“Der Diktator” oder eine Ode an Kim Jong-il

Von Denis Sasse @filmtogo

© Paramount / Admiral General Aladeen (Sacha Baron Cohen) lässt sich von den buhenden New Yorkern feiern.

Seine ersten filmischen Gehversuche durfte man noch nicht als Schauspielerei betrachten. Es waren vielmehr verkleidete Albereien, die Sacha Baron Cohen bekannt machten. Deshalb musste man sie nicht minder ernst nehmen, denn er zeigte die erschreckende Wahrheit über viele noch real existierende Denkstrukturen und entlockte seinen Opfern unfassbar unaufgeklärte Kommentare über Antisemitismus oder Homosexualität. Dabei griff er auf Figuren zurück, die er bereits zu seiner Anfangszeit in der „Ali G Show“ erschaffen hatte: Den aus Kasachstan stammenden Fernsehjournalisten Borat und den homosexuellen, österreichischen Modejournalisten Brüno. Mit „Der Diktator“ ist er zum ersten Mal nicht als Journalist unterwegs, zum ersten Mal umgibt er sich mit realen Schauspielern, nicht mit Menschen von der Straße, zum ersten Mal spielt der Komiker nach Drehbuch. Wer sollte es ihm verübeln? Nach einer kleinen Rolle in Tim Burtons „Sweeney Todd“ und einer starken Performance in Martin Scorseses „Hugo Cabret“ kann sich Sacha Baron Cohen noch so gut verkleiden, sein Bekanntheitsgrad steht ihm inzwischen für Werke wie „Borat“ oder „Brüno“ im Weg. Er hat das Beste aus diesem Umstand herausgeholt.

In „Der Diktator“ ist er der Machthaber seines eigenen kleinen – fiktiven – Landes namens Wadiya, dessen Bürger nach seiner eigenen Aussage gerne unterdrückt werden und vor den Grauen der Demokratie beschützt werden müssen. Dann wird Admiral General Aladeen aber nach Amerika geladen, um sich vor den Vereinten Nationen für sein nukleares Atomprogramm zu rechtfertigen. Dort angekommen wird er aber kurzerhand gekidnappt und durch einen ihm zum Verwechseln ähnlich aussehenden Ziegenhirten ersetzt. Aladeen findet sich daraufhin obdachlos in New York wieder, bis er auf Zoe trifft, die Besitzerin eines veganen Öko-Ladens. Sie bietet ihm Asyl und einen Job. Admiral General Aladeen freundet sich zwar langsam mit den Ansichten Zoes an, behält aber immer sein Ziel vor Augen: Die Ansprache vor den Vereinten Nationen und die Verteidigung seiner Diktatur gegenüber der demokratischen Schreckensherrschaft.

Ben Kingsley (links), Sacha Baron Cohen (mitte) und John C. Reilly (rechts)

Man darf gerne skeptisch sein. Ist Sacha Baron Cohen immer noch so lustig wie in seinen bisherigen Filmen? Bleibt der Humor so scharfzüngig, enthüllend und politisch Unkorrekt? Die Entwarnung wird hiermit gegeben. Eigentlich hat sich nicht viel verändert. Der Komiker schlüpft einfach nur in ein neues Kostüm, hat einen neuen Akzent erlernt und führt den Zuschauern einen weiteren Missstand vor Augen – davon gibt es bekanntlich genug in der Welt. Dieses Mal nach Drehbuch, von ihm selbst gemeinsam mit Alec Berg, David Mandel und Jeff Schaffer („Ein Kater macht Theater“) geschrieben. Das ist kein Manko des Films, sondern ein klarer Fortschritt. Dieselbe Masche hätte beim dritten Anlauf sicher nicht mehr so gut funktioniert, es wäre nur eine weitere „Baron Cohen Reportage“ auf der großen Leinwand gewesen. Auch Michael Moore ist irgendwann langweilig geworden. Deshalb wird gar nicht erst der Versuch unternommen reale Menschen vor die Kamera zu bekommen, was hinsichtlich der Thematik sicherlich auch nicht ganz so einfach geworden wäre. Denn die Witze gehen klar auf die Kosten der amerikanischen – wenn nicht gar weltweiten – Demokratie, die Admiral General Aladeen zum Ende des Films als eine gut funktionierende Diktatur entlarvt.

