Original: The dictator you didn’t know about - Der Diktator, über den Sie nichts wussten -
Ein Artikel von Stephen Gowans (Ein Blogger aus Kanada, spezialisiert auf US-Außenpolitik – seinen Blog finden sie hier) - Übersetzung von Susanne Schuster, erschienen u.a. bei einarschlereth.blogspot.se
Er ist ein virtueller Diktator, der einen von seiner eigenen ethnischen Gruppe kontrollierten virtuellen Ein-Parteien-Staat regiert. Es stimmt zwar, dass er mehrmals gewählt worden ist, doch er verlässt sich auf Gewalt und Einschüchterung, um „unglaublich einseitige Wahlen“ zu gewinnen. (1) In der letzten Wahl gewann seine Partei alle bis auf zwei von 546 Sitzen im Parlament. (2)
Als Anhänger der Opposition gegen einen seiner unglaubwürdigen Wahlsiege protestierten, befahl er Regierungstruppen, das Feuer zu eröffnen: „Sie töteten 193 Menschen und verletzten Hunderte. Tausende Oppositionsführer und –anhänger wurden zusammengetrieben und inhaftiert.“ (3) Oppositionellen, die nicht eingesperrt wurden, hat man den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Arbeitsstellen und anderen sozialen Vorteilen verweigert. (4)
Ein Aufstand gegen sein Regime wurde mit „brutalen Kampagnen“ einschließlich Vergewaltigung und der Tötung von Angehörigen seiner eigenen Volksgruppe niedergeschlagen. (5) Im vergangenen Jahr wurde zwei westliche Journalisten zu einer 11-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt wegen ihrer Berichterstattung über Rebellengruppen, die für den Sturz seines tyrannischen Regimes kämpften. (6) Im Jahr 2006 schickte er dann seine Streitkräfte in ein Nachbarland, um es militärisch zu besetzen, denn es war schwach und unfähig, sich selbst zu verteidigen.
Baschar al-Assad von Syrien?
Robert Mugabe von Simbabwe?
Die Beschreibung passt auf das von diesen beiden Führern gemalte Bild im US-Außenministerium und seinem Echo, den westlichen Massenmedien. Doch es handelt sich nicht um diese beiden Männer. Beide werden in Washington verunglimpft – was automatisch von der westlichen Presse übernommen wird –, angeblich wegen ihrer negativen Einstellungen zu Demokratie und Menschenrechten. Daher kann man leicht glauben, dass es sich bei dem oben beschriebenen Führer um einen von ihnen handelt.
Doch der wirkliche Grund dafür, dass das US-Außenministerium – und die nachäffenden westlichen Medien – diese Männer als heimtückische Kriminelle behandeln, liegt in ihrer Haltung im Hinblick auf unternehmerische Freiheit für westliche Konzerne und Beherrschung aus dem Ausland. Keiner von beiden ist gewillt, sein Land für die ungehinderte Ausbeutung durch Ausländer (oder in Simbabwes Fall, durch die Abkömmlinge der Siedler) zu öffnen. Keiner von beiden stimmt in den Vereinten Nationen wie von Washington angeordnet und keiner von beiden ist gewillt, als militärischer Stellvertreter des US-Außenministeriums zu agieren.
Doch Meles Zenawi, der von mir beschriebene Führer – der Diktator, über den Sie nichts wussten – war willens, alle diese Dinge zu tun.
Meles, Foto links, Premierminister von Äthiopien, starb am 20. August 2012. Er war Antikommunist und brach in den 1970er Jahren sein Medizinstudium ab, um die damalige äthiopische marxistisch-leninistische Regierung zu bekämpfen. Als Premierminister führte er in Äthiopien die freie Marktwirtschaft und das freie Unternehmertum ein und öffnete die äthiopische Wirtschaft für ausländische Investoren. (7) Als Meles – der kompromisslose lokale Agent von US-Interessen – im Jahr 2006 von den Vereinigten Staaten dazu aufgefordert wurde, in den Nachbarstaat Somalia einzumarschieren, kam er dieser Aufforderung sehr gerne nach.
Für seine Dienste wurde der äthiopische Despot mit Hilfsgeldern überhäuft – im Jahr 2010 erhielt er 1 Milliarde US-Dollar von Washington und im letzten Jahr fast genauso viel. (8) Aufgrund seiner „militärischen und Sicherheitsdienstleistungen“ wird er in Washington als „einer der Lieblingspartner der Central Intelligence Agency (CIA) … in Afrika“ gerühmt. (9)
Washington beteuert zwar, Führer wie Meles zu schmähen, doch es gab keine vom US-Außenministerium eingefädelten Kampagnen für die Absetzung von Meles, die dann von den gefügigen Massenmedien und anschließend von Liberalen, weichen Linken, friedlichen Pro-Demokratie-Aktivisten und „Flugverbotszonen & Waffen für die Rebellen“-Trotskyisten übernommen worden wären. Alle diese Kräfte waren zu sehr damit beschäftigt, sich beim Denunzieren der von Washington an den Pranger gestellten Schar der niederträchtigen Sozialisten und Wirtschaftsnationalisten – angeblich weil sie Demokratie und Menschenrechte hassen, aber eigentlich weil sie ausländische Beherrschung hassen – gegenseitig zu übertreffen. Meles schaffte es nie auf Washingtons Schurkenliste, und damit auch nicht auf die Schurkenliste der westlichen Massenmedien oder der besagten Linken.
