Nach der bemerkenswerten Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert vor der Bundesversammlung und der anschließenden Wahl, hat der neue Bundespräsident eine Ansprache gehalten, die mich irgendwie berührt hat. Langsam verstehe ich diejenigen, die mit der Auswahl nicht einverstanden waren und deshalb meinten, Joachim Gauck schon vor der Wahl in den Sumpf ziehen zu müssen. Stellvertretend sei hier der Satz erwähnt, den viele Menschen unerträglich fanden:
SZ: Herr Gauck, Sie sagen, mutige Politiker seien Ihnen lieber. Ist Thilo Sarrazin mutig?
Gauck: Er ist mutig und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht, aber das gehört dazu. Er setzt sich dem Missbehagen von Intellektuellen und von Genossen seiner Partei auseinander – darunter werden viele sein, deren Missbilligung er eigentlich nicht möchte. Nicht mutig ist er, wenn er genau wusste, einen Punkt zu benennen, bei dem er sehr viel Zustimmung bekommen wird.[..]
Dieses Zitat habe ich dem FAZ-Blog von Julia Seeliger entnommen, weil die dortigen Meinungen exemplarisch für viele andere stehen. Unabhängig von der Meinung zu Thilo Sarrazin, kann ich Gaucks Aussage sehr gut nachvollziehen. Wer wenigstens einmal in der damaligen DDR zu Besuch war, kennt das beklemmende Gefühl bei der Frage, worüber man nun sprechen darf und worüber nicht. Aus dieser Sicht verstehe ich nun, warum so viele so fassungslos ob dieser Aussage waren. Wer in Freiheit aufgewachsen ist, kann nicht im entferntesten nachvollziehen, wieso Joachim Gauck von Mut gesprochen hat. Seine heutige Rede vor der Bundesversammlung hat mir dieses Gefühl der Ohnmacht wieder nahe gebracht.
Im ZDF wurde zur Wahl Joachim Gaucks der Presseclub des Senders Phoenix live übertragen. Das Thema lautete: Unabhängig, unbequem, unberechenbar? Was wir vom Bundespräsidenten erwarten können. Die Gäste dieser Sendung waren:
- Brigitte Fehrle (Chefredakteurin der “Berliner Zeitung” und der “Frankfurter Rundschau”)
- Markus Feldenkirchen (Autor im Hauptstadtbüro des Nachrichtenmagazins “Der Spiegel”)
- Bettina Gaus (Politische Korrespondentin der “taz”)
- Thomas Schmid (Herausgeber der “Welt”-Gruppe)
Mein Eindruck nach dieser Sendung war, das Männer und Frauen anscheinend unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie und Freiheit haben. Da das Video zur Sendung noch nicht online ist, werde ich mich einer weiteren Bewertung enthalten.
[..]Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers. In einer historischen Stunde, in der dem Menschen Macht zugefallen ist, die bisher nicht vorstellbar war, wird diese Aufgabe besonders dringlich. Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen. Wie erkennen wir, was recht ist? Wie können wir zwischen Gut und Böse, zwischen wahrem Recht und Scheinrecht unterscheiden? Die salomonische Bitte bleibt die entscheidende Frage, vor der der Politiker und die Politik auch heute stehen.[..] Bundestag
Obwohl ich der katholischen Kirche mehr als kritisch gegenüber stehe, bin ich doch der Meinung, dass der Papst wichtige Worte gesprochen hat. Wenn Politiker diese nur halbwegs beherzigen würden, ginge es uns vermutlich wesentlich besser. Gerade in der EU scheint die viel gepriesene Demokratie ein Fremdkörper zu sein. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an das NEIN der Franzosen und Holländer zur EU-Verfassung. Nachdem diese abgelehnt worden war, hat man daraus einen EU-Vertrag gemacht. Statt sich dem Willen des Volkes zu beugen, wie es eine Demokratie nun mal vorsieht, hat die Krise keinen Politiker bewegt, sich über das Nein Gedanken zu machen. Statt dessen wurde dem Moloch EU ein Vertrag über gestülpt, an dessen Entscheidung die Völker der EU nicht mehr mitwirken durften.
Aber auch damit hatten Politiker so ihre Probleme. Kann sich noch jemand an die Volksabstimmung der Iren zum EU-Reformvertrag erinnern? Nachdem die Iren bei der ersten Abstimmung den Vertrag abgelehnt hatten, wurde nicht etwa der Vertrag geändert, sondern es musste ein zweites Mal gewählt werden. Zuvor wurde ihnen seitens der EU alles mögliche versprochen, insbesondere, dass die anderen EU-Mitgliedsländer Irland in der Wirtschaftskrise helfen würden. Solche Eskapaden sind einer Demokratie nicht würdig und extrem bürgerfeindlich. Aber eigentlich braucht man gar nicht Richtung EU zu schauen, denn in Deutschland liegt in Sachen Demokratie und Freiheit ebenfalls einiges im argen.
Wer sich noch an die 70er und teilweise auch die 80er Jahre im Westen erinnert, wo es weder politische Korrektheit, noch Meinungsverbote gab, versteht vermutlich eher, was ich mit meinem Beitrag aussagen will. Ich will damit nicht behaupten, das früher alles gut war und heute alles schlecht ist. Die Welt ist allerdings auch ohne Gender Mainstreaming nicht untergegangen und die meiste Angst hatte man davor, das der kalte Krieg zu einem heißen mutieren könnte. Als sich der Osten mehr und mehr öffnete, was in der Wiedervereinigung der beiden deutsche Staaten gipfelte, waren viele Menschen beseelt vor lauter Glück. Man dachte, das es nun vorwärts gehen würde, aber diese Glückseligkeit hat leider nicht lange angehalten. Manch einer spricht heute sogar schon von DDR 2.0 oder DDR light. Ich hoffe, das Joachim Gauck entsprechende Akzente setzen wird, auch und vor allen Dingen Richtung Bundestag.
Um zum eigentlichen Thema dieses Blog zu kommen: alleine die Themenbereiche Gleichstellung bzw. Gender Mainstreaming würden ein unerschöpfliches Reservoir bilden. Die Frauenquote und der damit einhergehende Zwang der Wirtschaft, positive Diskriminierung gegenüber Männer auszuüben, könnte ein großes Freiheitsthema sein. Apropos positive Diskriminierung: Es ist immer wieder interessant zu lesen, dass es noch Institutionen gibt, die positive Diskriminierung ablehnen. Der Spiegel berichtete in diesem Zusammenhang von einem Kodex der Hochschulen, indem diese sich verpflichtet haben, ausländischen Studenten mittels einer Beschwerdestelle das Leben leichter zu machen. Allerdings ist die Leiterin des Hochschulbüros für Internationales an der Leibniz Universität eher der Meinung, dass die Probleme der Studenten im Mittelpunkt stehen sollten und nicht der Status oder die Herkunft. Wenn das in sämtlichen Bereichen des Lebens ebenso gehandhabt würde, sähe vieles bei uns besser aus.
Ich befürchte aber, das der Bundespräsident im Rahmen der politischen Korrektheit diesen Bereich ausklammern wird. Die meisten können sich vermutlich das Geschrei der Leitmedien vorstellen, sollte sich Joachim Gauck in diese Richtung äußern.
Ich würde mich in der Tat freuen, wenn Joachim Gauck unabhängig und unbequem wäre. Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich den überwiegenden Teil dieses Textes heute morgen geschrieben habe, als Joachim Gauck noch kein Bundespräsident war.