Dabei gönnt er sich nur selten eine Pause, der Film reiht Anschlag an Anschlag, wenn man die Witzchen von Baron Cohen als solche definieren möchte. Und es ist der groß angelegten – vor allem aber intelligenten – Werbemaschinerie von Paramount zu verdanken, dass die Zuschauer trotz überdurchschnittlich hoch frequentiertem Einsatz von Filmtrailern in Kino-Vorprogrammen, dennoch viele Scherze zu erwarten haben, die im Vorfeld noch nicht in Vorschauen gezeigt wurden. Ganz im Gegenteil: Die im Filmtrailer zu sehende Szene eines sportlichen Lauf-Wettkampfs, bei dem Admiral General Aladeen seine Kontrahenten erschießt um als Sieger auf dem Treppchen zu landen, Megan Foxs Beschwerde über die Diamanten, die sie als Bezahlung für sexuelle Dienste erhält oder der Einzug Aladeens in New York, bei dem er die Stadt als Geburtsort von AIDS betitelt – all diese Szenen sind im Film entweder gänzlich nicht zu sehen oder einem Neuschnitt zum Opfer gefallen. Ein guter Schachzug, denn wer seit Monaten die vielen unterschiedlichen Anheizer auf den Film sehen konnte, braucht gar nicht erst darauf zu warten, diese im Film wiederzufinden. Es entfällt der „Alles schon gesehen“-Effekt.

Anna Faris

Die Ausnahme bildet ein Helikopter-Flug, den Aladeen mit einem seiner vertrauten Anhängern aus der Heimat macht. Zumindest in den USA sympathisiert er mit diesem Mann, den er in Wadiya eigentlich tot sehen wollte, nachdem er eine Atombombe mit runder Spitze konstruierte, was nicht in das von Cartoons geprägte Weltbild des Diktators passte, wo die Spitze gefälligst auch spitz zu sein hat. Nun sitzen diese beiden Männer mit einem typisch übergewichtigen, amerikanischen Pärchen in einem Helikopter, unterhalten sich in ihrer eigenen Sprache miteinander und lassen nur ab und zu Wortfetzen wie „9/11“ und „2012“ (Aladeen hat sich eine neue 2012er Version des 911 Porsche zugelegt) oder „Freiheitsstatue“ verlauten (wo die Aussicht wunderbar sein soll), gespickt mit einem freundlichen „Kaboom“ (gemeint ist ein Feuerwerk über besagter Freiheitsstatue) und diabolischen Gelächter (eigentlich nur amüsierte Freude). Genau hier finden sich die Motive aus vorherigen Baron Cohen Auftritten wieder. Er versucht zu Empören, Grenzen zu überschreiten. Er traut sich noch immer, was andere Filmemacher nur mit Samthandschuhen anfassen würden. So bekommen sowohl die Politiker eins auf die Mütze, als aber auch ihre stets demonstrierenden Gegner, die hier aus Veganern, Weltverbesserern und Homosexuellen bestehen. Hier fügt sich auch Schauspielerin Anna Faris als Zoe gut ein, die den Machthaber ohne seinen Bart nicht erkennt, obwohl sie wenige Minuten zuvor noch gegen seine diktatorischen Vorgehensweisen demonstriert hat. Mit haarigen Achseln erobert sie sogar langsam das Herz von Aladeen, der sich so sehr nach Liebe sehnt, aber in seiner Heimat jeden Abend allein zu Bett gehen muss. In einem starken Moment von „Der Diktator“ klebt er ein kleines Megan Fox-Erinnerungsfoto an die Wand, die Kamera zoomt zurück und zeigt das gesamte Ausmaß seiner Liaisons: Da finden sich auch Oprah Winfrey und Arnold Schwarzenegger auf der gigantischen Foto-Wand wieder. Zum Schluss gibt es dann das versöhnliche Ende, nicht aber als ausufernde kitschige Romanze, die in „Der Diktator“ auch gänzlich fehl am Platz gewesen wäre. Das wussten auch die Macher, treiben es zur Spitze, relativieren sich dann aber wenig später und belassen es bei Aladeen als unverbesserlichen Diktator, der erfolgreich sein Land gegen die Diktatur namens Demokratie aus den USA verteidigt hat.

„Der Diktator“ leistet weiterhin den kritischen Kommentar, der durch Sacha Baron Cohen in „Borat“ und „Brüno“ bereits etabliert wurde. Er kennt keine Grenzen, nimmt kein Blatt vor den Mund und macht keinen Unterschied zwischen den Menschen, die er kritisiert und denen, die mit ihm gemeinsam Kritik üben. So bekommt jeder sein Fett weg, dieses Mal halt eben nur durch ein Drehbuch geplant, welches Gastauftritte von echten Schauspielern wie „Hugo Cabret“-Kollege Ben Kingsley oder John C. Reilly beinhaltet. Das wirkt nicht falsch oder eines Baron Cohen nicht würdig, sondern immer noch sehr amüsant und unterhaltsam – sofern man sich für diese wirklich abgrundtief schwarze Form des Humors (mitsamt Wii-Version des Münchner Olympia-Attentats) begeistern kann.

Denis Sasse


‘Der Diktator‘