Historiker, Juristen, Journalisten, Philosophen, Politiker, Überlebende der Shoah und schlussendlich Adolf Eichmann selbst haben zu diesem Thema eine Menge zu Papier gebracht, ganze Regalwände füllt das Thema; einmal abgesehen von all den Dokumentar- und Spielfilmen. Hier soll heute nichts wiederkäut werden, nur die Fakten werden kurz angerissen, um sie wieder vor Augen zu haben, doch wieder jährt sich der Beginn des Eichmannprozesses vor 52 Jahren und ich frage mich, hat dieses damals so aufwühlende Ereignis noch Heute einen Erinnerungswert? Doch bevor diese Frage beantwortet werden kann, oder vielleicht im Raum stehen bleiben muss, schauen wir kurz zurück um uns noch einmal aller Fakten der damaligen Zeit vor Augen zu führen:
Otto Adolf Eichmann wurde am 19. März 1906 in Solingen geboren, wuchs aber in Linz auf. Ohne Realschulabschluss und nach dem Versuch einer gewerblichen Ausbildung, die er auch nicht abschloss versuchte er sich in mehreren Berufen, in dieser Zeit lernte er bereits Ernst Kaltenbrunner kennen, den späteren Chef der Reichssicherheitshauptamts. Schon früh schloss er sich ‚rechten’ Kampfverbänden der Nachkriegszeit an, ebenso der NSDAP in Österreich. Nach dem Verbot der Partei in Österreich ging er nach Bayern, machte dort in Dachau eine kurze paramilitärische Ausbildung und meldete sich 1934 freiwillig zum Sicherheitsdienst der SS nach Berlin. Endlich stand ihm der Weg zu einer ‚Karriere’ frei, so wie er sie vermeintlich verdiente. Nach einigen Stationen innerhalb der Verwaltung baute er, nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, zusammen mit seinem Stellvertreter Alois Brunner die ‚Zentralstelle für jüdische Auswanderung’ in Wien auf, welche die zwangsweise Ausreise der jüdischen Bevölkerung aus Österreich betrieb, mit ‚Erfolg’ aus nationalsozialistischer Sicht. Im März 1939 wurde er mit der Errichtung einer Auswanderungsbehörde in Prag nach demselben Modell wie in Wien beauftragt. Ende 1939 übernahm Adolf Eichmann die Leitung der zuvor von Reinhard Heydrich eingerichteten ‚Reichszentrale für jüdische Auswanderung’ in Berlin und wurde Leiter des Referats IV D 4, dem so genannten ‚Judenreferat’ beim Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin. Als Leiter des Referats IV D 4, später IV B 4, war Adolf Eichmann für die gesamte Organisation der Deportation der Juden aus Deutschland und den besetzten europäischen Ländern zuständig. Ihm unterstand die Koordination sämtlicher Transporte, er sorgte für die Einhaltung der Fahrpläne und die Zusammenstellung und Auslastung der Eisenbahnzüge, die die Menschen in die Ghettos und Vernichtungslager transportierten. Er war somit direkt mitverantwortlich für die Enteignung, Deportation und Ermordung von rund sechs Millionen Juden. Die Konsequenz seiner Tätigkeit ist bekannt und er tat dies bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, mit Nachdruck, auch dann noch, als die Lage Deutschlands als ausweglos zu betrachten war. Nach dem Krieg versteckte er sich unter falschem Namen, geriet unerkannt in amerikanische Kriegsgefangenschaft, konnte entfliehen und arbeitete unter falschen Namen und konnte 1950 mit Hilfe deutsch-katholischer Kreise um den österreichischen Bischof Alois Hudal im Vatikan über Italien entlang der sogenannten ‚Rattenlinie’ nach Argentinien auszuwandern. Adolf Eichmann gab sich als Riccardo Klement aus und konnte ein paar Jahre später seine Familie nachkommen lassen; sein jüngster Sohn Ricardo wurde 1955 in Argentinien unter dem Namen Klement geboren. Die Familie Klement lebte in eher bescheidenen Verhältnissen, Eichmann selbst hatte Arbeit als Elektriker im Lkw-Werk von Daimler-Benz in González Catán gefunden.
