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Man wettet nicht auf den Ausgang eines Strafprozesses? Im Prinzip Ja, aber… würde wohl Radio Eriwan in Bezug auf den Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann wegen einer angeblichen Vergewaltigung einer seiner reichlichen Exfreundinnen sagen. Denn machen wir uns nichts vor, jeder, der sich für den Fall ein bisschen interessiert, spekuliert, welche Entscheidung wohl morgen dort im Landgericht Mannheim fallen wird.
Die beste Ehefrau von allen – bleiben wir noch ein bisschen beim Schwelgen in der Vergangenheit, numehr bei Ephraim Kishon – diese, die meine jedenfalls ist nicht nur ausgesprochen attraktiv, sondern auch noch intelligent (weswegen sie es mit mir „Armleuchter“ auch schon sehr lange aushält), und deswegen hat sie bei der Familienwette um die morgige Auswahl des Lokals zum Abendessen die schlaueste Version gewählt: „Freiheitsstrafe auf Bewährung“. Ich musste dann gegenhalten mit „Freispruch“, während unser Sohn – dem es mit seinen 6 Jahren sowieso egal ist und der auch noch gar nicht weiss, worum es geht, der aber natürlich der „Bestimmer“ hinsichtlich des Restaurants sein will – die undankbare „Freiheitsstrafe ohne Bewährung“ von uns zugewiesen erhielt.
Meine Wahl wird niemanden verwundern, denn bisher konnte man an meinen Blogeinträgen sicherlich den Eindruck gewinnen, dass für mich „Freispruch“ das einzig mögliche Ergebnis dieses Prozesses sein könnte. Und tatsächlich, aus rechtlicher Sicht sieht auch die beste Ehefrau von allen eigentlich kein anderes Urteil – nur denkt sie natürlich weiter – viel weiter, als aktivierte Alice-Schwarzer-Fangruppen jemals denken könnten: „Die wollen doch das Gesicht der Staatsanwaltschaft und ihr eigenes wahren, da müssen sie doch irgendeinen faulen Kompromiss finden… – minder schwerer Fall, Messser nicht nachweisbar, Rest schlüssig – 2 Jahre auf Bewährung!“
Da ist was dran, doch hätte zumindest das Gericht auch die Möglichkeit, einfach den Königsweg zu beschreiten und sich an den Bundesgerichtshof zu halten: BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98.
Und da sind wir nun angekommen, bei der Nullhypothese des BGH:
In der zitierten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof klare Richtlinien für eine aussagepsychologische Begutachtung aufgestellt, und letztendlich sollten nicht nur die Gutachter diese Grundsätze einhalten, sondern eben auch ein Gericht, wenn es in der Situation „Aussage gegen Aussage“ urteilen will.
Doch was verlangt diese „Theorie“ der Nullhypothese (ohne, dass ich zu weit in die Tiefe gehen will):
- Von dem Sachverhalt, der überprüft werden soll, wird zunächst angenommen, er sei komplett die Unwahrheit – damit hätten wir die „Nullhypothese“.
- Jetzt hat der Sachverständige (und damit auch das Gericht) andere Hypothesen zu bilden. Ist dann die „Unwahrhypothese“ nicht mehr mit den bekannten Fakten aufrecht zu erhalten, gilt die Aussage als wahr.
Gut, so recht etwas damit anfangen kann man mit diesen Grundsätzen noch nicht, also müssen wir doch ein wenig tiefer schürfen:
Letztendlich muss derjenige, der eine Beurteilung der Aussage vornimmt, verschiedene Hypothesen prüfen, zB. die bewußte Falschbezichtigung des Angeklagten, eine fremdsuggestiven Beeinflussung des Zeugen oder das Auffüllen von Erinnerungslücken mit dem Ziel, diese „konstruktiv“ zu schliessen.
Nun, jetzt klingelt es sicherlich bei dem Einen oder Anderen, der sich noch an den Wortlaut der Presseerklärung des OLG Karlsruhe erinnert. Die dort die Entlassung von Kachelmann tragenden Gründe waren folgende:
- Im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin liege die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vor.
- Bei der Nebenklägerin könnten Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden.
- Die Nebenklägerin habe bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht.
- Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.
Oberlandesgericht Karlsruhe – Jörg Kachelmann: Haftbeschwerde hat Erfolg
Da haben wir sie, die Prüfung der Nullhypothese, wenn auch natürlich in einem summarischen Verfahren. Und nun stellt sich die Frage: hat die Hauptverhandlung tatsächlich etwas Anderes ergeben?
Nun, die nach allen Artikeln überdurchschnittlich gut plädierende Verteidigerin Andrea Combé hat sich durch den Wust der 40 vorangegangenen Verhandlungstage durchgewühlt – und sich dabei erkennbar ebenfalls mit der Nullhypothese auseinander gesetzt: gibt es Anzeichen dafür, dass diese Annahme der absoluten Unwahrheit der Aussage der Hauptbelastungszeugin unwahr ist? Nach ihrer umfänglich dargelegten Meinung: Nein!
Und damit könnte es eigentlich nur ein Ergebnis geben: Freispruch!
Und dies wäre noch nicht einmal schlimm für die Anzeigeerstatterin gewesen, wenn es nicht im Laufe dieses über alle Massen gedehnten Verfahrens eine Zuspitzung gegeben hätte: „Er oder Sie!“, „Gewinnen oder Verlieren!“.
Die Nullhypothese des BGH setzt nämlich gerade nicht voraus, dass die Aussage eines Zeugen unwahr ist, sonders sie unterstellt es lediglich hypothetisch und verlangt, dass diese Unterstellung entkräftet wird. Juristisch ist das Ergebnis also in Zweifelsfällen immer, dass man die Unwahrheit der Bekundung lediglich für den Ausgang des Strafverfahrens unterstellt, ohne damit die Unwahrheit selbst feststellen zu müssen.
Und damit schützt man nicht nur den Angeklagten in seinen verfassungsmässigen Rechten, sondern man schützt auch den Zeugen vor dem abschliessenden Vorwurf der Falschaussage.
Doch will das Landgericht Mannheim diesen Weg gehen, welcher in einem weniger aufgeheizten medialen Umfeld zu einer durchaus nachvollziehbaren Ergebnis geführt hätte: Freispruch des Angeklagten ohne Zuweisung einer Falschaussage an die Anzeigeerstatterin?
Aber leider ist nicht anzunehmen, dass die öffentliche Meinung selbst bei einem Freispruch so ein Ergebnis akzeptieren würde: man wird einen der beiden an den medialen Pranger stellen, und im Fall eines Freispruchs wird dies die Anzeigeerstatterin sein.