Der “eine” Dharma…

Von Rangdroldorje

Weder der Buddha noch Jesus oder Shankara oder Laotse haben eine Schule oder eine Religion geschaffen. Die Schulen, Gruppen und Kulte der Religionen sind menschliche Eingriffe und beinhalten Begrenzungen, Verzerrungen und Dualismen der nachfolgenden menschlichen groben und subtilen egoistischen Unwissenheit (Ignoranz), sobald wir konzeptuell und erfahrungsmäßig ihre Sichtweisen und Meditationslehren auspacken. Dass die esoterischen und nondualen Lehren von Zen und Dzogchen historisch mit dem Buddhismus verbunden sind, bedeutet nicht, dass sie mit dem historischen Buddhismus begannen oder darauf begrenzt sind. Dzogchen beispielsweise wurde in der alten, vorbuddhistischen Tradition der Bonpos nach den überlieferten Weisheitslehren des Bön und schon von den vorgeschichtlichen „zwölf Lehrern des Dzogchen“ Jahrhunderte vor der Geburt des historischen Nirmanakaya Buddha Shakyamuni praktiziert. So wie im esoterischen Christentum gelehrt wird, dass „das, was christliche Religion genannt wird, schon unter den Alten existierte und niemals nicht existiert hatte, seit Beginn der Menschheit an bis Christus Fleisch wurde“. Noch ergibt sich aus der Tatsache, dass Nyingma Dzogchen vom Shivaismus beeinflusst wurde, und Chan oder Zen vom Daoismus beeinflusst wurde, dass sich diese daraus ableiten oder darauf zurückzuführen sind. Wenn wir aus unserer Gewohnheit des linearen Denkens in Ursache und Wirkung heraussteigen, erkennen wir, dass all die Traditionen der großen uranfänglichen Weisheitsüberlieferung nicht so sehr aus einer linearen geschichtlichen Ursache-Wirkungs-Kette entstanden sind, obwohl diese Einflüsse natürlich bestehen, aber eben wechselseitig, sondern viel mehr als ein Kontinuum des uranfänglichen Weisheitsgrundes. Die verschiedenen Traditionen unserer großen Weisheitstradition erwidern die uranfängliche Weisheit aus derselben Basis, aus der die verschiedenen Daseinsformen entstehen. Kontemplation und Meditation auf diese „Weisheit der Leerheit“ eröffnet gleichwertig die Basis zu all diesen.