Der Ankläger im Frankfurter Auschwitz-Prozess und hessische Generalstaatsanwalt, Fritz Bauer, erhielt 1957 einen Brief des mit ihm befreundeten überlebenden KZ-Häftlings Lothar Hermann aus Buenos Aires, dessen Tochter Sylvia hatte Eichmanns ältesten Sohn Klaus kennen gelernt und die sich über dessen antisemitische Äußerungen gewundert, nach Recherchen fand sie die wahre Identität heraus. Fritz Bauer informierte die israelische Regierung. Wie heute bekannt ist, wussten der Bundesnachrichtendienst, aber auch die CIA seit spätestens 1958 um den Aufenthaltsort Eichmanns Bescheid; Handlungen daraus ergaben sich nicht. Einer Zielfahndergruppe des Mossad, dem israelischen Geheimdienst, gelang der Zugriff auf Eichmann am 11. Mai 1960 in San Fernando, einem Stadtteil von Buenos Aires. Argentinien hatte zu der Zeit kein Auslieferungsabkommen mit Israel; so wurde die Operation ohne Einbeziehung der örtlichen Behörden durchgeführt und die Zielperson ‚Attila’ sodann mit einem Flugzeug der El Al am 22. Mai nach Israel verbracht. Ein Distriktsrichter in Haifa erließ am 23. Mai 1960 den Haftbefehl gegen Eichmann. In der Untersuchungshaft stellte er sich der Befragung von Staatsanwälten und schrieb auch selbst seine ‚Wahrheit’ nieder, dabei zog er sich auf Gesetze, Verordnungen und Befehle zurück, eine Eigenverantwortung übernahm er nicht. Der Eichmann-Prozess begann am 11. April 1961 vor dem Jerusalemer Bezirksgericht unter dem Aktenzeichen 40/61 mit 15 Anklagepunkten, unter anderem wegen ‚Verbrechen gegen das jüdische Volk’; ‚Verbrechen gegen die Menschheit’; ‚Kriegsverbrechen’ und die ‚Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation’. Der Prozess, der unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfand, endete am 15. Dezember 1961 mit dem Todesurteil gegen Eichmann, dies Urteil wurde in zweiter Instanz am 29. Mai 1962 durch das Berufungsgericht bestätigt. Auch während der langen Gerichtsverhandlung, die angesichts der unmenschlichen Verbrechen, mehr als fair und rechtsstaatlich vonstatten ging, zeigte Eichmann weder Reue noch zeigte er sich für seine Handlungen verantwortlich. Er stellte sich als ‚Befehlsempfänger’, als ‚Rädchen in der Verwaltung’ dar; forderte Erbarmen und wirkte dabei eher erbärmlich. Am 31. Mai 1962 wurde das Todesurteil in Ramla bei Tel Aviv vollstreckt.
Dieser Prozess war aber weit mehr als ‚nur’ die Wahrheitsfindung eines Gerichts über einen Massenmörder, für den jungen Staat Israel war er ein historisches Fanal, sich mit der Zeit der Shoah intensiv zu befassen, denn bis dahin war das Thema eher rudimentär in der israelischen Gesellschaft behandelt worden, der Aufbau des Staates Israel, aber auch die Sicherung der Lebenssituation jedes Einzelnen standen eher im Vordergrund, als das Vermächtnis der Überlebenden der Shoah, wobei diese oftmals so traumatisiert waren, dass sie gar nicht reden konnten, beziehungsweise reden wollten. Aber auch im Land der Täter, in Deutschland, löste dieser Prozess, der damals durch alle Medien ging, eine zaghafte Bewusstseinsänderung hervor. Zwar versuchte die damalige Adenauerregierung die Prozesserkenntnisse so klein wie möglich zuhalten, ebenso erging es vielen Behörden und Institutionen, auch um die eigene Beteiligung am Holocaust nicht eingestehen zu müssen, doch in der Gesellschaft begann dadurch ein erstes zaghaftes Umdenken. Die einen fühlten sich gestärkt, nun von ihrem eigenen Erleben erzählen zu dürfen, die anderen zogen sich auf die Position des „nicht gewusst haben’s“ zurück und eine kleinere Gruppe begann die Fakten schlicht und ergreifend zu leugnen. Zwar kam es in Deutschland (noch) nicht zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion, doch war der Eichmann-Prozess das erste ‚Türchen’, das sich öffnete, um ein Bewusstsein für die Schrecken dieser Zeit zu erlangen. Aber auch für andere Länder dieser Welt war der Prozess und seine Inhalte ein Startschuss über die Gräuel des Krieges hinaus zu blicken, unter welcher politischen ‚Brille’ auch immer diese hindurch sahen.
