Der Dauerirrtum - Die Funktionsweise der Medien

Von Stefan Sasse

Ich habe in den letzten Monaten immer wieder das Medienbild vieler Linker kritisiert, das immer wieder auf die Existenz einer größeren Absprache unter den Medienkonzernen hinausläuft, mit dem Ziel, Agenda-Setting zu betreiben. Ich halte das für falsch, konnte aber nie wirklich den Finger genau auf den Punkt legen, an dem ich es hätte kohärent erklären können. Drei voneinander unabhängige Meldungen aber konstitutieren einen so starken Zusammenhang für meine These, dass ich einen Erklärungsversuch unternehmen will. Erstens: Auf seinem Blog "Deadline" hat Constantin Seibt im Tagesanzeiger "15 Thesen zum Journalismus im 21. Jahrhundert" aufgestellt.

Darin prognostiziert er den Untergang der klassischen Nachrichten und eine Hinwendung zum "Wecken von Begeisterung" beim Leser, der für Nachrichten kein Interesse mehr hat, seit sie stets aktuell im 24-Stunden-Takt hereinprasseln. Zweitens: Die Entwicklung der Kritik an der Ukraine und die Begeisterung für Julija Timoschenko folgen geradezu paradigmatisch einem Drehbuch. Ich habe darüber geschrieben. Drittens: Die Daily Show macht sich über die aktuelle Kritik der Republikaner und des ihnen verbundenen Senders Fox News an dem Versuch, Obama "Parteilichkeit" wegen seines Verweisens auf die erfolgreiche Tötung Osama bin Ladens zu unterstellen, lustig. Diese drei Elemente verweisen jedes für sich auf Teilaspekte des gesamten Medienkomplexes. Die Funktionsweise von Medien wird, glaube ich, teilweise einfach nicht verstanden. Das ist nachvollziehbar, denn sie ist nicht gerade schmeichelhaft für diejenigen, die für sie arbeiten. Aber der Reihe nach. 


Meine zugrundeliegende These ist, dass kein Medium - sei es Fernsehen, Zeitung oder Spiegel Online - eine Agenda völlig rücksichtslos verfolgt. Die erste Priorität eines jeden Mediums ist es, von möglichst vielen Menschen konsumiert zu werden. Das hört sich erst einmal primitiv an, ist es jedoch nicht, weil die meinungsbildende Funktion von Medien so wichtig ist, dass sie das Kommerzielle immer wieder verdeckt. Nicht umsonst gehört die Abschaffung oder doch zumindest Trivialisierung des kommerziellen Faktors bei den Nachrichten zu den beliebtesten Forderungen, die immer wieder auf der Tagesordnung stehen. Man denke nur an die immer wieder aufkochendenden Debatten über die Öffentlich-Rechtlichen. Die Folge dieses Profitdrucks aber ist vor allem, dass sich Medien gar keine konzertierten Aktionen gegen einen Mehrheitswillen leisten können. Es ist selbst für die BILD unmöglich, permanent gegen Ausländer zu hetzen, wenn ihre Leser das ablehnen. Und weil die BILD schon so lange im Geschäft ist, hat sie nur sehr, sehr wenige Fehlgriffe dieser Art und weiß ziemlich genau, wie sie Ressentiments wecken kann. 
Der Druck, möglichst viele Leser zu gewinnen, führt erstaunlicherweise zu einem Element, das man bei einem Medium, das eigentlich meinungsbildend wirken soll, so erst gar nicht vermutet: blanken Opportunismus. 

