Warum auf Idealisierung Enttäuschung und Entwertung folgt.
Im November 2008 schrieb ich hier einen begeisterten Artikel über Barack Obama, der gerade zum US-Präsidenten gewählt worden war. Ich wollte den Blogbeitrag aufgrund der aktuellen Ereignisse eigentlich löschen.
Als ich das auf Facebook bekanntgab, schrieb mir Moritz Beck: “Schreiben Sie doch lieber einer Artikel über die damalige Wahrnehmung und die Veränderung in der Wahrnehmung der amerikanischen Politik bis zu den aktuellen Ereignissen. Löschen ist wie Bücher verbrennen.”
Über diesen Vorschlag habe ich länger nachgedacht und das Ergebnis ist der heutige Blogbeitrag.
Warum Elternfiguren idealisiert werden.
Autoritätspersonen wie Vorgesetzte oder die gewählten Führer eines Volkes, ob es jetzt Kanzler oder Präsidenten sind, laden oft zu unbewussten Projektionen ein. Denn sie sind mächtig, können unser Leben in vielerlei Weise bestimmen – und wir müssen uns immer wieder mit ihnen arrangieren.
Deswegen werden auf Autoritätspersonen wie der Chefs einer Abteilung, eines Unternehmens oder eine Landes oft Vaterbilder projiziert. Der Begriff “Vater Staat” zeigt diese unbewusste Komponente. Doch diese Abhängigkeit ist nie konfliktfrei. Dabei helfen uns psychische Abwehrmechanismen.
Ganz wichtig: Idealisierung ist ein Abwehrmechanismus. In den ersten Lebensjahren erlebt das Kind seine Eltern als übermächtige, beschützende und perfekte Vorbilder ohne Fehl und Tadel.
Erst im Lauf der Zeit entdeckt das Kind, dass auch die Eltern normale Menschen sind und Schwächen haben, mithin nicht ideal sind.
Jugendliche sondern sich in der Pubertät von ihren idealisierten Eltern ab, indem sie sie grässlich finden oder entwerten. Selbst gewählte Freunde werden wichtiger. Doch auch jetzt werden wieder Persönlichkeiten wie Popstars, Revolutionäre oder Gutmenschen idealisiert.
Wie wichtig es ist, sich von den Eltern abzulösen, habe ich in diesem Buch beschrieben. Und auch in diesem Video.
Bei der Idealisierung geht es vor allem um die Abwehr von aggressiven Impulsen gegen die Elternfigur, von der man sich abhängig fühlt aber gleichzeitig auch unter ihr leidet. Da man sie nicht offen bekämpfen kann, rettet einen die Idealisierung, war man gut beim nordkoreanischen Volk aber auch in Russland oder Kuba beobachten kann.
Zum Erwachsenwerden gehört also die Ent-Idealisierung all dieser Idole und ein Selbstwertgefühl, mit dem man auf andere Menschen weder hinauf- noch hinab schaut. Dieses Stadium erreichen manche Menschen nie so recht und auch Völker haben damit ihre Schwierigkeiten. Denn dieser Prozess ist notwendig aber auch schmerzhaft.
Wir Deutschen sind ist vielleicht durch die NSA-Affäre mit den USA gerade dabei.
Keine Verliebtheit ohne Idealisierung.
Idealisierung kennen wir alle aus der Zeit der Verliebtheit. Den neuen Partner nehmen wir verzerrt nur in seinen positiven Eigenschaften wahr. Warnende Kommentare von Eltern oder kritische Bemerkungen von Freunden werten wir als Einmischung oder puren Neid ab.
Diese Phase der Idealisierung ist wie ein Rausch ohne Drogen, vor allem wenn sie gegenseitig abläuft. Der andere Mensch gehört uns und wir ihm. Wir fühlen uns erhöht und gleichzeitig auf der guten Seite des Lebens angekommen. Bis zum ersten Streit.
