Der Exfreund und das Pflaster. Eine Liebesgeschichte. Teil 1 der Erzählung

Von Ralf Boscher @RalfBoscher
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Der Exfreund und das Pflaster
Eine Liebesgeschichte

Teil 1 der bislang unveröffentlichten Erzählung
von Ralf Boscher

1.

Wo käme man denn da hin, wenn man jeden freundlichen Exfreund mir nichts dir nichts mit dem Auto überrollt? Nein, das ist ein moralisches No Go. Zudem strafrechtlich bedenklich. Da musste es andere Wege geben, sein Missfallen auszudrücken. Zumal ich noch nicht einmal ein Auto besitze. Er natürlich schon… „Ein Mann braucht ein Auto!“, dozierte er einmal und legte mir, wie es seine Angewohnheit war, eine Hand auf die Schulter, geradeso als würde diese Geste seinen Worten ein q.e.d. verleihen. „Ein Mann hat immer etwas zu transportieren!“ Sollte heißen: Ein richtiger Mann, also einer mit einem richtigen Job, ein Mann wie er. Quod erat demonstrandum. Nun, ich war ein Student und verdiente mir meinen Lebensunterhalt abends in einer Kneipe. Ich hatte so gut wie nie etwas Größeres als ein paar Bücher und meinen Laptop zu transportieren. Ich brauchte kein Auto. Ich hatte ein Fahrrad. Er drückte mit seiner Hand fest meine Schulter, damit ich auch ja gewahr wurde, dass er in diesem Moment Sätze in Stein meißelte. Eine Feuerwolke erschien, Blitze schrieben die Zehn Gebote in den Fels. „Frauen suchen in jedem Mann einen Cowboy, verwegen, stark, sie beschützend – und was ist ein Cowboy ohne Pferd…“ Respektive Auto natürlich. Er schaute mich mit einer gewissen Skepsis im Blick an, so als zweifle er an meiner geistigen Aufnahmefähigkeit und wolle ergründen, ob ich diesen logischen Schritt mit ihm würde gehen können. Vielleicht hatte er in meinen Augen gesehen, dass ich ihn verstanden hatte. Vielleicht freute er sich auch nur an seiner eigenen Weisheit. Jedenfalls lächelte er, schlug mir zum Abschied kräftig mannhaft auf die Schulter und machte sich auf, in den Sonnenuntergang zu reiten.

Schon zu diesem Zeitpunkt mochte ich ihn nicht. Ich fand ihn eingebildet, sich selbst intellektuell weit überschätzend. Zu laut. Zu oft anwesend. Zudem sah er für meine Begriffe zu gut aus. Das heißt, er war ein Typ Mann, von dem ich annahm, Frauen fänden ihn sehr attraktiv. Groß. Breitschultrig. Sportlich. Klarer, tiefer Blick aus braunen Augen. Und die Hand, die er einem auf die Schulter legte, war groß und kräftig. Aber nun gut, er war der Exfreund meiner Freundin – und nicht nur das, sie kannten sich seit der Jugend, also seit Ewigkeiten, und waren immer noch beste Freunde. Also Kumpels. Oder – wie sie es einmal ausdrückte – Seelenverwandte. Also hatte ich nichts gegen ihn, wenigstens offiziell. Man will sich ja keine Blöße geben. Ist schließlich ein moderner Kerl. Weltoffen. Nähe gegenüber aufgeschlossen, sich selbst – und vor allem seiner Freundin – vertrauend. Kurz: Ich war ahnungslos, welches Pferdchen dieser Cowboy bereits zu diesem Zeitpunkt ritt.

Wie gesagt, wo käme man denn hin, wenn man jeden freundlichen Exfreund mir nichts dir nichts mit dem Auto überrollt? Da muss man schon locker bleiben, sagte ich mir. Wobei ich gestehen muss, dass ich im Internet ein, zweimal auf die Seiten hiesiger Autoverleiher surfte, um mir einen Überblick über die Preise zu verschaffen. War ich auch noch ahnungslos, wie nah sich die beiden Seelenverwandten mittlerweile wieder gekommen waren, so setzen mir ihre langen, herzlichen Umarmungen dennoch zu. Küsschen hier, Küsschen dort. Die kleinen Vertraulichkeiten, zum Beispiel wenn wir zusammen kochten und er am Herd nah hinter sie trat, ihr über die Schulter sah um darüber fachzusimpeln, in welche Richtung man die Soße zu rühren hat, um ihr die richtige Konsistenz zu verleihen…

