Der einfache Mönch ist arm, aber froh

Von Thesandworm

Für die Unternehmung diverser touristischer Aktivitäten im eigenen Land ist man zumeist vom Zusammentreffen zweier Bedingungen abhängig. Zum einen vom Besuch ausländischer Gäste, denen man einen Ausflug zu bestimmten Zielen, die man alleine nicht aufsuchen würde, als hochinteressant nahe bringen kann, zum anderen, auch aufgrund der entmutigenden Lage in Sachen öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere der ÖBB, auf die Verfügbarkeit eines Autos.

Vergangene Woche trafen glücklicherweise beide Zustände gleichzeitig ein und ein Ausflug ins Stift Melk war in Windeseile vereinbart, schließlich wollte ich schon seit längerer Zeit einmal dort vorbei schauen, nicht nur wegen meiner Vorliebe für Umberto Eco (wer sich an Der Name der Rose erinnert, weiß dass der junge Adlatus von dort stammt), sondern weil ich mich generell für Architektur und Geschichte interessiere.

Zwei Freunde haben mich begleitet und bei stetem Regen ging es von Wien aus los in Richtung Melk. Wettertechnisch also beste Voraussetzungen, um sich innerhalb des Stiftes gemütlich umzusehen.

Das beeindruckende Barockensemble, welches über Melk thront, war in einer knappen Stunde erreicht, 2000 wurde es von der UNESCO samt umliegender Wachau, dem Stift Göttweig und der Altstadt von Krems zum Weltkulturerbe ernannt.

Der Blick auf das Stift schließlich bestätigt die Verleihung diverser internationaler Zertifikate, auch wenn man sich über deren Nutzen nicht wirklich sicher ist, architektonisch stellt das Gebäude auf jeden Fall eine herausragende Leistung dar und weckt große Vorfreude, sich das Ensemble auch von innen genauer anzusehen.

7.70 Euro Eintritt für Erwachsene, 4.50 für Studenten ist ein akzeptabler Preis und man machte sich sogleich, wenn auch etwas gebremst von einem gleichzeitig vor Ort abgesetzten Schwall hauptsächlich japanischer Touristen, erwartungsvoll auf den Weg ins Stiftsmuseum. Ich hatte mich zuvor, außer in Bezug auf die Anreise, kaum darüber informiert, die Webseite des Stiftes ist im Chic des 20. Jahrhunderts erstellt, wo man das Geld für diverse Modernisierungen gelassen hatte, wurde einem jedoch beim Eintritt ins Museum mehr als deutlich vor Augen geführt.

Leider haben sich die Verantwortlichen in Melk offenbar dafür entschieden, die architektonische Innenausstattung einem Diskothekendesigner zu überlassen. Die Räumlichkeiten, die man durchschreitet, brüllen einen wahlweise in grünem oder blauem Neonlicht an, es dominiert ein Make-Over-Stil der Marke „Clubbing-Lounge“ bzw. „das ist echt super modern“, oder man hält sich ans Swingerclubflair à la „Spiegelkabinett samt kitschige Barockengeln“. Getoppt wurde das Ganze von hässlichem Kunsthandwerk und einer Raumgestaltung, welche den Eindruck vermittelt, man hätte sie jener Sorte von Leuten übertragen, die gemeinhin in Heimarbeit Dinge produzieren, die sie dann auf örtlichen Zeltfesten oder Flohmärkten als „Kunst“ verkaufen.

Insgesamt wird durch diese völlig daneben gegangene Modernisierung wieder einmal offenbar was passiert, wenn man völlig ungeeigneten Leuten zu viel Geld in die Hand drückt. Ein typisch österreichisches Problem, wie mir scheint.

Die Tatsache, dass man hierzulande die Begriffe Modernisierung, Renovierung und Restaurierung verwechselt, hat schließlich dazu geführt, dass man im Stift Melk wunderschöne Barockräume zu einem völlig unpassenden „Erlebnisparcours“ verunstaltet hat. Eine Restaurierungkatastrophe, die mir noch heute den Magen umdreht und mich dafür plädieren lässt, den oder die Verantwortlichen für den Rest ihres Lebens wahlweise im neongrünen oder neonblauen Kitschdesasterraum einzusperren.