Jetzt legt sich der Drogenrausch und es zeigt sich, ob wir den idealisierten Partner vollständig entwerten müssen oder ihn mit seinen negativen und positiven Eigenschaften sehen und akzeptieren können. Aus dem Verliebtsein kann eine neue Verbundenheit entstehen.
Warum Väter oft idealisiert werden.
Der Vater hat für ein Kind schon früh eine große Bedeutung. Auch wenn der Vater real nicht anwesend ist, weil die Mutter alleinerziehend ist, lebt ein Kind mit dem inneren Bild seines Vaters.
Spürt es doch, dass dieser fremde Mann mit der Mutter auf eine geheimnisvolle Weise verbunden ist. Grandiose Phantasien aber auch unbewusste Wünsche und Ängste nähren dieses Bild.
Kommt es dann nach Jahren manchmal zu einer Begegnung mit dem realen Vater, erlebt das Kind oft eine herbe Enttäuschung. Der Vater ist eventuell desinteressiert, abweisend, hat vielleicht schon eine neue Frau mit eigenen Kindern.
Ein Mann schildert seine Erfahrungen. nachdem er seinen unbekannten Vater aufgesucht hatte, so:
Nach der Woche mit meinem Vater hatte ich beschlossen, dass mir sein Bild lieber war, ein Bild, das ich beliebig abändern oder notfalls auch ignorieren konnte. Wenn mein Vater mich nicht enttäuscht hatte, so blieb er doch ein Unbekannter, wenig konkret und irgendwie auch bedrohlich”.
Etwa 15 Jahre später und nach dem Tod des Vaters trifft dieser Mann eine Halbschwester, die mit dem Vater aufgewachsen war. Sie erzählt ihm viele Details aus dem Leben des Vaters, die sein Bild tief erschüttern. Er schreibt:
“Mir war, als hätte jemand meine Welt auf den Kopf gestellt… Mein Leben lang hatte ich ein einziges Bild von meinem Vater in mir getragen, ein Bild, gegen das ich mich zuweilen aufgelehnt, das ich aber nie in Frage gestellt hatte und das ich später selbst übernahm.
Der brillante Harvardabsolvent, der großzügige Freund, der aufrechte Politiker, mein Vater war all das gewesen. Und mehr noch, denn abgesehen von diesem einen Besuch war er ja nie präsent gewesen, das Bild hatte also keine Kratzer abbekommen.
Ich hatte nie erlebt, was die meisten Söhne irgendwann erleben dass der Vater an Statur verliert, seine Hoffnungen enttäuscht werden, ein Gesicht, das von Schmerz und Bedauern gekennzeichnet ist.” *
Der Mann, der diesen schmerzlichen Prozess der Ent-Idealisierung beschreibt, ist Barack Obama.
Die USA – Bruder, Vater oder was?
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die amerikanischen Soldaten als Besatzer ins Land, blieben jedoch nicht lange der Feind.
Sie wurden zum “Großen Bruder”, von dem sich die Westdeutschen die Demokratie, aber auch den “American Way of Life” abguckten. Mit Hilfstransporten durch die legendären Roseninenbomber erleichterten sie die Blockade Berlins und waren für uns Deutsche in der Nachkriegszeit die bewunderten “Verwandten” über dem großen Teich.
Eine erste Revolte gegen diese Idealisierung der USA waren die Proteste gegen den Vietnam-Krieg. Die 68-Generation lehnte sich gegen die Väter insgesamt auf, vor allem im Bildungsbereich („Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“). Auch die “Außerparlamentarische Opposition”, der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen und andere Bewegungen dieser Zeit kann man als Aufbegehren gegen die vorgebliche Macht des Männlichen verstehen.
Durch die NSA-Affäre wurde aus dem vermeintlich “großen Bruder” nun tatsächlich ein “Big Brother”. Doch anders als im Roman “1984″, ist aufgrund der technischen Möglichkeiten heute die Machtausübung viel größer als das George Orwell 1948 (!) vorhersehen konnte.