Nun gut. All das zählt nicht, sagte ich mir in meiner ahnungslosen, vertrauensvollen Aufgeschlossenheit. Gesten, die ihnen über die Jahre so sehr in Fleisch und Blut übergegangen waren, so dass ich mir keine Gedanken zu machen brauchte. Schließlich war ich ihr Freund, und das nicht erst seit gestern. Was vorgestern gewesen war, zählte nicht mehr. Zählte nur noch in aller Freundschaft. Und dennoch: Wenn mich zu jener Zeit, von der ich hier erzählen möchte, an einem gemütlichen Abend mit Rotwein etwas vom Rauchen abhielt, dann seine Anwesenheit. Denn zum Rauchen musste ich das Zimmer verlassen, in dem die beiden sich aufhielten, angeregt unterhielten, Soßen rührten oder alte Geschichten aufkochten. War ja auch gemütlicher, in meinem Zimmer zu sitzen, leise Musik zu hören und dem Rauch zuzusehen, wie er durch das geöffnete Fenster entschwindet. Eigentlich. Wenn ich die beiden nicht hätte alleine lassen müssen, dann wäre es gemütlich gewesen.

2.

Das war der Deal. Ich rauche nur in meinem Zimmer, bei geschlossener Tür und geöffnetem Fenster. Und ich bin auf ihn eingegangen, weil ich den Gedanken, mit meiner Freundin in einer eigenen Wohnung zu leben, sehr anregend fand. Soll heißen: Ich dachte an unsere ersten gemeinsamen Wochen, zählte die im Laufe der Monate entstandene Vertrautheit hinzu und potenzierte das Ganze mit der Freiheit der eigenen vier Wände – und das ergab unter dem Strich die Seligkeit glücklicher Sinnlichkeit. Keine WG-Mitbewohner mehr, die anklopfen, während wir uns unter der Dusche der tiefengründlichen Reinlichkeit hingeben. Keine Single-Mitbewohner mehr, die beim Frühstückstisch Vorträge über Baustatik und Geräusch dämpfende Baumaterialien halten, nachdem wir in der Nacht vor lauter Hingegebenheit kaum zum Schlafen kamen. Niemand mehr, der plötzlich in der Küchentür steht und uns ein schlechtes Gewissen einjagt, weil wir uns küssen.

Ja, das war der Gedanke. Ein guter Gedanke, der sich auf eine verlässliche Datenmenge stützen konnte. Schließlich kannten wir uns seit gut einem Jahr, ein glückliches Jahr, das wir pendelnd zwischen unseren Wohngemeinschaften, in denen wir lebten, verbracht hatten – und das uns beiden Lust auf mehr Nähe gemacht hatte. Sicher, es gab gewisse Unterschiede in der Lebensführung. Meine WG gab sich eher dem Bohème-Gedanken hin. Nach der Party ist vor der Party. Und ich war in diesen Lebensstil voll integriert. Wir waren zu viert in der WG, und drei von uns arbeiteten in der gleichen Studentenkneipe. Nr. 4 war DJ in einem Club der Stadt. Dass wir vier auch studierten, war unserem Lebenswandel eher marginal anzumerken. Es war die Nacht, die uns im Griff hatte. Danielas WG war – wie sie einmal sagte – mehr „erwachsen“ ausgerichtet. Der Fokus war ganz klar auf das Studium ausgerichtet. Ein Jurist, eine Bauingenieurin und Angela die Ökotrophologin, bzw. wie sie immer schrieb Oecotrophologin, hatten sich hier zusammengefunden und waren bestrebt, das Studium so schnell es geht, hinter sich zu bringen und einen gut bezahlten Job zu ergattern. Es gab kaum ein gemeinschaftliches Leben in der WG. Ab und an mal ein schneller Espresso nebeneinander an der Kaffeemaschine stehend, bevor es wieder zur Uni geht. Dreimal im Jahr, also an dem jeweiligen Geburtstag, mit einem Glas Prosecco auf viel Erfolg für das kommende Lebensjahr anstoßen. Also ein Leben, das sich mit Blick Richtung der Sonne einer tadellos erfolgreichen Zukunft am Tage abspielte.

3.

Angela war immer gerne bei mir in der der WG gewesen. Saß gerne an meinem Schreibtisch über ihren Büchern. Die Abende bei mir waren halt auch sehr ruhig, es war ja zumeist niemand zu Hause. Ich war gerne bei ihr, denn es war toll, während alle an der Uni waren, in einer sauberen Badewanne zu liegen. Es waren gute Zeiten, die noch besser werden sollten, wenn wir zusammen wohnen.

