Der Disput um die Sterbehilfe

Aktiv, passiv oder überhaupt nicht?

von Dennis Riehle, Konstanz

Der deutsche Bundesgerichtshof hat mit einer „wegweisenden“ Entscheidung – wie es die Medien formulieren – neue Richtlinien für den Umgang mit der Sterbehilfe gesetzt. In einem Urteil, das als grundsätzliche Aussage über das „würdevolle Sterben“ des Menschen gewertet wird, wurde die passive Sterbehilfe als rechtskonform beschrieben – solange, wie sich der Patient gegen lebensverlängernde Maßnahmen ausgesprochen hat und unabhängig davon, wie die äußere Einschätzung (von Ärzten, Pflegekräften oder Angehörigen) ausfällt.

Der Wille eines Patienten und dessen Freiheit, sich für den Tod zu entscheiden, wenn keine Aussicht auf Heilung oder Besserung eines „menschenunwürdigen“ Zustandes besteht, wird nach Ansicht des Gerichts als Maßstab dafür angesetzt, wie sich die Umgebung des Betroffenen in der letzten Lebensphase zu verhalten hat. Der uneingeschränkte Zuspruch der Richter, den Wunsch des Kranken respektieren zu müssen und dafür Sorge zu tragen, dass dieser eingehalten und ihm nicht widersprochen wird, wird einerseits als Meilenstein für die individuelle Freiheit des Menschen gesehen. Andererseits tun sich nicht nur bei den Formulierungen Fragen und Zweifel auf.

Recht bald nach dem Urteil traten neben den erleichterten Stimmen der Kläger und einem Jubel derer, die in der Liberalisierung der Sterbehilfe einen Fortschritt für mehr Menschlichkeit sahen, auch die Einwände auf, die bei solch einer Diskussion unabdingbar sind: Ist Sterbehilfe überhaupt mit dem Grundgedanken eines geschenkten Lebens vereinbar? Wo setzen wir die Unterscheidungen zwischen einer „aktiven“ und „passiven“ Sterbehilfe? Wie kann ich sicher gehen, dass der Patient seinen Willen tatsächlich eindeutig und ohne äußere Beeinflussung geäußert hat?

Auf viele dieser Fragen soll die „Patientenverfügung“ eine Antwort geben: In ihr wird festgehalten, was sich ein Mensch für den Fall unveränderbaren Leidens an Schläuchen, mit künstlicher Ernährung und im Dauerkoma wünscht. Dabei hat das Gericht festgehalten, dass das Abstellen eines lebenserhaltenden Gerätes als passive Sterbehilfe rechts ist. Ein vorsätzliches Herbeiführen des Todes durch die Gabe einer Übermenge an Arzneien dagegen wird als aktive Sterbehilfe untersagt.

Man kann mit gutem Gewissen fragen, an welchen Stellen hier eine Unterscheidung getroffen werden kann. „Aktiv“ wird man auch bei der „passiven“ Sterbehilfe. Mit einem Knopfdruck, mit einem Durchtrennen der Zufuhr von Nahrung oder anderem Abschalten von Geräten, die einen Menschen am Leben erhalten. Die Krux der modernen Medizin, die ein Leben am Leben erhalten kann, eröffnet an dieser Stelle überhaupt erst eine Diskussion, die aus ethischer und moralischer Sicht kaum zu einem zufrieden stellenden Ergebnis führen kann.

Die Richter hielten auch fest, dass bereits eine verbindliche mündliche Zusage eines Patienten als Verfügung angesehen werden kann. Der Nachweis, dass solch ein Gespräch geführt wurde, wird in den seltensten Fällen nachgewiesen werden können. Und auch die Gewissheit, ob sich ein Mensch bei seinen Äußerungen in einem Zustand befindet, der als rechtlich verbindlich betrachtet werden kann, ist nach Ermessen auslegbar.

Das Justizministerium sieht keinen Handlungsbedarf, diese Grauzonen nochmals deutlicher zu definieren. Und macht damit den Weg frei für Deutung, Interpretation und Abwägung über das Leben eines Menschen. Unbestritten scheint auch, dass über das Thema Sterbehilfe diskutiert werden muss. Natürlich sind solche Debatten notwendig, wenn wir uns in einem Zeitalter befinden, in welchem uns die Technik ermöglicht, selbst „Herr“ über Anfang und Ende des menschlichen irdischen Daseins zu spielen – so meinen es die Befürworter. Gleichzeitig müsste man auch fragen: Offenkundig ist das Vertrauen der wissenschaftlich Vernarrten in ihre Erfolge doch nicht so groß, dass sie in Erwägung ziehen, sich auch über folgenden Gedankengang bewusst zu werden: Ein Patient, der aus medizinischer Sicht heute als nicht heilbar gilt, kann – bei zunehmenden Möglichkeiten und Entwicklungen – vielleicht nächstes Jahr als rehabilitierbar angesehen werden. Doch dann könnte es zu spät sein: Der Griff zum Schalter der Atemmaschine war vielleicht bereits getätigt worden – so, wie es der Patient „verfügt“ hat.

Klar scheint eines: Alle Entscheidungen in die Richtung von stärkerer Freiheit für den Menschen entfernen sich von dem Vertrauen in einen Tod, der nicht durch uns selbst bestimmt wird. Leid, das heute schnell als unerträglich und als nicht zumutbar betrachtet wird, verführt zu voreiligen Entschlüssen, einem Schöpferwillen zuvor zu kommen. Wie kann es ein liebender Gott zulassen, dass ein Mensch in seinem hilflosen Zustand länger durchhalten muss? Die Anschuldigungen an denjenigen, der das Leben gegeben hat, werden groß, wenn er dieses Leben nicht zu einem Zeitpunkt beendet, an dem es uns für sinnvoll erscheint.

Dass der Mensch den Absichten Gottes aber nicht so einfach in die Karten schauen kann, wie er es bei seinem medizinischen Vorankommen in Wissenschaft und Forschung erhofft, wird dabei außer Acht gelassen. Nein, wir können in so vielen für uns nicht nachvollziehbaren Momenten kaum begreifen, welche Absicht Gott damit verfolgt. Wer Sterbehilfe zulässt, muss sich nicht nur bewusst werden, dass sein Handeln auf den irdisch und für unser Denken rationell eingeengten Horizont und dessen engen Spielraum an Möglichkeiten beruht. Er muss sich auch verdeutlichen, dass sein Tun dem eigenen Streben nach der Vollkommenheit des menschlichen Einflusses widerspricht. Und nicht zuletzt bleibt anzumerken: Sterbehilfe mag vielleicht dem von Entmutigung und Hoffnungslosigkeit geprägten menschlichen Willen entsprechen, durchkreuzt möglicherweise aber vorzeitig den Willen Gottes – und damit einen in sich, und für uns manches Mal Kopfschütteln auslösenden, Plan, der nicht nur Wendungen und Überraschungen, sondern stets auch ein Geheimnis in sich birgt, welches wir durch unser Großmachen unserer Freiheit dann nicht mehr erleben dürfen. Mit Sterbehilfe stirbt nicht nur ein Leben, sondern auch die Hoffnung auf das Unerwartete.

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