Wir haben uns verführen lassen.
Auf meinen Facebook-Eintrag dazu schrieb Andrea Sievert:
“Ich finde die Obama-Euphorie auch mit Blick auf mich selbst interessant, denn ich war auch davon befallen und bin mittlerweile sehr ernüchtert und befremdet. Was für Sehnsüchte und tief verborgene Bedürfnisse dieser Mann getriggert hat und wie gern ich ihm gefolgt bin… Schade und traurig. Echter Heiratsschwindler, ich habe den Scheidungsantrag schon durch.”
Ich glaube, das stimmt. Die Amerikaner neigen ja in der Mehrzahl dazu, sich Präsidenten zu wählen, die man verehren kann – um sie dann oft nach ein oder zwei Wahlperioden in die Wüste zu schicken.
Wir Deutsche tun uns da mit dem Idealisieren schwer. Wir wählen eher Politiker, die nüchtern und pragmatisch sind: Adenauer, Erhard, Kiesinger, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel. Allenfalls Willy Brandt hatte einen gewissen Charisma-Faktor.
Dadurch beruhigen unsere Politiker unseren Verstand, berühren aber selten unser Herz.
Vielleicht waren wir etwas neidisch, dass Amerikaner Präsidenten wählen, die vielleicht peinliche Sprüche machen aber in ihren Reden über Ehre, Werte, Vaterland, Treue, Nation doch in vielen Menschen starke Gefühle wecken können.
Wenn ich mich an den deutschen Wahlkampf des Sommers 2013 mit Steinbrück (“Das Wir entscheidet”) und Merkel (“Gemeinsam erfolgreich”) erinnere, wird mir klar, warum ich beim Wahlsieg von Barack Obama 2008 am Fernsehen so ergriffen war. Was mir selten passiert.
Obama versprach – kurz gesagt – wie ein idealer Vater eine bessere Welt. Er hatte eine Vision von einem menschlicheren Miteinander nicht nur in Amerika, sondern weltweit.
Und er vermittelte Hoffnung, dass – ähnlich wie damals Martin Luther King in seiner Rede – alle Menschen gleich sind und näher zusammenrücken.
Dass das Näherrücken vor allem digital gemeint war, hat auch mich getroffen.
Ich war eben naiv. Sah in Obama einen “guten” Vater. Doch was konnte ich von einem Mann erwarten, der seine Versprechen bezüglich Guantanamo nicht hält. Der mögliche Terroristen durch Drohnen töten lässt. Der Osama bin Laden ohne Gerichtsverhandlung ermorden lässt.
Wir wollen eben Gutmenschen sein. Andere Völker wie China über Menschenrechte belehren. Brav Energie sparen und erwarten, dass andere Länder das auch tun. Die USA schotten sich mit Elektrozäunen gegen Einwanderer aus Mexico ab. Wir kriegen Schuldgefühle, wenn wir nicht alle Armutsflüchtlinge sofort aufnehmen wollen.
Hilft nichts.
Wir müssen eben auch als Staat erwachsen werden. So sehen es ja auch viele Amerikaner. Gute Argumente dafür liefert Eric T. Hansen in seinem ZEIT-Beitrag:
“Um es wieder in Erinnerung zu rufen: Ein Mensch verfolgt Ideale, liebt und leidet und schließt Freundschaften. Ein Staat nicht. Ein Staat hat die Aufgabe, die Interessen und den Wohlstand der eigenen Bevölkerung zu wahren, vor allem in Konkurrenz zu anderen Staaten. Das hat nichts mit Freundschaft zu tun.”
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Foto: © privat, CC_Flickr_Ministerios Cash Luna, istock.com
Das Zitat über seinen Obamas Vater stammt aus:
Obama, B. (2009) – Ein amerikanischer Traum.
Die Geschichte meiner Familie. München, dtv
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