Tatsächlich entwickeln die Medien mit schöner Regelmäßigkeit einen Herdentrieb, der dem von Finanzmarktinvestoren in nichts nachsteht. Dafür ist die aktuelle Timoschenko-Debatte das beste Beispiel. Von null auf Freiheitskämpfer in nur einem Nachrichtenzyklus. Das Interessante ist, dass sich neben den Schlagzeilen, die mit reißerischen Formulierungen das Demokratiemärchen in der Ukraine befeuern, stets auch kritischere, nachdenklichere und niveauvollere Artikel finden (ok, vielleicht nicht bei der BILD, aber zumindest beim Spiegel). Das haben die Medien von ihrer Zeit der Monothematik aus den Agenda2010-Jahren gelernt, in denen sie sich sehr viele Feinde gemacht haben und in denen sie als Feindbild erst so richtig in Sippenhaft genommen wurden - völlig zu Recht übrigens. Die Medien wirken in diesem Herdentrieb nicht nur als Meinungsbilder, sondern gleichzeitig als Spiegel der Gesellschaft, die in sie hineinsieht. Effektiv reden die Zeitungen ihren Lesern sehr gerne nach dem Mund, oder dem, was sie dafür halten. Wenn sie feststellen, dass eine von ihnen vorher vertretene Position nicht mehr haltbar ist, weil die Menschen mehrheitlich anderer Meinung sind, so ändern sie sie entsprechend auch.


Vor diesem Hintergrund bietet sich eine völlig andere Lesart der aktuellen Krise, in denen sich die Medien befinden, an. Um das zu verstehen, müssen wir zuerst einen kleinen Blick zurück wagen. Vor der Zeit des Endes der Hitler-Diktatur waren die Zeitungen in Deutschland unglaublich textlastige Monstren, in denen Nachrichten je nach politischer Ausrichtung des Blattes präsentiert wurden. Eine Trennung von Nachricht  und Kommentar gab es nicht (im Dritten Reich natürlich sowieso nicht). Diese Trennung, die den Journalisten damals künstlich anmutete und die wir heute so selbstverständlich annehmen wie die Luft zum Atmen, war eine amerikanische Erfindung und wurde von den Besatzern mitsamt der Vergabe von Presselizenzen schlicht aufoktroyiert. Sie war eine Erfolgsgeschichte der BRD. Gedacht ist diese Trennung dazu, dem mündigen Leser eigenständiges Nachdenken zu ermöglichen und Diskussionen zu begünstigen (erst die Fakten in den Nachrichten, dann die Meinungsbildung im Kommentar). Natürlich funktioniert das in der Praxis nie so rein wie in der modellhaften Annahme, aber wann tut es das schon einmal? Dieses System führte dazu, dass die Medien sich im Nachrichtenteil relativ ähnlich waren.

Konsequenterweise schreibt man deswegen heute hauptsächlich Agenturmeldungen ab. Rückblickend fragt sich vermutlich mancher Chefredakteur inzwischen, warum man das jemals anders gemacht hat. 
Nun hat aber die stetige Verfügbarkeit und nie dagewesene Aktualität von Nachrichten dank Internet und Verbreitung der 24-Stunden-Nachrichtenkanäle dafür gesorgt, dass Nachrichten an sich ein sehr, sehr flüchtiges Gut sind (ein Gedanke, den Seibt in seinem Artikel ausführt). Sie sind oft innerhalb Stundenfrist veraltet. Entsprechend ermüdend ist der Umgang mit ihnen, was zu einer reißerischen, interessanteren Präsentation führt - und damit weg vom früheren (freilich nie eingelösten) Objektivitätsanspruch. Das ist es, was Seibt unter "Begeisterung wecken" höflich umschreibt. Das Selbstverständnis der Journalisten wird davon (zu Recht) ins Mark getroffen; sie werden effektiv zu Marktschreiern degradiert. In einer Ironie der Geschichte ist diese Entwicklung ebenfalls in den USA zu verorten und hat von dort nach Deutschland übergegriffen. Wer jemals die Dauerberichterstattung von CNN oder Fox gesehen hat, der weiß, mit welch haarsträubenden Mitteln dort teilweise Sendezeit gefüllt wird. Und damit sind wir direkt bei Fox News. Dieser Sender, den der Tea Party zuzuordnen in seinen Hallen vermutlich als Kompliment aufgefasst wird, besitzt (noch) kein Gegenstück in Deutschland. Selbst die BILD, das schlimmste Hetz- und Trommlerblatt der Republik, geht in seiner Parteilichkeit und reißerischen Präsentation nicht so weit wie Fox. Denn selbst die BILD hält sich wenigstens grob an die Existenz von Fakten. 


