Der Drogenkoch und das Laissez-Faire

Von Robertodelapuente @adsinistram
Kürzlich berichtete der Stern über einen Restaurantbesitzer in den USA, der seinen Laden verkauft habe, um mit dem Erlös seiner an Krebs erkrankten Mitarbeiterin helfen zu können. Der Stern nannte das "eine Geschichte, die die Herzen wärmt". Ich nenne das eine traurige Geschichte. Es zeigt nur, dass man in den Vereinigten Staaten als Krebspatient entweder Geld haben oder Blue Meth kochen können muss, um seine Überlebenschancen zu wahren.
In der gefeierten und fabelhaften US-Serie Breaking Bad geht es um Walter White, einen Chemielehrer, der an Krebs erkrankt ist. Weil er sich die Behandlung nicht leisten kann und er seine Familie nicht mittellos zurücklassen will, setzt er seine Fachkenntnisse ein, um synthetisiertes Methamphetamin zu kochen - besser bekannt unter dem Namen Crystal Meth. Von da ab geht es mit voller Geschwindigkeit in die Unterwelt. Aus anfänglichem Skrupel wird Leidenschaft. Es ist faszinierend, diesem normalen Typen zuzusehen, wie er zu einem kriminellen Mythos wird, der aber nicht einfach nur ein harter Kerl ist, sondern ein teils weinerlicher Lappen und besorgter Ehemann und Vater. Mehr will ich hier über den Inhalt der Serie nicht erzählen. Es wäre schade um die Spannung.

Es wurde viel geschrieben, was Breaking Bad alles sei. Eine Geschichte über den Drogenmarkt und die amerikanischen Methoden der Drogenbekämpfung, ein Abbild der Wirtschaftskrise, Gangsterepos und Familiensaga, eine Erzählung darüber, wie der Krebs das Familienleben bestimmt und ein Bericht über das amerikanische Gesundheitswesen. Und das alles stimmt mehr oder weniger auch. Mich persönlich beschäftigte eines ganz besonders im Umgang mit dieser Serie - und zwar die Frage: Gibt es in einem Staat, der seine Bürger bei Krankheit oder in Not krepieren lässt, überhaupt das Verbrechen?
Ich tue mich jedenfalls schwer damit, den Meth-Koch in einem derart sozial kalten Klima als einen Gangster zu sehen, auch wenn er offenbar etwas wirklich Schlechtes tut, Unheil über die Süchtigen und deren Angehörige bringt. Ist ein solcher Gangster nicht auch ein Getriebener? Und ist es nicht kriminell, wenn eine Krankenkasse eine notwendige Krebs-Therapie ablehnt und der Staat, in dem solche Ablehnungsbescheide per Post eintrudeln, das auch noch duldet? Nach Definition von Hobsbawn ist Walter White eher kein richtiger Sozialrebell. Viele Indikatoren sprechen dagegen. Ab einem gewissen Punkt geht es Walter White zudem auch nicht mehr um die Bezahlung seiner Rechnungen, sondern um Reichtum - in einer Szene sagt er, er könne jetzt nicht aufhören mit der Drogenherstellung, denn er sei im Imperien-Business. Gleichwohl kann man in ihm einen Sozialrebellen sehen. Einen, der Meth kocht, weil ihn die Gesellschaft sonst sterben lässt.
Hier kommt dieses allgemeine Lob auf den freien Markt und das Laissez-Faire auf den Punkt. Die Frage, die mich bei Breaking Bad beschäftigte, ob es denn Verbrechen gibt in einer solchen Gesellschaft, erinnerte mich an all die Reden der Marktradikalen, die für eine absolute Freiheit im Wirtschaftsleben plädieren. Als neulich der Bundespräsident ganz ähnlich klang, sah ich kurz das streng blickende Antlitz des Walter White vor mir. Denn er ist eine Parabel auf diese Politik. Breaking Bad zeigt, dass die wirtschaftliche Freiheit, wie sie als Theorie durch die Gazetten und Fernsehanstalten spukt, eine ungerechte Sache ist, solange man denen, die den Kürzeren ziehen, nicht die Möglichkeit gibt, sich auch jegliche Freiheit zu nehmen. Und sei es eben die Produktion von Drogen - oder ganz ordinär: Mord und Totschlag. Das Laissez-Faire funktioniert nicht, wenn man denen, die keinen anderen Ausweg mehr haben, allerlei Beschränkungen auferlegt.
Gleichzeitig funktioniert aber Gesellschaft nicht, wenn man keine Beschränkungen dieser Art festschreibt. Und genau hier setzt ja die Kritik derer an, die diese Lehre von der "absoluten Freiheit und nichts als der Freiheit" verurteilen. Der Sozialstaat, der von der Wirtschaft gerne als Beschränkung der eigenen Freiheit wahrgenommen wird, ist ja nicht einfach nur dem Eigennutz der Arbeiter und Angestellten geschuldet. Er soll verhindern, dass Menschen zu Drogenköchen, Mördern, Betrügern oder politischen Radikalen werden.
Es offenbart die Denkweise des Neoliberalismus, dass er die Befreiung der Unternehmer aus sozialer Verantwortung postuliert, es aber wichtig findet, dass die Polizei bessere Wohngegenden und Unternehmen schützt. Meinten die Apologeten dieser Heilslehre wirklich absolute Freiheit, würden sie es genießen in einer Gesellschaft zu leben, in der die Chance besteht, dass man sie ganz legal überfällt. Insofern tue ich mich also schwer damit, in Walter White einen einfachen Kriminellen zu sehen. Er sucht nur nach einem Ausweg, der auf legalem Weg nicht zu finden war. Diese Misere ist nicht seine Schuld. Kriminell waren erst die anderen, bevor er es wurde; kriminell waren die, die ihn hätten krepieren lassen.
Klar, man kann sein Restaurant verkaufen und von dem Geld die Not lindern. Und was macht der, der kein Restaurant hat? Breaking Bad ist für mich vor allem das Spiegelbild einer Gesellschaft, in der es von Verbrechern nur so wimmelt. Solchen, die im Untergrund tätig sind und solchen, die öffentlich und legitim als wertvolle Menschen der Gesellschaft fungieren. Dass man den Unterschied zwischen diesen beiden Typen immer schwieriger erkennen kann, ist das Verdienst dieser ökonomischen Lehre, die im Namen einer Freiheit spricht, die nur einseitig ist.
Walter White beruhigte sein Gewissen auch immer wieder damit, dass er das alles nur für seine Familie mache. In einer Szene voller Selbstmitleid wirft er das seiner Frau, die wenig bis gar kein Verständnis hat, vor. Nur für die Familie und er merkt gar nicht, dass diese Familie schon gar nicht mehr intakt ist, nicht mehr existiert, schon zerstoben und ohne Zusammenhalt ist. Da kam er mir vor wie ein Sozialdemokrat, der jammert, dass er nur für die sozialdemokratische Sache für die Große Koalition war und der gar nicht merkt, dass es eine sozialdemokratische Sache schon lange nicht mehr gibt.
Aber diese Parallele dauerte nur etwa zwei oder drei Minuten, dann dreht sich White um und verlässt seine Familie, weil er merkt, dass er als Familienmitglied unhaltbar geworden ist. Genau an dieser Stelle endet diese Parabel. Denn diese Einsicht hätte ein Sozi nie und nimmer. Er bleibt stehen und behauptet weiter, was schon lange nicht mehr ist.
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