Über die Veränderungen, die dieser Prozess in Deutschland hervor brachte und welchen Prozess der Aufarbeitung er auf vielen Gebieten anstieß könnte noch lang referiert werden, doch schauen wir uns das Ergebnis Heute an und kommen auf die eingangs gestellte Frage zurück: Ist eine Erinnerung an diesen Prozess Heute noch nötig oder gehört er ausschließlich in die Geschichtsbücher? Zwar kann man davon ausgehen, dass die Thematik des Holocausts in weiten Teilen historisch aufgearbeitet ist, wobei man immer wieder, auch heute noch, auf Erkenntnisse stößt, die noch nicht gänzlich bearbeitet sind; doch die Kenntnisse über diese Zeit nehmen innerhalb der Gesellschaft eher ab als zu. Aber wie wir wissen, ist nur ein guter Kenntnisstand das beste Rüstzeug gegen die Tendenzen der Ausgrenzung von Minderheiten; und hier liegt (leider) wieder vieles im Argen in unserer Gesellschaft. Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus nehmen eher zu als ab; rechtes Gedankengut hat auch wieder Teile der Mitte unserer Gesellschaft erreicht und wird nur in Extremfällen geächtet. Da muss jemand schon in Schnürstiefeln und Glatze daherkommen um ausgegrenzt zu werden, wenn überhaupt; kommt er im ‚Anzug’ daher, also mit Attributen der Mittelschicht, scheint unsere Gesellschaft wenig sensibilisiert. Die Zeit der Verbrechen des Nationalsozialismus wird heute wenig mit faschistoidem Gedankengut von Heute in Verbindung gebracht, ein fataler Fehler meines Dafürhaltens, denn nur aus der Geschichte können wir lernen, um uns nicht wiederholen zu müssen. Wieder stehen wir vor dem Beginn eines Prozesses in dem rassistische Gewalt angeklagt wird, das NSU-Verfahren und ihre Verschleierungen, ihre polizeilichen und politischen ‚Pannen’ werden in Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet, doch die Querelen vor dem eigentlichen Prozess gegen die Täter von viel zu vielen Morden werfen ein Schlaglicht auf unsere Gesellschaft, die wenig Gutes erwarten lässt. Doch eins wird schon heute sichtbar, weder die Ermittlungsbehörden, noch die Entscheidungsträger und aller Wahrscheinlichkeit auch die Angeklagten werden, oder übernehmen Verantwortung. Ein wahres Armutszeugnis eines Bürgers einer, zwar jungen, doch scheinbar recht stabilen Demokratie. Zwar können wir davon ausgehen, dass der kommende ‚NSU-Prozess’ rechtsstaatlich verhandelt wird, doch sollten wir als Gesellschaft, diesen Prozess auch als Fanal verstehen, auf dem ‚rechten Auge’ nicht blind zu sein und uns der Verantwortung stellen; alle zusammen und jeder für sich selbst. Denn nur so können wir die verhandelten Taten des Eichmann-Prozesses in die Geschichtsbücher verbannen.
"Seine Verantwortung bewusst auf sich zu nehmen, bedeutet an sich schon einen wichtigen Schritt auf dem Wege schnelleren Fortschritts." Julian Huxley
Bild 1: Auschwitz Birkenau – Quelle: cinu.mx · Bild 2: Adolf Eichmann in Jerusalem – Quelle: gedenkstättenpädagogik-bayern.de · Bild 3: Gerichtssaal Eichmann Prozess – Quelle: orf.at · Bild 4: Buchtitel Eichmannprozess+Pressen – Quelle: campus.de