Der Befehl

Wir lagen drei Kilometer vor der Küste, als der Funkspruch kam. Der Sturm peitschte das Wasser gegen die Kabinenfenster und fast hätten wir den Befehl nicht gehört. Das Funkgerät hätten wir längst über Bord geworfen, wenn Fischer nicht protestiert und gedroht hätte, hinterher zu springen. Nun krächzte eine fremde Stimme Order durch den Lautsprecher und erinnerte uns daran, dass wir Soldaten und kein Treibholz waren.

„Was hat er gesagt?“

„Still!“

Meißner hielt einen winzigen Bleistiftstummel zwischen Daumen und Zeigefinger; damit notierte er alles auf einen feuchten Papierfetzen. Was durch den Funk kam, war kaum als Sprache auszumachen. Eine Welle krachte über dem Boot zusammen, da hatte der Spuk sich schon verzogen.

Ich zählte stumm die Sekunden. Drei Minuten horchten wir, doch nur das Pfeifen des Sturms war zu hören. Meißner brach mit seinem nervösen Haspeln als erster die Stille.

„Was war das letzte Wort nach ‚Angriff‘?“

„Durchführen!“, rief unser neuer Rekrut Fischer und sprang von der Sitzbank auf. „Männer, es ist endlich soweit!“

Kalle, der neben mir saß, lachte und kratzte sich am Bauch. „Kleiner, du hast dich verhört. Der General hat eindeutig von einem Anschiss gesprochen. Dieser soll nach Vorschrift durchgespült werden. Nun lasst mich mal vorbei, der General hat einen Befehl geben“, sagte er und schob grinsend seinen Hosenboden an mir vorbei in Richtung Schont.

Meißner lachte so laut, dass seine Brille beschlug. Fischer biss sich auf die Lippe.

„Bootsmann, soll ich Kurs setzen?“, fragte er an mich gewandt. „Ich bring uns in Nullkommanix durchs Riff, passen Sie nur auf! Soll ich, Bootsmann? Soll ich?“

„Ruhig Blut, Rekrut. Erstmal die Lage sondieren.“

„Aber Bootsmann!“

Ich hob mich von der Bank und meine Nackenwirbel knackten. Die Kabine war mannshoch. Frontsäue wie mich steckten sie sonst in hastig gebuddelte Gräber, nicht in solch schwimmende Streichholzschachteln. Meine Knochen sehnten sich nach Freiheit. Doch das ging nur an Deck und da peitschte einem der Wind die Wangen blutig.

Zwei Monate lang nur Regen und Dunkelheit. Vom nassen Trommelfeuer an den Fenstern waren wir halb taub, unsere Unterhaltungen einsilbig geworden. Zwei Monate nur Rauschen aus der Funke. Und auf einmal ein Befehl.

Meißner bemerkte es als erster.

„Was, wenn das ein Hinterhalt ist, Bootsmann?“

„Eben.“ Ich schielte rüber zu Fischer. „Wollen Sie in einen Überfall laufen, Rekrut?“

„Aber der General…“

„Den haben wir gehört. Meißner, wie hieß er noch mal?“

Meißner zuckte zusammen wie ein Schuljunge bei der Hausaufgabenkontrolle. Seit ein paar Tagen schien er kaum noch bei der Sache, starrte immerzu gen Horizont, als liefe zwischen den Gewitterwolken ein Film. Er kramte in seiner Weste und holte ein Stück liniertes Papier hervor, das er auf dem Tisch ausfaltete. Darauf stand eine Auflistung von Namen. Um einen Überblick über all die Personaländerungen in der Kommandoebene zu behalten, hatte ich Meißner befohlen, die Liste anzufertigen. Er fuhr sie mit dem Zeigefinger entlang und fing plötzlich an zu kichern.

„Bootsmann, sie werden es nicht glauben, der Herr General heißt tatsächlich ‚Luzifer‘.“

„Scheiß die Wand an, Soldat. Auf den Arm nehmen kann ich mich selbst!“

Vom Donnerbalken her war ein kräftiger Stoß ins Horn zu hören. Kurz darauf zwängte sich Kalle mit noch offenem Gürtel durch das Türchen. „Wenn der General wirklich der Leibhaftige ist, dann habe ich ihn gerade in der Schüssel getroffen“, flachste er und wedelte sich mit der Hand vor der Nase. „Meine Herren, es wird Zeit, dass wir wieder was anständiges zu beißen kriegen. Der Dosenfraß muss schlecht gewesen sein.“

Meißner rollte vor Lachen auf der Kajütenbank herum, amüsierte sich köstlich, dass es selbst dem alten Witzbold Kalle peinlich wurde. Es brauchte ein paar tiefe Atemzüge, bis er wieder bei sich war.