Denn eines Tages hatte Angela ihren Abschluss in der Tasche, ein erstes Jobangebot war auch schon herein geflattert. Ich hatte sie zur Feier des Tages in ein picfeines neues Biorestaurant eingeladen, von dem sie mir erzählt hatte. Sie sah umwerfend aus in ihrem schlichten schwarzen Kleid aus Biobaumwolle und Seide. Ich hatte zwar gespottet, als ich den Katalog des Ökomoden-Versenders bei ihr entdeckt hatte, fand alles altbacken und unfeminin. Aber dieses Kleid, das sie letztlich bestellt hatte, strafte mich Lügen und war jeden der vielen Euros wert, die sie hatte hinblättern müssen. Wie dieser Schnitt und der weich fallende Stoff doch ihrer Figur schmeichelten. Der Taxifahrer bekam, als ich in meinem Anzug von der Stange bereits im Fahrzeug wartete, große Augen, als Angela aus dem Haus kam. Ich konnte den ganzen Abend meinen Blick kaum von dem doch recht großzügig aus dem Ökostoff geschnittenen Dekolleté lösen. Und dann, während Angela ihre Buchweizen‐Olivenbällchen auf frischem Bohnenragout mit Schnittlauchtapenade und ich meine Bio‐Dorade vom Grill mit Pancetta und Röstkartoffeln verzehrte, kam der Plan auf, zusammenzuziehen. Bei einer Flasche Gutedel aus Bioland-Weinbau nahm der Plan Gestalt an und wurde dann auf der in verschiedenen freundlichen Ockerfarben gestrichenen Damentoilette des Biorestaurants besiegelt. Farben, von denen Angela meinte, während sie sich mit ihren Händen an der Wand aus Natursteinen abstützte, dass sie sich diese für unsere Wohnung vorstellte. Sie hätte mir in diesem Moment auch Pastellfarben oder sagen wir mal grelle Pinktöne für die Wände unserer zukünftigen Wohnung vorschlagen können, ich hätte, als ich das Kleid hoch- und ihren Slip zur Seite schob, allem begeistert zugestimmt.

Als einmal der Entschluss gefasst war, zusammenzuziehen, ging alles sehr schnell. Trotz der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt fanden wir im Handumdrehen eine schöne Wohnung. Es gab zwar einiges zu tun, bevor wir würden einziehen können. Aber das kam Angelas Wunsch, entgegen, die Renovierung unserer Wohnung nicht dem Vormieter zu überlassen. Denn so konnten wir die wirklich sehr schönen Holzböden in der Wohnung auf ökologisch vertretbare Weise abziehen und versiegeln lassen und für unsere Wände schadstofffreie Farben in Ockertönen verwenden. Alles ein wenig teurer. Aber nun gut, immerhin ging es um das Raumklima, das uns täglich umgibt. Da hatte die Oecotrophologin schon sehr einleuchtende Argumente parat. Angela hatte Recht. Und ich das Geld.

Angelas Eltern mochten mich nicht. Sie hatten ihrer Tochter das Studium finanziert und erwartet, dass ihre Tochter zügig und sehr erfolgreich das Studium absolviert – ich schien in ihren Augen eine Störung dieses Plans darzustellen. Vielleicht hing ich ihrer Tochter ja sogar auf der Tasche? Im schlimmsten Falle war ich Halodri, der sich sein ausgedehntes Philosophiestudium als Barkeeper verdiente, sogar ansteckend. Faulitis vielleicht… Kurz: Als Angela stolz mit ihrem Abschlusszeugnis und dem frisch unterschriebenen Arbeitsvertrag zu ihren Eltern kam, eröffneten sie ihr, natürlich erst nachdem sie ihre Freude über eine so gelungene Tochter geäußert hatten, dass sie ihr nun die finanzielle Unterstützung streichen würden. Sie müssten ja auch einmal an sich denken. Und zudem: Wenn sie schon mit so einem wie mit mir zusammenziehen will, soll sie halt schauen….

Und Angela schaute mit einem Lächeln über diesen Entschluss ihrer Eltern hinweg. Denn einen Monat später würde sie ihr erstes Gehalt von ihrem ersten Job erhalten. Sie brauchte die Unterstützung ihrer Eltern nicht mehr. Zudem hatte ich in all den Jahren meiner Kneipenarbeit dank geringer Ansprüche, häufigen Arbeitens und teils üppiger Trinkgelder ein hübsches Sümmchen zusammen gespart, auf das wir nun zurückgreifen konnten. Also schauten wir nicht aufs Geld, als Angela – natürlich, was die Farbtöne angeht, in Absprache mit mir – die ökologisch und raumklimatisch richtigen Farben auswählte. Als sie einen Fachmann für die biodynamisch angemessene Behandlung der Böden beauftragte – und ich unversehens einen Gutteil meiner Ersparnisse an ihren Exfreund zahlte. Denn er war der Fachmann, den sie ausgesucht hatte. …

Teil 2 (von 3) der Erzählung folgt in Kürze

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