Die optische Verunstaltung war jedoch noch nicht das Ende der Geschichte. Leider. Neben den eher spärlichen und kaum ein Gesamtbild vermittelnden historischen Informationen, hat man sich bei der inhaltlichen Kuratierung im Museum ganz und gar der katholischen Indoktrination verschrieben. Da findet man dann an die Wand gemalte Glaubensbekenntnisse, die Krönung wird dem ganzen Hokuspokus schließlich in der Form von „Informationsschildern“ in vier Sprachen aufgesetzt.

In Bezug auf Geschichtsverfälschung hat man sich dort selbst übertroffen, indem man auf Texten, die in einem als sachlich verkleideten Informationsstil verfasst sind, mehr oder minder Missionierung betreibt. So las man also Phrasen wie „Diese neue geistige Strömung (gemeint ist die Aufklärung) beachtete manche menschliche Werte nicht, brachte aber auch viel Licht in manches Dunkel. Viele positive Werte dieser Entwicklung brachten große Fortschritte, manches jedoch ließ wichtige Bereiche verarmen“.  Oder: „Wieder einmal sollte eine Einseitigkeit, die Betonung menschlicher Vernunft, Prozesse einleiten, die etwas Ganzes auseinander teilen sollte“.

Die Interpretation derartiger Ungeheuerlichkeiten überlasse ich den Lesern selbst, mir wird beim Überdenken solcher Formulierungen auch nicht deshalb übel, weil ich gegen persönliche Glaubensbekenntnisse wäre. Jeder Mensch soll sich seines oder keines aussuchen, was aber erschütternd ist, ist die Tatsache, dass man hierzulande, zumindest was das Stift Melk betrifft, also in der katholischen Kirche, noch immer nicht die Bedeutung von historisch-wissenschaftlicher Dokumentation begriffen hat, sondern sich dafür entschieden hat, die Informationen über das Stift und seine Rolle in der Geschichte in einer Art Predigt über die Besucher zu stülpen. Man geht also wieder einmal davon aus, dass man selbst besser weiß, was für die Menschen wichtig und richtig ist, anstatt die am Stift interessierten Leute als mündige Individuen zu begreifen, die selbst in der Lage sind sich eine Meinung zu bilden.

Dazu ist anzumerken, dass ich vergangenes Jahr mehrere Tage in Südengland unterwegs war (die Berichte dazu finden sich in der Kategorie „Reise“) und dort nicht wenig Zeit in diversen Kathedralen zugebracht habe. Im Gegensatz zu Melk jedoch war man an all diesen Orten, die ihre Führungen noch dazu gratis anboten, in der Lage historisch akkurate Informationen zu vermitteln. Die Guides waren zumeist freiwillige Senioren und Seniorinnen, die über wirklich beeindruckende Sachkenntnis verfügten, kein einziges Mal fand sich irgendwo, egal ob auf Schildern oder bei diversen Führungen, auch nur ein klitzekleiner Versuch, mir als Besucherin, irgendeinen Glauben schmackhaft zu machen.

Als geringer Trost für die im Stift Melk dargebotene Travestie, kann ich wohl bloß anführen, dass man die verantwortlichen Clubbingdesigner wenigstens aus der Bibliothek fern gehalten hat – ich wäre vermutlich an Ort und Stelle in Tränen ausgebrochen, hätte man dort irgendwelche Leuchtröhren plaziert, einigermaßen beruhigt hatte ich mich erst nach dem Besuch des ausgezeichneten Rathauskellers in Melk, sowie nach dem daran angehängten Spaziergang durch den Klosterpark, der bis auf die Innengestaltung des Pavillons (Achtung Transzendenz!) Balsam für die aufgeklärte Seele war.

Susanne, 8. August 2010