Die ganze Zeit über funkelte mich Fischer aus seiner Ecke an.

„Bootsmann, was soll der Blödsinn?“, fauchte er und trat vor. Er war bereit durch den Mahlstrom zu schwimmen. „Schnappen wir uns die Schweine und zwar jetzt. Das war ein eindeutiger Befehl!“

„Kleiner, leg erstmal das Gewehr weg und beruhig dich“, mischte sich Kalle ein und baute sich vor Fischer auf. Von oben schaute er auf den Jungen und stopfte ruhig den Hemdzipfel zurück in die Hose. „Du brennst offenbar für den Krieg, doch heb dir noch was für den Feind auf. Der Bootsmann versucht gerade heraus zu finden, ob wir in eine Falle laufen. Was meinst du, wie dumm du aus der Wäsche guckst, wenn wir landen und der Feind plötzlich hinter den Dünen seinen Kopf hervor streckt?“

„Aber der General…“

Kalle seufzte laut. „Welchen meinst du? Ich hab aufgehört zu zählen. Im Oberkommando geht gerade alles drunter und drüber. In den letzten sechs Monaten wurde der Kommandobunker zwei mal vom Feind gestürmt und musste woanders wieder aufgebaut werden. Die linke Hand weiß nicht mal mehr, ob es noch eine rechte Hand gibt. Der Funk könnte genauso gut von einem feindlichen Spion abgesetzt worden sein. Unsere Frequenztabellen sind Monate alt.“ Kalle sah zu mir rüber. „Außerdem hab ich einen Mordshunger und ich glaube, die Dosen sind wirklich schimmelig.“

Das Schmunzeln konnte auch ich mir diesmal nicht verkneifen.

„Da haben Sie’s, Rekrut. An sowas muss man immer mit der größtmöglichen Bedachtsamkeit rangehen.“

Doch Fischer verstand nicht. Er war der jüngste in meinem Trupp, frisch aus der Kaserne, eingezogen von zuhause, mit dem eindeutigen Befehl, hinaus ins Artilleriefeuer zu laufen und ein Held zu werden.

Seine Augen traten hervor, er hielt die Luft an. Dann schrie er.

„Bootsmann, das ist Befehlsverweigerung! Dafür kommt man an die Wand!“

„Große Worte für einen kleinen Rekruten“, meinte Kalle. „Bootsmann?“

Draußen krachte der Donner. Unsere Kutter kippte von links nach rechts, der Wind blies gegen die Kabine, dass die Öllampen an ihren Haken baumelten. Fischer lief der Schweiß über die Brauen wie im Fieber. Vielleicht war er krank?

„Meißner, den Befehl. Vorlesen, Wort für Wort.“

Meißner kramte und fummelte wieder an der Weste, schob die Brille zurück auf die Nase und las vor:

„‚Mutter Gans an alle Gänschen, das Ofenrohr ist voll. Wiederhole, das Ofenrohr ist voll.‘ Der nächste Teil ist unklar, dann kommt: ‚Angriff durchführen‘ oder eben – hier kicherte Meißner – ‚Anschiss durchspülen‘. Dann wieder unklar und schließlich: ‚Viel Glück. Wir sehen uns im Gänsestall‘. Ende.“

„Hm.“

„Seht ihr?“ Fischers Augen glühten. „Er hat eindeutig von einem Angriff gesprochen. Worauf warten wir noch? Wir sitzen auf unseren Ärschen und zuhause fallen die Schweine über unsere Mütter her!“

„Halt die Zähne zusammen, Kleiner, bevor du sie verlierst. Du sprichst mit deinem Vorgesetzten!“

„Pah! Ihr gebt doch einen Feuchten auf das Corps!“

Kalle schnaufte und baute sich vor dem Rekruten auf, die Arme vor der Brust verschränkt. Fischer fletschte die Zähne und machte einen Schritt vorwärts. Da zitierte ich Kalle zu mir und nahm ihn beiseite.

„Jetzt mal ehrlich, alter Freund“, fragte ich ihn in all der Verschwiegenheit, die die winzige Kajüte mir gestattete, „was hältst du von dem Ganzen?“

Kalle duckte sich zu mir in meine Kabinenecke. Ich wartete auf seine Antwort, da merkte ich, wie er den Kiefer anspannte. Schon wollte ich etwas sagen, da trompetete eine Posaune aus seinem Hosenboden. Er hielt den Ton eine ganze Weile. Dann fiel die Anspannung von ihm ab und er fragte erleichtert: „Was willst du wissen?“

Fischer biss sich vor Wut über Kalles Ulkerein fast die Zunge ab. Jeder Scherz befeuerte sein Fieber, dass ich Angst bekam, er könne daran verbrennen.

