The only big fight we’ve had in years is about whether to go back into couples therapy.
Ang Lees DER EISSTURM offeriert sich als erstaunlich vielschichtiges Werk; gleichermaßen Zeit-, Gesellschafts- und Familienportrait, Satire und Drama – Tragödie. Die Nachwirkungen des “Summer of Love” sind nun schon in amerikanisch-konservativen Provinz-Städten bemerkbar und beeinflussen familiäre Strukturen und das sexuelle Erwachen bis ins Mark. Pubertäre Experimentierfreudigkeit wird schamlos ausgelebt und die heilige Institution Ehe differenziert hinterfragt – eine Phase der unzufriedenen Kritik beginnt. Im Kontext dieser Dekade erschafft Lees Adaption von Rick Moodys Roman ein homogenes Bildnis einer aufrührerischen Zeit, deren Motto “Widerstand” lautete. Erstaunlich sind die vielen Parallelen zum oscarprämierten AMERICAN BEAUTY, doch beide Werke trennt letztlich ein entscheidener Faktor: Während Sam Mendes’ zwei Jahre später erschienenes Werk lediglich eine tendenziell distanzierte Lesart zulässt, gelingt es Lee, seine Figuren zu hinterfragen und gleichsam als Menschen zu präsentieren, deren Schicksale emotional tief berühren. Und obwohl sich ein derartiger Plot oft schnell als zu konstruiert wirkend entlarvt, wohnt dem Film aus dem Jahr 1997 eine mediative Ruhe inne, die jeglichen Verdacht in diese Richtung schnell zerstreut.
Familie und Sex. American Dream und Auflehnung. Seine gutbürgerlichen Familien zelebrieren den amerikanischen Traum, haben Kinder und führen eine – oberflächlich – glückliche Ehe. Ihr Verlangen nach Konsum ist ebenso groß wie das Begehren der hübschen Nachbars-Ehefrau; verloren im bigotten Zwiespalt aus Erhaltungswillen der gemeinsamen Existenz und dem Aufbrechen der Ketten gesellschaftlicher Konventionen; trotz stark divergenter Unterschiede ungemein von den sogenannten Hippies inspiriert, gestehen sich dies aber zu keinem Moment voll ein. Lediglich der typisch adoleszente Drang nach Auflehnung gegen die Erzeuger ist frei jeglicher Heuchelei – Polygamie, Rebellion und Ablehnung der politischen und innerfamiliären Machtapparate; was anfangs wie Chaos anmutet, entpuppt sich alsbald als einzige Wahrheit im undurchsichtigen Geflecht verlogener Träume und Versprechungen. Lediglich Betrunkene und Kinder sind imstande, die unverfälschte Wirklichkeit zu offenbaren.
Ang Lees Gespür für natürliche Bild-Ästhetik tut letztendlich dann ihr Übriges. Dem EISSTURM gelingt es, seine Protagonisten objektiv abzubilden und den Zuschauer trotzdem direkt in das Geschehen zu transportieren. Geschickt wird ein Hauptthema der berühmten Comic-Reihe THE FANTASTIC FOUR in die Geschichte integriert – die Familie ist Ankerpunkt und Ursache des Unglücks zugleich; Sexualität das offensichtlichste Vermächtnis des animalischen Ursprungs. Manchmal muss erst ein apokalyptischer Eissturm hereinbrechen und das größte aller Unglücke heraufbeschwören, damit man aus seinem Wahn wachgerüttelt wird.
8,5/10