(Berlin, 10.06.2010) Seit Anfang Juni ist das Hilfspaket für Griechenland und andere schwächelnde Eurostaaten geschnürt: Von 750 Milliarden Euro bürgt Deutschland mit 148 Milliarden für den größten Anteil. Ob wir das Geld jemals wieder sehen oder ob es unter „Reparationen“ für die Verbrechen des Naziregimes im II. Weltkrieg ver-bucht wird, steht auf einem anderen Blatt. So plötzlich wie diese Frage im Februar 2010 von einigen konservativen Abgeordneten im griechischen Parlament auf die Tagesordnung gesetzt wurde, so schnell war sie auch wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Hinter den Kulissen wird jedoch weiter diskutiert, gestritten und gepfändet, vermutlich bis zur Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) 2011. Die Bundesregierung hatte das Gericht Ende 2009 angerufen, nachdem Opferanwälte aus Griechenland in Italien Immobilien und Vermögen der Bundesrepublik gepfändet hatten. Der IGH hat nun die Aufgabe, zu klären, ob Deutschland Griechenland und anderen ehemals besetzten Staaten Reparationen für die Verbrechen und Zerstörungen des II. Weltkriegs schuldig geblieben ist; eine völkerrechtliche Frage, deren Klärung ganze Aktenkilometer füllt.
Die Bundesregierung versucht sich mit juristischen Winkelzügen aus der Verantwortung zu ziehen. So wurde peinlich genau vermieden, den 2+4 Vertag einen Friedensvertrag zu nennen, da nach einem Abkommen von 1953 die Frage der Reparationen mit der Wiedervereinigung und der Unterzeichnung eines Friedensvertrages wieder aktuell werden würde. Und überhaupt seien die Ansprüche der Opfer des II. Weltkriegs heute verjährt. Wann verjährt aber Mord und lässt sich beispielsweise im griechischen Fall der Mord an 218 unschuldigen Menschen, wie in der griechischen Ortschaft Distomo geschehen, in Geld aufwiegen? Vor griechischen und italienischen Gerichten haben die Opfer und Angehörige der Opfer von Distomo bereits Entschädigungsansprüche erstritten. Als die Bundesregierung die Zahlungen mit dem Verweis auf die Immunität von Staaten verweigerte, setzten die Opferanwälte die Pfändung von Vermögen der Deutschen Bahn in Italien und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die in deutschem Staatseigentum stehende Villa Vigoni durch. Der Gerichtshof wird vermutlich 2011 entscheiden, ob die Opfer von Distomo Anspruch auf Entschädigung haben, wie sie ehemaligen NS-Zwangsarbeitern mit der Einrichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im Jahr 2000 zugestanden wurde.
Die Krux des Verfahrens liegt darin, dass eine Klage von Privatpersonen gegen einen Staat nicht möglich ist. Theoretisch müssten die Opfer von 1944 die Täter von damals verklagen. Verwirft der IGH diese Auffassung, wie die italienischen und griechischen Gerichte vor ihm, haben die Opfer von Distomo oder ihre Angehörigen gute Aussichten Entschädigungszahlungen zu erhalten. Die Zeit arbeitet jedoch gegen sie.
Leichter haben es die Italiener, deren Regierungsvertreter Reparationen für die Zeit der deutschen Besatzung gefordert haben. Käme es zum Prozess, stünde ein Völkerrechtssubjekt einem anderen gegenüber. Die Frage der Reparationen müsste dann neu entschieden werden. Mit den Entschädigungsforderungen der Opfer von Distomo hängt sie nur durch die Nutzung des „Trittbrettfahrereffekts“ zusammen. Die Gegenüberstellung beider Forderungen macht jedenfalls deutlich, dass die Recht-sprechung und Gerechtigkeit verschiedene Dinge sind.
Martina Lehnigk