Der Diskurs und die Herrschaft der totalitären Logik

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Dem Diskurs eine Chance geben – Foto: © occupywallst.org


Das Wesen des Diskurses ist die Gegenseitigkeit.
Sein Ziel ist es, zu einem Ergebnis zu kommen, das die Beteiligten weiterbringt. Es setzt voraus, dass die verschiedenen Akteure davon ausgehen, dass alle, die sich beteiligen, eine Existenzberechtigung haben, auch wenn sie Interessen haben, die nicht mit allen kongruent sind. Der Diskurs setzt Respekt voraus. Respekt heißt, dass man nicht einer Meinung sein muss, aber die Motive und die Handlungslogik der Anderen zu verstehen sucht. Das klingt alles sehr banal, ist es aber in der Praxis nie.
Die Voraussetzung, um in einer Gemengelage unterschiedlicher Interessen bestehen zu können, ist der Wille und die Fähigkeit, nicht nur die Anderen zu verstehen, sondern das eigene Denken und Tun für eine kritische Reflexion freizugeben. Wenn dieses nicht geschieht, kommt kein Diskurs zustande. Ein gelungener Diskurs wiederum ist das Resultat einer gemeinsamen Intentionalität. Alle Beteiligten müssen der Auffassung sein, dass sich die Investition in den Diskurs lohnt.

Bei der Betrachtung dessen, was oft als Diskurs deklariert wird, aber meistens nicht gelingt, fällt auf, dass keine Klarheit über das Ziel eines solchen besteht. Meistens gehen die Akteure davon aus, sich durchsetzen zu können und ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Dann muss das Unterfangen scheitern. Die Klage, die zumeist folgt, ist die über mangelnde Transparenz. Ja und Nein. Die Transparenz fehlt, wenn das Ziel nicht klar ist. Die einzelnen Argumente transparent zu machen hingegen ist trivial. Der Ruf nach absoluter Transparenz hingegen ist das Symptom für kolossales Misstrauen. Die beste Voraussetzung für einen gescheiterten Diskurs.

Eine Variante, die den Diskurs generell desavouiert, sind Eingangserklärungen, die verdeutlichen, dass eine oder mehrere Parteien von vorne herein diejenigen sind, die nach Ethik und Moral handeln, während den anderen Beteiligten unterstellt wird, sie seien rückständig, intolerant, nicht diskursfähig oder sonst irgendetwas. Das ist enthüllend für die, die glauben, sie seien überlegen. Sie haben den Respekt verloren und damit die Voraussetzung für einen gelungenen Diskurs.

Die Formen der politischen Argumentation, mit denen die Öffentlichkeit hierzulande konfrontiert ist und die fälschlicherweise als Diskurs ausgegeben wird, tragen alle den Keim einer totalitären Logik, die aus einem Subjektivismus resultiert, der es in sich hat. Ob es sich um Themen wie die Weltökologie, politische Autonomie, Geschlechteremanzipation, Demokratie oder Krieg und Frieden handelt, immer treten die Protagonisten so auf, als hätten sie die Weisheit mit dem berühmten Schaumlöffel gefressen und als wären alle anderen Völker und Kulturen Versatzstücke einer ahistorischen Primatenversammlung, die das einzig Wahre nicht begriffen. Das ist düster, autoritär und totalitär zugleich und es dokumentiert, dass noch etwas anderes fehlt als Empathie, analytische Fähigkeiten und ein Grundverständnis von Diplomatie.

Neben der notwendigen gemeinsamen Intentionalität setzen Diskurse bei allen Beteiligten nämlich noch eine Eigenschaft voraus, die, wie Heisenberg es so treffend formulierte, primordial, d.h. von erster Ordnung ist: Es handelt sich um Demut. Nur wenn jeder Einzelne sich darüber bewusst ist, dass er oder sie selbst sich in einem bestimmten Stadium der Erkenntnis und Entwicklung befindet und dass Irren nicht nur menschlich ist, sondern auch alle Menschen und Gesellschaften trifft, weil es notwendiger Bestandteil des Lernens ist, fällt der irrwitzige Glaube in sich zusammen, man selbst sei die Instanz, ohne die der Lauf der Geschichte stocke. Dieses einzusehen, fällt in Zeiten des psychopathologischen Massenphänomens der narzisstischen Verblendung nicht mehr leicht. Es herrscht die totalitäre Logik. Sie wiederum garantiert die Sezession vom gestalteten Verlauf der Geschichte.

von Gerhard Mersmann

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