„Sei ernst“, ermahnte ich Kalle. „Die Lage, was sagst du zu alle dem? Ist das ein Spion, der uns eine Falle stellt?“

Kalle zuckte mit den Schultern. „Was macht’s denn für einen Unterschied? Ob der Befehl nun von uns kam, oder einem feindlichen Aufklärer – auf beiden Seiten versuchen sie gerade nur noch, so viel Material wie möglich zu verheizen. Wenn es stimmt, was man so hört, gibt’s in ein paar Monaten sowieso Frieden. Wahrscheinlich feilschen sie im Ministerium in diesem Moment schon um das Kleingedruckte. Da hilft’s, wenn man dem Feind vorher noch paar Wunden schlagen kann.“

Das war zuviel für Fischer. Draußen zuckte ein Blitz ganz nah neben dem Kutter ins Wasser und er heulte auf, sprang Kalle von hinten auf den Rücken und würgte seinen Hals mit beiden Armen. Meißner grölte und krallte sich am Tisch fest. Kalle tastete nach dem Rekruten in seinem Nacken, bekam seinen Kragen zu fassen und riss ihn herum. Ich wich aus, machte dem stürzenden Fischer Platz; Platz den er nicht hatte, weshalb er mit dem Kopf gegen die Eckbank donnerte und gehörig etwas abbekam. Doch er rappelte sich sofort wieder auf und stürmte vorwärts. Kalle reagierte schneller als erwartet; er holte aus und verpasste Fischer eine klatschende Ohrfeige, mitten auf die Wange. Fischer heulte auf vor Schmerz, weil er damit nicht gerechnet hatte. Ich nutzte den Moment, sprang hinter ihn und hielt ihn fest. Da ging die Tür zum Außendeck auf und der dicke Otto kam keuchend hereingestürzt. Ich hatte völlig vergessen, ihn von der Wache abzulösen.

„Bootsmann, Licht! Ich sehe Licht! Feindbewegungen am Strand!“

Sowohl Meißner, als auch Kalle, ich und sogar Fischer ließen alles stehen und liegen und stürzten auf das Deck, hinaus in den Regen.
Wasser schwappte an beiden Seiten auf das Deck. Kalle musste mich an der Weste festhalten, damit ich den Feldstecher gerade halten konnte. Der Kutter schwankte mit den Wellen, jeden Moment konnte eine kommen und uns von den Beinen reißen. Durch den Regen, die Gewitterwolken und die weißen Blitze, die hektisch am Himmel zuckten, war es fast unmöglich, etwas am Strand zu erkennen. Doch ich sah sie. Dutzende von ihnen, bewaffnet und gefährlich:

Soldaten. Hinter ihnen fuhren zwei verdeckte Laster, ich sah die Scheinwerfer blinken und nach ihnen marschierte noch ein voller Trupp, in Regenmänteln. Sie hielten auf die Villa am Ende der Klippen zu, die man uns als Zielkoordinaten für den Überfall gegeben hatte. Von wem auch immer der Befehl hatte kommen mögen: Unser Zeitfenster, um ihn zu befolgen, hatte sich soeben geschlossen.

„Na, das war’s dann wohl!“, brüllte Kalle gegen den Sturm an. „Fahren wir nach hause und sagen, der Befehl wäre nie angekommen. Die haben alle Hände voll zu tun. Da macht keiner Theater!“

Meißner und der dicke Otto klammerten sich an der Reling fest; unter seiner Regenhaube sah Otto gequält zu mir, er spannte jeden Muskel in seinem Körper an, damit ihn die See nicht vom Deck riss. „Sonst keine Vorkommnisse, Bootsmann!“, jaulte er. „Bitte um Erlaubnis, ins Trockene wegzutreten!“

„Erteilt!“, rief ich ihm zu und schickte ihn rein. Mühsam kämpfte er sich vorwärts, bis ich ihn endlich in der Kajüte verschwinden sah.

Fischer funkelte mich an. Er erwartete, dass ich meinerseits einen Befehl gab. Irgendwie machte er mir Angst.

