Die gefährlichste Region der Welt dürfte derzeit der Norden Nigerias sein. Eine Gegend, in der sich niemand seines Lebens sicher sein kann. Das Deutsche Auswärtige Amt rät vor allem von Reisen in die Bundesstaaten Borno, Yobe und Bauchi ab und hat eine entsprechende Warnung herausgegeben.
Vor Ort geht die Angst um. Die Angst vor einer Sekte, der alles Westliche und das Christentum verhasst ist. Boko Haram («Westliche Erziehung ist Sünde») nennt sich die Gruppierung, die um jeden Preis die Scharia einführen will und sich offen damit brüstet, ihre Taktik brutaler Anschläge ständig zu variieren. Bars, Gottesdienste, Märkte – kaum ein öffentlicher Raum ist vor den militanten Salafisten sicher.
Am vergangenen Mittwoch jagten Aktivisten Bomben auf einem Fischmarkt hoch – vermutlich aus Rache wegen der Festnahme eines hochrangigen Mitglieds. 30 Menschen bezahlten den Anschlag mit ihrem Leben. Der Überfall auf einen Geldtransporter forderte am Tag darauf fünf weitere Todesopfer.
Ausgerechnet an Weihnachten schockte Boko Haram die Welt mit brutalen Anschlägen auf christliche Gottesdienste – 40 Menschen überlebten das Fest der Geburt Jesu nicht. In der Stadt Kano löschte Boko Haram im Januar mit mehreren Bomben innerhalb weniger Stunden fast 200 Leben aus. Eine Liste, die sich beinahe beliebig fortführen lässt.
Der Staat verschaffte Boko Haram einen Märtyrer
«Die Sekte fordert bewusst den nigerianischen Staat heraus», sagt Martin Lessenthin, Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte(IGFM). Mit Erfolg. Die Regierung findet kein Mittel gegen die unberechenbaren Salafisten. Das Land taumelt einemBürgerkrieg entgegen.
In den Augen von Lessenthin ist diese Situation selbst verschuldet. «In Nigeria mangelt es nicht an Militär und Polizei, es mangelt am politischen Willen, die eigenen Leute zu schützen», kritisiert er im Gespräch mit news.de die Behörden. Die Regierung Nigerias könne auf dem internationalen Parkett nicht mehr ernst genommen werden, wenn sie den Terror von Boko Haram nicht schnell beende.
Einmal hat der Staat gehandelt und hart durchgegriffen. 2009 ließ er im Rahmen einer konzertierten Polizeiaktion den Sektengründer Mohammed Yusuf vor laufenden Kameras festnehmen. Yusuf wurde exekutiert – offiziell auf der Flucht, wohl eher aber auf einer Polizeistation. Das Resultat des Eingreifens: Die Gotteskrieger hatten einen Märtyrer, die Brutalität der Anschläge nahm zu.
Ein zweigeteiltes Land
Um den Hass der islamistischen Gotteskrieger ansatzweise zu verstehen, muss man wissen, dass Nigeria seit langem ein zweigeteiltes Land ist. Der Süden ist vornehmlich in christlicher Hand, den Norden bevölkern hauptsächlich Muslime. Diese religiöseSpaltunggeht seit Jahren mit einer ökonomischen einher. Die Ölvorkommen vor der Küste des Landes lassen vor allem den christlichen Süden profitieren, die finanzielle Schere im Land klafft weit auseinander.
So lange sich die Muslime im Norden benachteiligt und von der Regierung nicht angemessen repräsentiert fühlen, ist auch ein Ende der Gewalt nicht abzusehen. Diese geht vor allem auf Kosten der Andersgläubigen. «Wir fordern daher den polizeilichen Schutz für christliche Schulen, Gemeindehäuser und Kirchen in den muslimischen Regionen», formuliert Martin Lessenthin die Anliegen der IGFM. Die nigerianische Regierung müsse auch in den islamisch regierten Bundesländern im Norden von Nigeria zeigen, dass sie ihre Bürger schützen will und kann.
Schafft sie das nicht, wird die Spirale der Gewalt unausweichlich in einen Bürgerkrieg münden. Und das ausgerechnet in Nigeria, das lange als afrikanisches Vorzeigeland galt und in absehbarer Zeit den Anschluss an die führenden Industrieländer herstellen wollte.