In seinem Nachruf in der New York Times sah sich der Reporter Jeffrey Gettleman veranlasst, die Kluft zwischen Washingtons Rhetorik im Hinblick auf die Förderung von Demokratie und Menschenrechten und der Praxis, seine Feinde zu unterstützen, zu erklären.
Gettleman schreibt: „Äthiopien ist sicherlich nicht der einzige Fall, der für die Vereinigten Staaten schwierige Fragen aufwirft im Hinblick darauf, wie ihre Interessen und Prinzipien unter einen Hut gebracht werden sollten.“ Das Problem hier ist, dass es im Gegensatz zu Gettlemans Darstellung zwischen Interessen und Prinzipien kein Gleichgewicht gibt. Die Interessen der USA – also die Interessen des einen Prozent – überwiegen die Prinzipien bei weitem, deshalb fährt Washington damit fort, Führer wie Meles und Tyrannen im Golf zu unterstützen. Prinzipien sind nur Rhetorik, die dazu dient, die Vergewaltigung anderer Länder im Streben nach Profit zu verschleiern.
„Saudi-Arabien ist ein offensichtliches Beispiel (für Prinzipien übertrumpfende Interessen); ein Land, in dem Frauen vieler Rechte beraubt sind und in dem es fast keine religiöse Freiheit gibt. Trotzdem ist es nach wie vor einer der engsten Verbündeten der USA im Nahen Osten und zwar aus einem einfachen Grund: Öl“, fährt Gettleman fort.
Richtig, aber nicht wegen des Öls im Sinne einer Ressource, von der US-Verbraucher und –Industrie abhängen und die es nur dort gibt. Es ist in Wirklichkeit so, dass die Vereinigten Staaten einer der größten Ölproduzenten der Welt sind und mehr als die Hälfte ihres Öls aus heimischer Produktion stammt. Das Nachbarland Kanada liefert mehr Öl an die Vereinigten Staaten als alle Öl produzierenden Länder in Nordafrika und dem Nahen Osten zusammengenommen. (10) Saudi-Arabien als Verbündeten zu verlieren würde in den Vereinigten Staaten nicht zu einer Ölknappheit führen, denn das Land liefert nur einen kleinen Teil des in den Vereinigten Staaten verbrauchten Öls. Aber es ist eine Quelle riesiger Profite aus dem Ölgeschäft für US-Unternehmen, nicht nur direkt, sondern durch das Recycling von Petrodollars durch US-Banken. Saudi-Arabien bleibt einer der engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten im Nahen Osten aus einem einfachen Grund: nicht wegen des Öls an sich, sondern weil es immense Profite erzeugt.
Gettlemen wies dann darauf hin, dass „die Vereinigten Staaten trotz ihrer Bekenntnis zur Förderung von Demokratie mit mehreren afrikanischen Regierungen kooperieren, die im Grunde genommen Ein-Parteien-Staaten sind, die von nur einem Mann dominiert werden.“ (11) Doch er sagt nicht warum.
Wenn es in Saudi-Arabien um Ölprofite geht, worum geht es dann in Afrika? Das Wall Street Journal ist hier aufschlussreicher. Meles transformierte eine kommunistische Planwirtschaft durch „die Lockerung lukrativer Industrien“ und die Förderung von „Investitionen in die Landwirtschaft und produzierende Industrie“. (12)
Mit anderen Worten, er half US-Investoren – das eine Prozent – reicher zu werden.
Indessen wurden Führer, die gegen die Ausbeutung ihres Landes durch das eine Prozent des Westens Widerstand geleistet haben, destabilisiert, mit Sanktionen belastet, bombardiert und – mit der Unterstützung jeder Menge Linker – der allerschmutzigsten Verunglimpfungskampagne ausgesetzt.
1. Jeffrey Gettleman (a), “Ethiopian leader’s death highlights gap between U.S. interests and ideals”, The New York Times, August 21, 2012.
2. Peter Wonacott, “Ethiopia in flux after leader dies”, The Wall Street Journal, August 21, 2012.
3. Wonacott
4. Gettleman (a)
5. Jeffrey Gettleman (b), “Ethiopian leader’s death highlights gap between U.S. interests and ideals”, The New York Times, August 21, 2012.
6. Gettleman (a)
7. Wonacott
8. Wonacott
9. Gettleman (a)
10. Danile Yergin, “America’s new energy security”, The Wall Street Journal, December 12, 2011; Juliet Eilperin, “Canadian government overhauling environmental rules to aid oil extraction”, The Washington Post, June 3, 2012; Sheila McNulty and Ed Crooks, “US groups unlock secret recipe for oil”, The Financial Times, March 3, 2011.
11. Gettleman (b)
12. Wonacott