Von Marc Schanz
Die europäischen Währungsunion hat einen Systemfehler. Die Steuerung der Geldmenge der einzelnen Euro-Länder, die für eine Fiat-Währung existentiell ist, erfolgt nicht mehr über eine neutrale Notenbank, sondern wird von den Finanzmärkten bestimmt. Die Neutralität des Geldes wird zerstört und die demokratische Kontrolle der Staatsausgaben und -schulden wird hierdurch ausgehebelt.
Ein dumpfes, zermürbendes Gefühl breitet sich aus, es hat sich mehr und mehr zu einer Gewissheit verfestigt. Die Euro-Krise führt zu einem Demokratieabbau, zu Freiheits- und Wohlstandsverlusten, dessen ganzes Ausmaß noch nicht ersichtlich ist, aber uns wohl noch für mehrere Jahrzehnte belasten wird. Die Ursache liegt nicht allein in der Postmoderne, den Boulevardmedien oder volksfernen Politikern, es ist die Euro-Krise an sich und ihre unheilvolle Dynamik, die für diese Zerstörungen in Europa verantwortlich ist. Ohne ein Verständnis einer Währungsunion, ohne das Wissen der katastrophalen Konstruktionsfehler, ohne Bekämpfung der wahren Ursachen, kann diese Krise mit ihren verehrenden Auswirkungen nicht gestoppt werden.
Vielen ist unsere Fiat-Währung und unser Kreditsystem unheimlich. Es ist jedoch weder schwer zu verstehen, noch sollte die Steuerung eines solchen Finanzsystems Probleme bereiten. Ein zentraler, wenn nicht der wichtigste Aspekt ist die Kontrolle der Geldmenge. Sie sorgt nicht nur für die Preisstabilität, eine ausreichende Geldmenge ist zudem schlicht die Voraussetzung dafür, dass überhaupt Geld ausgegeben werden kann, somit wirtschaften möglich ist und Wohlstand entsteht. Dieser zentrale und gleichwohl diffizile Mechanismus ist nicht ohne Grund üblicherweise bei einer Zentralbank angesiedelt, die im Idealfall vollkommen unabhängig d.h. ohne politische Einflüsse agieren sollte. Eine Demokratie regelt daher die Geldmengen- bzw. Geldwertstabilität niemals direkt, es ist die Aufgabe der Zentralbank, diese zu gewährleisten. Diese Neutralität des Geldes muss sicher gestellt sein, damit darauf aufbauend die Wirtschaft und der Staat funktionieren können. Die demokratische Kontrolle über das Staatsbudget, das sogenannte Königsrecht, setzt daher ein funktionierendes Geldsystem voraus.
In einer Währungsunion muss diese zentrale Funktion des Geldsystem auf eine übergeordnete Zentralbank wechseln, in der Euro-Zone ist es die EZB. Die entscheidende Frage ist nun: wird aus Sicht der nationalen Parlamente trotz des Beitritts zu einer Währungsunion die stabile Geldmengensteuerung in ihrem Hoheitsgebiet gewährleistet? Die Antwort ist ein klares Nein!
Um verstehen zu können, weshalb in der europäischen Währungsunion die Geldmengensteuerung versagt, müssen wir uns die länderübergreifende Überweisungen etwas näher betrachten. Möchte ich z.B. einen Geldbetrag in die Schweiz senden, dann muss ich zuerst den Betrag zum aktuellen Wechselkurs in Schweizer Franken umtauschen, erst dann kann die Überweisung erfolgen. Entscheidend ist, dass sich weder hier noch in der Schweiz die Geldmenge ändert, nur auf den Devisenkonten der ausführenden Banken werden die entsprechenden Buchungen vorgenommen. Das Geld eines Staates mit einer eigenen Währung kann daher nur über die abgeschotteten Devisenmärkte das Land verlassen, die eigene Währung verbleibt daher größtenteils im eigenen Land.
In einer Währungsunion ist dieser automatisch vorhandene Liquiditätsschutz aufgebrochen, das Geld kann nahezu unkontrolliert in andere Mitgliedsländer fließen. Wird z.B. Geld in ein anderes Land innerhalb der Währungsunion transferiert, dann erfolgt die Überweisung nicht mehr über solche Devisenkonten, sie wurden ja mit der Währungsunion für diese Länder abgeschafft, sondern sie wird zu einer normalen Inlandsüberweisung. Das verändert den Charakter einer solchen länderübergreifenden Überweisung entscheidend. Sende ich also Geld in ein anderes Euro-Land wie z.B. Griechenland, verringert sich auf einmal die Geldmenge hier und vergrößert sich entsprechend in Griechenland. Die faktische Geldmenge, die einem Staat zur Verfügung steht, kann sich in einer Währungsunion ändern, ohne dass realwirtschaftliche oder andere gravierende Faktoren eine Rolle spielen.
