Wir alle haben es mitbekommen: aufgrund von Antizionismus-Vorwürfen hat sich Die Linke das Bekenntnis zu Israel ins Programm geschrieben.
Und diese Entscheidung hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen, besonders innerhalb der Partei, aber auch innerhalb des gesamten linken Spektrums.
Ein Vorwurf, der sich im Internet, auf Blogs und in sozialen Netzwerken, häufig finden lässt, ist der des Opportunismus. Und angesichts der Art und Weise, wie die Programmänderung zustande kam, ist dieser sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Jedoch ist ebenfalls bekannt, dass mitunter auch aus den falschen Motiven heraus noch immer die richtigen Entscheidungen getroffen werden können – Deutschlands Nichtbeteiligung am Irak-Krieg könnte ein Beispiel hierfür sein.
Also, was genau werfen Linksgesinnte der Partei eigentlich vor?
Sie werfen ihr, wie vielen anderen Parteien, Organisation und Staaten dieser Erde, blinden Gehorsam gegenüber der Politischen Korrektheit vor. Nicht das Existenzrecht Israels wird kritisiert, sondern das Bekenntnis dazu. Aber ist das nicht irgendwie paradox?
Nein, sagen die Kritiker: Israel sei durch Iran, Hamas und Hisbollah nicht ausreichend bedroht und ein geradezu feierliches Bekenntnis zu seinem Existenzrecht daher nicht notwendig. Vielmehr berge das Bekenntnis angesichts der unklaren Landesgrenzen eine große Gefahr für den Frieden. Mit Verweis auf einzelne Äußerungen Netanjahus, der auch die Westbank als historische Heimat der Israeliten bezeichnet, werden schließlich die vermeintlichen Expansionsabsichten Israels angeprangert.
Ein Blick in die Geschichte zeigt allerdings, dass Israel derartige Motive wohl nie ernsthaft verfolgt hat. Schließlich wurden nach dem Sechstagekrieg über 90% des eroberten Territoriums wieder an die Nachbarstaaten zurückgegeben, was somit auch der UN-Resolution 242 entsprach (abgesehen von der unterschiedlich interpretierbaren Präambel).
Es bleibt also festzuhalten, dass die Grenzen des Staates Israel momentan in der Tat unklar sind, während aber die Behauptung israelischer Expansionsabsichten keine ernst zu nehmende Basis hat.
Jedoch hat sich Israel diesbezüglich mit der Errichtung der Sperranlagen im Westjordanland sicher keinen Gefallen getan. Denn bereits 2004 bescheinigte ein vom Internationalen Gerichtshof in Auftrag gegebenes Gutachten, dass es sich hierbei um einen Verstoß gegen das Völkerrecht handelt. Und zwar im Wesentlichen deshalb, weil der Verlauf von Zäunen und Mauern zu 80% vom Verlauf der Grünen Linie abweicht und somit vielfach palästinensisches Land beschneidet. Der Grund hierfür, nämlich die Sperranlagen in einem Mindestabstand von 2,5 km zu jüdischen Siedlungen zu errichten, ist zwar nachvollziehbar, aber deshalb keinesfalls automatisch gut zu heißen.
Dennoch muss anerkannt werden, dass die Sperranlagen, die zum Schutz der israelischen Bevölkerung errichtet wurden, ihren Zweck erfüllen. Zwar ist der allgemeine Rückgang von Selbstmordanschlägen in den Jahren 2003 und 2004 auch auf das Ende der zweiten Intifada zurückzuführen, aber dennoch ist im Hinblick auf die absoluten Zahlen Getöteter ein signifikanter Unterschied zwischen Gebieten mit Mauer oder Zaun und Gebieten ohne zu verzeichnen.
Die israelische Ansicht, die Sperranlagen seien momentan unverzichtbar, wird aber nicht nur anhand dieser Erhebungen verständlich. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass seit Mai dieses Jahres in den palästinensischen Autonomiegebieten auf eine Regierungskoalition aus Fatah und Hamas hingearbeitet wird. Letztere hat aber bekanntlich nicht nur kein Interesse an einer Zweistaatenlösung, sondern sich, laut Charta, die vollständige Beseitigung Israels zur Aufgabe gemacht. Die von Hamas-Führer Chalid Maschal im Juli 2009 gemachten Zugeständnisse, u.a. die Anerkennung Israels in den Grenzen von 1967 unter bestimmten von Israel zu erfüllenden Voraussetzungen, müssen daher angezweifelt werden. Man würde hiermit schließlich nicht nur dem eigenen Programm, sondern vor allem auch der Scharia widersprechen.
Realistischer scheinen hier die Aussagen des einstigen palästinensischen Ministerpräsidenten und Hamas-Mitglieds Ismail Haniyya zu sein. Dieser kündigte in einem 2006 erschienenen Spiegel-Interview als Gegenleistung zur Freilassung sämtlicher palästinensischer Gefangenen, der Öffnung der Grenzen und der Möglichkeit, einen eigenen Staat ausrufen zu können, eine sog. Hudna mit Israel an. Da dem islamischen Rechtsverständnis zufolge Muslime keinen Frieden mit Nichtmuslimen schließen können, wäre dieser faktische Waffenstillstand die einzige von der Scharia zulässige Gegenleistung. Jedoch ist eine Hudna in allen Fällen zeitlich begrenzt und böte daher keinerlei dauerhafte Sicherheit für den israelischen Staat.
Ein Wort sei noch verloren zur Kritik an Israels historischer Legitimation, die bereits David Ben Gurion in der Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 formulierte.
Selbstverständlich folgt die Staatsgründung des jüdischen Staates auf kanaanitischem Boden einer inneren Logik der Geschichte, wurde doch das Land bis 73 n. Chr. (Ende des Jüdischen Krieges in Masada) bzw. 135 n. Chr. (Ende des Bar-Kochba-Aufstands) fast ausschließlich von Juden bewohnt und verwaltet. Zwar zuletzt unter der Fremdherrschaft der Römer bzw. Griechen, jedoch kann niemand ernsthaft die israelitische Allein- bzw. Vorherrschaft in der Levante während der Eisenzeit II bis 586 v. Chr. (Babylonisches Exil) bezweifeln. Nicht einmal die sog. Minimalisten, also die Minderheit der syro-palästinischen Archäologen, welche ihre Funde gemäß der „low chronology“ datiert (dabei handelt es sich um die Annahme, der Übergang von Bronze- zu Eisenzeit habe fast ein Jahrhundert später stattgefunden als allgemein angenommen, was den biblischen Exodus und die Landnahme in Zweifel zieht) haben ernsthafte Zweifel daran, dass die Überlieferung der Könige- bzw. Chronikbücher im Wesentlichen historisch zuverlässig ist. Freilich lassen sich die exakten Grenzverläufe zu jener Zeit kaum rekonstruieren, aber die Besiedlungsspuren der Israeliten und Judäer sind auch über das heute international anerkannte Hoheitsgebiet Israels hinaus zu finden. Und sicher ist es der Wunsch vieler, besonders religiöser, Israelis, dieses Gebiet wieder besiedeln zu können. An eine politische oder gar militärische Durchsetzung des salomonischen Großreichs glauben aber sicher nur die allerwenigsten. Stattdessen wächst, wie schon vor rund 2000 Jahren, die Hoffnung auf den משיח (Messias).
Solang dieser den Nahostkonflikt jedoch nicht persönlich beendet, wird wohl oder übel weiter gelten müssen, was in Israel bereits zum Sprichwort geworden ist:
„If the Arabs put down their weapons today, there would be no more violence. If the Jews put down their weapons today, there would be no more Israel.“