal laesst sich die Schlange zu Tode steinigen, doch das reicht nicht, um Busse zu tun, und es folgt eine weitere Reinkarnation als Schlange. Sheng Yen stellt diese populaere und volksnahe Auffassung eines Karmas, das quasi einer mathematischen Gleichung aehnelt, nicht in Frage: "Wir sind wegen unseres Karmas hier." (S. 169) "Wir sollten uns anstrengen, unsere karmische Schuld zu begleichen und sozusagen unseren karmischen Kreditrahmen zu erhoehen, damit wir uns beim naechsten Mal in einer besseren karmischen Situation wiederfinden." (S. 177)
Zu den seltsamen Ratschlaegen, die Sheng Yen aus seinem Leben zitiert, gehoert auch dieser: "Es ist besser, waehrend der Sitzmeditation zu schlafen, als ueberhaupt nicht zu sitzen." Obwohl nicht nur im Palikanon Menschen allein durch das Hoeren von Buddhas Worten erwachten, sondern auch die Zengeschichte solche Erlebnisse kennt, meint Sheng Yen kategorisch: "Das Hoeren der Buddha-Worte wird uns nicht unmittelbar befaehigen, die Weisheit der Buddhaschaft zu begreifen." (S. 176) Mit solchen Saetzen untermauert ein Kleriker natuerlich auch immer den Sinn seines eigenen Weges, seiner Entbehrungen und der Notwendigkeit, sich lange dem Studium bei ihm zu widmen. Als ein Uebender ihn bittet, eine zehn Jahre zurueckliegende Erfahrung zu bestaetigen, fragt Sheng Yen: "Was Ruhm, Eigennutz und Sex betrifft, wie fuehlst du dich da?" Und weil der Uebende antwortet, sein Geist sei stets frei und er hafte an nichts, sein Koerper habe jedoch noch Beduerfnisse, schliesst Sheng Yen scharfsinnig: "Diese Person befindet sich noch auf der ersten Stufe der Uebung." Wer hier einen Theravadin sprechen hoert, hat meine Ohren. Ein Psychologe wuerde daraus schliessen, dass Sheng Yen selbst sich wohl sexuelle Beduerfnislosigkeit unterstellt und damit klinisch schlicht seine Impotenz schoenredet.
Voellig abwegig wird es, wenn Sheng Yen den Uebeltaten eines Lehrers fast schon einen Freibrief erteilt. Schueler sollten sich mit der "rechten Sicht" beschaeftigen und nicht voreingenommen vom Charakter und Verhalten eines Lehrers sein (S. 259): "Wenn es Widersprueche zwischen den gelobten Standards eines Lehrers und seinem Verhalten gibt, dann neigen Schueler dazu, nur diese Fehler des Lehrers zu sehen und den Lehrer abzulehnen, wenn nicht gar die Uebung selbst." Dass wir jedoch ueberhaupt keine Lehrer brauchen, wenn sie nicht in Person fuer das stehen, was sie predigen, das hat Sheng Yen offenbar gar nicht begriffen. Worte sind wie Schall und Rauch.
Schliesslich wird Sheng Yens Aberglaube gegen Ende seiner Kommentare offenbar. Er deutet das bodhi des Sutras der Vollstaendigen Erleuchtung als dreistufig. Zunaechst wuerde sich der Uebende seiner Gedankenketten bewusst. Dann erkenne er die Gedanken jedes Lebewesens im Universum. Schliesslich wuerden ihm die Gedanken jedes Lebewesens in "jedem anderen Universum" bewusst (S. 281). Auch wenn er diese Deutung symbolisch wendet in ein letztlich nicht-anhaftendes und keine Unterschiede machendes Denken eines Bodhisattva, das erst zu weiser taetiger Hilfe fuehre, fehlt es Sheng Yen erneut an einer glaubhaft-kritischen Brechung des woertlichen Textsinnes.
(Fortsetzung folgt in ein paar Wochen.)

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