Als etwa 2008 die große Kampagne gegen Andrea Ypsilanti losgetreten wurde, beruhte diese wenigstens auf Aussagen, die Ypsilanti tatsächlich gemacht hatte ("Keine Kooperation mit der Linkspartei"). Dummen Aussagen, gewiss, aber nichts desto trotz wurden sie gemacht. Fox News dagegen schert sich um so etwas nicht. In ihrer ausufernden Kritik an Barack Obama ist es völlig egal geworden, was der Präsident gesagt hat (oder nicht gesagt hat). Fox News behauptet es einfach. Der Sender ist dezidiert dazu gedacht, einer bestimmten Gruppe als Spiegel zu dienen. Er konstruiert, im negativen Sinne, eine Gegenöffentlichkeit. Wer Fox News schaut, braucht keine anderen Quellen. Er bekommt sein Weltbild direkt bestätigt, Tag für Tag. Medien, die so operieren, rennen ihrem Publikum gleichzeitig hinterher und führen es an. Sie rennen im selbstreferentiellen Kreis, und damit das niemand merkt, muss es bunt, schrill und aufmerksamkeitsheischend inszeniert sein. Diese Entwicklung ist keineswegs auf die Rechten beschränkt. Auch unter den Linken findet sich bereits seit geraumer Zeit (besonders hier in Deutschland) die Tendenz zum abgeschlossenen Weltbild, das man sich nur bei ausgesuchten Medien bestätigen lässt. Ironischerweise ist es gerade der Kampf zur Errichtung einer gegen die Monothematik der Medien in der Agenda2010-Ära gerichteten Gegenöffentlichkeit, die hier den Weg ebnet. Wenn sich Seibts Thesen bewahrheiten, dürften wir das zarte Aufblühen von mehr Meinungsvielfalt in den Medien, das sich in den letzten Monaten vollzogen hat, eher als Schwanengesang des alten Mediensystems verstehen. Dann steht uns eine Segmentierung der Medien in weltanschauliche Blöcke vor, die sich erbittert gegenüberstehen und einzig darauf ausgerichtet sind, die Vorstellungen ihrer Leser zu bestätigen. 


Denn der größte Irrtum über die Funktionsweise der Medien ist, dass sie diesen Reflex nicht besäßen. Vieles von dem, was in den Medien vorkommt, dient einzig und allein der Bestätigung dieses Reflexes, beim Lesen mit dem Kopf nicken zu können. Die Kunst der Medien ist es, vor den Lesern selbst zu wissen, bei was sie mit dem Kopf nicken werden und das entsprechend zu präsentieren. Deswegen finden sich auch vergleichsweise wenige investigative und gut recherchierte Artikel mit profunden Informationen in den Medien, sondern eher reißerische Kampagnenstücke. Das Ziel nicht nur der Medien selbst sondern auch der Mehrheit ihrer Konsumenten ist es, in den Gesprächen der Betriebskantine "Ja, das habe ich auch gelesen" sagen zu können. Medien, ganz besonders der Boulevard, aber zunehemnd auch vermeintlich seriöse, schaffen vor allem Sprechanlässt. "Hey, habt ihr das auch mitbekommen...?" ist eine Frage, auf die der Medienkonsument eben mit "Ja" antworten können will. Dieter Bohlen hat das mit "Wer abends nicht DSDS sieht, kann am nächsten Morgen nicht mitlästern" treffend auf den Punkt gebracht. Dieses Prinzip zieht sich als Funktionsweise durch alle Medien. Da braucht es gar keine große Verschwörung dafür. Das beste Rezept dagegen ist es, lautstark andere Bedürfnisse und Widerspruch zu artikulieren. Die Medien in ihrem opportunistischen Herdentrieb werden dann hinterherspringen und liefern. Das Schwierige ist nur, die kritische Masse dafür zu erreichen.


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