Der Blick voraus

Von Vera Nentwich @veraswelt
Gestern saß ich mit einer Freundin im Restaurant. Wir sprachen über die Entscheidungen im Leben und wie man diese mit einigen Jahren Abstand betrachtet. Es war spannend zu sehen, wie sich die Blickwinkel über die Jahre geändert haben. Wir haben darüber gelacht, wie engstirnig wir uns damals verhalten haben. Unser Blick war damals begrenzt auf das, was wir uns in unserer bis dahin bekannten Welt vorstellen konnten. Heute sieht diese Welt völlig anders aus. Sie würde aber auch völlig anders aussehen, wenn ich damals andere Entscheidungen getroffen hätte. Ich habe im Nachgang lange darüber nachgedacht, ob ich damals auch andere Wege hätte gehen können. Logisch betrachtet gab es Alternativen. Aber waren sie wirklich mögliche Wege für mich oder gibt es eine Art Strom, der einen auf den einen richtigen Weg spült?

Foto: Peter Luh  / pixelio.de

Parallel habe ich zufällig eine Anfrage eines Menschen bekommen, der heute vor ähnlichen Entscheidungen steht, wie meine Freundin und ich vor vielen Jahren. Plötzlich werde ich mit der gleichen Position konfrontiert, wie ich sie damals genauso vor mir her getragen habe. Ich bin ratlos. Was rate ich diesem Menschen? Kann ich überhaupt etwas raten oder wird dieser Mensch auch gerade auf seinen Weg gespült und ich kann höchstens hoffen, dass er dabei nicht untergeht? Es ist in etwa so, als ob man sein Kind vor mögliche Gefahren warnen möchte. Das Kind kann sich diese Dinge nicht vorstellen und das Einzige, dass man erreichen kann, ist, dass es irgendwann, wenn es denn damit konfrontiert wird, vorsichtiger sein wird und sich an die Warnungen erinnert. Hoffentlich.
Heute kann ich heute sagen, dass der Strom es gut mit mir gemeint hat. Und der jeweils auf den Erfahrungshorizont beschränkte Blickwinkel ist nun sehr hilfreich, denn er verhindert, dass ich vermeintlich verlockende Alternativen sehe. Es ist gut, wie es ist. Ob ich es nun wirklich selbst entschieden habe oder nur meinem Strom gefolgt bin. Letztlich muss jeder seine Entscheidungen treffen und ich kann nur hoffen, dass dieser Mensch, der heute um meinen Rat bittet, irgendwann genauso in einem Restaurant mit einer Freundin sitzen und darüber lachen wird, wie eng sein Blick damals war.