Klar, kann ich mich an meine eigene Schulzeit erinnern – die hab ich mir so angenehm wie möglich gemacht und ehrlich gesagt beneide ich Schüler von heute nicht, die vor lauter Leistungsdruck gar nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht.
Wie war das eigentlich ganz am Anfang, als auf dem Dorf noch alle Generationen in einer Schulklasse saßen? Als freie Tage vor allem dann wichtig waren, wenn die Heuernte anstand? Als Schläge, Kopfnüsse und Tatzenhiebe auch im Unterricht als probates Erziehungsmittel galten?
In seinem Buch „Der Dorfschulmeister“ zeichnet Gerd Friederich ein lebendig-farbiges Bild von den Anfängen des heutigen Schulwesens – vor Kurzem erschien im Silberburg-Verlag die Taschenbuchausgabe des bislang vergriffenen historischen Romans.
Zwar gehören rüde Züchtigungsmethoden tatsächlich der Vergangenheit an, doch glauben wir dem Hirnforscher Gerald Hüther, haben Beurteilungs- und Benotungssysteme fast die gleiche Wirkung wie körperliche Gewalt – zumindest aktivieren sie die selben Bereiche im Gehirn, so der Wissenschaftler.
Auch Romanprotagonist Hansjörg Rössner sah viele Schulbräuche anders als die damalige Lehrmeinung: statt die besten Schüler nach vorne zu setzen, wie es die Schulordnung verlangte, setzte er die Kleinsten in die ersten Reihen – damit die überhaupt was sehen!
Auf Tatzen, Stockhiebe und Kopfnüsse verzichtete er standhaft, dafür brachte er ganzheitliche Kreativ-Projekte auf den Weg, wie man heute sagen würde. Er unterstützt Schüler aus ärmlichen Verhältnissen und setzt sich für kindgerechtere Lehrmethoden ein.
Dabei hatte der junge Lehrer eigentlich ganz andere Pläne: als ältester Sohn rechnet er fest damit, den elterlichen Hof zu übernehmen und ist völlig konsterniert, als ihm die Mutter eines Tages eröffnet, dass sie ihm eine Lehrstelle beim Pfarrer besorgt hat. Über die Gründe dieser Entscheidung schweigen sich die Eltern zunächst beharrlich aus.
Nach heftigen Wutanfällen und Trotzreaktionen fügt sich der Rössnerbub ins Unvermeidliche und entwickelt sich bald zum echten Lehrertalent. Von Eltern, Schülern und weitsichtigen Vorgesetzten wird er geschätzt, von schulpolitischen Bürokraten kritisiert und schließlich strafversetzt – in seiner neuen Heimat Hohenlohe beginnt nicht nur sein beruflicher Aufstieg, sondern auch seine ganz persönliche Spurensuche.
Auf den ersten Blick könnte das Sujet des Romans etwas trocken anmuten, doch Gerd Friederich entwirft eine spannende Lehrer-Biographie, die höchst interessante und anschauliche Einblicke in die Entwicklung des Schulwesens gibt. Der idealistische und sympathische Hansjörg Rössner haucht dem eher furchterregenden Schüleralltag auf den Fildern freudvolleres Leben ein:
Nicht nur im Königreich Württemberg war die Schulpolitik um 1850 vor allem Sache der Kirche: Der Pfarrer ist gleichzeitig Schulvorstand, bildet Lehrer aus und bereitet sie für die Aufnahmeprüfung in Klosterschulen vor, zum Beispiel fürs berühmte Tübinger Stift.
Von Montag bis Freitag unterrichten die Nachwuchslehrer, am Wochenende fegen sie den Hof, läuten die Kirchenglocken und ziehen die Uhr am Kirchturm auf. Hansjörg Rössner muss sogar beim Mesnerdienst helfen.
In altersübergreifenden Klassen war Biblische Geschichte „Hauptfach“ – neben Schreiben, Lesen und Rechnen – und „der himmlische Vater“ galt als „einzig wahrer, allerhöchster und allgemeiner Erzieher der Menschen“.
Im sonntäglichen Kirchenkonvent wurde besprochen, wer geboren wurden und gestorben ist, wer den Gottesdienst geschwänzt hat oder im Wirtshaus betrunken randalierte und welche Schüler wegen ungebührlichem Verhalten mit der Weidenrute bestraft werden sollen. „Zum Lehrer gehört der Stock und zur Erziehung das Geschrei und die Tränen der Kinder“, so lautete das traurige Dogma.
Dass manche Lehrer nebenher noch Landwirtschaft betrieben um nicht zu verhungern, änderte sich erst im Zuge verschiedenster Reformen. Übrigens hatten viele Eltern große Angst davor, dass ihre Kinder klüger werden als sie selbst.
Mit seiner Vorstellung von „besseren Schulen“ und dass jedes Kind seinen eigenen Weg beim Lernen gehen darf, wäre Hansjörg Rössner in vielen Kollegien heute noch ein Exot – zu seiner Zeit war er nicht nur für den Schulinspektor eine Provokation: der versetzt den sanften Rebell kurzerhand ins Oberamt Gerabronn, wo der Fürst von Hohenlohe-Winterhausen das Patronatsrecht ausübt.
Was zunächst als „Strafe“ gedacht ist, entwickelt sich zur Erfolgsgeschichte. Und während in Frankreich die Republik ausgerufen und in Frankfurt um eine demokratische Verfassung gerungen wird, kämpft Hansjörg Rössner für die deutschlandweite Einheitsschule, wird äußerst beliebter Chorleiter und recherchiert nicht nur für diverse Dorf-Chroniken sondern auch in ganz eigener Sache…
„Der Dorfschulmeister“ ist ein kleines Stück lebendige Landesgeschichte, die auch heute noch ständig hinterfragt werden sollte, um optimale Bildungs-Wege für die Zukunft zu finden.
Gerd Friederich „Der Dorfschulmeister“, 416 Seiten, kartoniert, 14 Euro 90, Silberburg-Verlag