In einer gut funktionierenden Währungsunion gleichen sich die verschiedenen länderübergreifenden Überweisungen innerhalb der Währungsunion gegenseitig aus. So kann auf einfache Weise die Geldmengenstabilität der einzelnen Mitgliedsländer gewährleistet werden. Zu beginn der Euro-Gemeinschaftswährung war genau dies der Fall. Mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise ist die Geldmengenstabilität für die Euro-Länder wie ein Kartenhaus in sich zusammen gebrochen und die bisherigen Rettungsmaßnahmen konnten sie nicht wieder herstellen. Diese enormen Liquiditätsungleichgewichte, die seitdem zwischen den einzelnen Mitgliedsländern bestehen, werden in den viel diskutierten Target2 Salden abgebildet. Negative Salden, wie sie die Krisenländer aufweisen, besagen daher, dass die Geldmenge des Landes dramatisch geschrumpft ist, während für Länder mit positiven Salden sich die Geldmenge erheblich ausgedehnt hat.
Normalerweise ist die Zentralbank für die Steuerung der Geldmenge zuständig. In einer Währungsunion kann sie aber nur die Geldmenge insgesamt, d.h. die für alle Mitgliedsländer, steuern, aber nicht gezielt für jedes einzelne Land. Aus Sicht der EZB ist in der Euro-Zone alles in Ordnung, die Target2-Salden sind insgesamt Null, die Euro-Zone scheint ausreichend mit Liquidität versorgt und der Euro scheint kerngesund zu sein. Der Systemfehler liegt vielmehr in der Binnenstruktur des Euros. Die Ungleichverteilung der Liquidität in der Euro-Zone bedeutet für die Krisenstaaten, dass ihr Liquiditätsabfluss existenzgefährdend ist.
Die Geldmenge, die den einzelnen Nationen faktisch zur Verfügung steht, wird nicht mehr durch eine unabhängige Notenbank festgelegt, sondern durch die enormen Liquiditätsverschiebungen auf dem Finanzmärkten bestimmt. Das Geldsystem verliert für die Euro-Länder seine wichtige Eigenschaft der Stabilität, die Neutralität des Geldes ist zerstört. Die Anreize, die der außer Kontrolle geratene Finanzmarkt mit seinen gigantischen Liquiditätsverlagerungen innerhalb der Währungsunion setzt, können von der Wirtschaft einfach nicht kompensiert werden und lassen die Staatshaushalte kollabieren. Zudem erlaubt diese widersinnige Konstruktion wilde Spekulationen und gezielte Attacken des Finanzmarktes auf ein Mitgliedsland.
Die EZB stehen keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, die enormen Liquiditätsunterschiede ihrer Mitgliedsländer auszugleichen, wie es die Explosion der Target2-Salden bezeugt. Zudem zeigen die Salden an, dass sich die Krise für die Staaten zu einer Existenzbedrohung aufgeschaukelt hat. Das Schlimmste ist jedoch, dass diese deutlich sichtbare Gefahr nicht einmal als Bedrohung wahrgenommen wird, geschweige denn als Ursache der Krise, sondern es findet eine krankhafte Fixierung auf die Symptome, die Staatsschulden, statt.
Die nationalen Parlamente sind bereits während des Beitritts zur Währungsunion entmachtet worden. Sie haben die Verfügungsgewalt über die für einen Staat existenzielle Geldmengen- bzw. Geldwertsteuerung nicht etwa der unabhängigen EZB übertragen, wie es wohl die meisten angenommen haben, sondern sie wurde an die Finanzmärkte delegiert. Normalerweise ist die Geldmengenstabilität und somit die Neutralität des Geldes gewährleistet, in der Euro-Zone ist dies nicht der Fall. Die Grundlage, um Staatsausgaben und -schulden sinnvoll planen und kontrollieren zu können, ist zerstört und ihre demokratische Kontrolle ist ausgehebelt.
Weder die diversen Rettungsschirme noch die Fiskalunion beheben diesen Systemfehler. Die Rettungsschirme verlängern nur das Sterben der Staaten, die Fiskalunion mit ihren Schuldenbremsen ist hingegen eine durch und durch perverse Vorgehensweise. Das einzige verbleibende Mittel, sich gegen den Abfluss der Liquidität zu wehren, ist die Aufnahme von Schulden. Die enormen Banken- und Staatsschulden sind somit nichts anderes als ein Symptom der desaströsen Geldmengensteuerung in der Währungsunion. Selbst dieser letzte Rettungsanker, die Verschuldung, soll den Krisenstaaten nun genommen werden. Es ist so, als ob man zu einem Ertrinkendem eilt, ihm eine Bleiweste zu wirft und ihn mit den Worten aufmuntert: „So, wenn du sie überziehst, geht es dir bestimmt besser!“