„Rückzug“, beschloss ich schließlich. „Der Feind ist eindeutig in der Überzahl. Wir umkreisen die Insel auf der anderen Seite, verschaffen uns einen Überblick und verhandeln neu.“

„Der Diesel reicht gerade mal bis zur Heimatküste“, schrie Kalle. „Das schaffen wir nie!“

„Dann müssen wir vorher halt auftanken.“

Selbst im tosenden Sturm gelang es mir, Kalle einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Glücklicherweise verstand er; das Wasser tropfte ihm vom Rand seines Helmes ins Gesicht und er nickte mir zu. „Ok, Meißner! Reingehen und Kurs setzen, bring uns zur nächsten Tankstelle.“

„Jawohl!“

Über das glitschige Deck hinweg kämpften sich Kalle und Meißner zurück zur Kajüte, um den Motor anzuwerfen, da riss sich Fischer von der Reling los und schrie, schrie lauter als der Sturm.

„IHR FEIGLINGE!!!“

Für einen Moment stand der Kutter still. Wir fassten nach Halt, denn jeden Moment würde der Wind wieder gegen unseren Bug blasen und wir konnten nicht anders, als Fischer anzustarren, der sich seinen Helm vom Kopf gerissen und ins Meer geworfen hatte.

„Ihr verfluchten Feiglinge, ich hasse euch! Ich hasse euch!“

„Kleiner, komm runter. Was machst du denn da?“

„Rekrut, nehmen Sie Haltung an. Der Sturm!“

Eine Welle kam von bagbord auf uns zu. Sie türmte sich gegen das Schiff auf und auf ihrem höchsten Punkt krachte sie zusammen und begrub das Deck unter ihren Massen. Meißner wurde fortgespült. Er griff lachend im richtigen Moment nach einem Tau und kam wieder auf die Beine, doch Fischer stand umspült von Salz und Donner vor uns wie der Leibhaftige.

„Feige Schweine seid ihr. Ein Befehl ist ein Befehl, verdammt! Habt ihr denn keine Augen im Kopf? Wir sind im Krieg!“

„Kleiner, du hast den Koller abbekommen, das passiert den Besten. Reiß dich am Riemen und wir bringen dich heile nach hause, versprochen. Stimmt’s, Bootsmann?“

„Klare Sache, Rekrut.“

„Ein Befehl ist ein Befehl! Und ich will nicht nach hause, ich will dorthin!“ Er zeigte mit ausgestreckten Arm zum Strand, wo man die Lichter der einrückenden Lastwagen in der Villa verschwinden sah. „Was ist so schwer daran, einem simplen Befehl folge zu leisten, verflucht? Was?“

Kalle sah zu mir. Er hielt seinen Arm ausgestreckt, als wolle er ein wildes Tier beschwichtigen. Ich war der Bootsmann dieser Truppe, der höchstrangige Offizier vor Ort. Es lag an mir, meine Männer unter Kontrolle und sicher nachhause zu bringen.

Doch ich war müde. Unendlich müde. Seit zwei Monaten lagen wir in diesem Schuhkarton auf hoher See, wie Sardinen in der Dose und warteten darauf, dass uns jemand in den Tod schickte.

Kalle hatte Recht. In ein paar Monaten würde es Frieden geben. Wahrscheinlich war er schon beschlossene Sache. Die Rationen wurden knapp und das Dosenfutter hing mir zum Hals raus. Ich konnte keinen Arm mehr heben. Kalle bot mir einen Ausweg.

„Mach'“, sagte ich. Kalle ging auf Fischer zu.

„Nein!“, schrie der Rekrut und haute nach meinem Freund. Ich befürchtete eine dramatische Szene, doch die See schien wieder den Atem anzuhalten, als schaue sie uns zu und so näherte sich Kalle, der riesige Soldat mit ausgebreiteten Armen und drängte Fischer zur Spitze des Bugs. Es war, wie ein Kind einzufangen.

„Lass gut sein, Kleiner. Einfach still halten und alles wird gut.“

Fischer stolperte auf den nassen Planken rückwärts, rutschte aus und krabbelte auf die Reling zu. Im richtigen Moment hechtete Kalle über das Deck, bekam Fischer am Knöchel zu packen und zog ihn zu sich heran. Derweil hatte ich ein Tau genommen, ausgerollt und bereit gemacht. Meißner nahm das andere Ende.

Kalle zerrte ihn zum Masten. „Kleiner, du musst einfach an die Heimat denken. Denk an deine Mama und deinen Papa, deine Geschwister. Oder die Mädchen aus der Schule. Lang kann’s für dich doch nicht her sein, oder?“

„Ihr seid solche Feiglinge“, wimmerte Fischer. Es mangelte ihm an Atem, um weiter zu schreien; er röchelte und ich meinte zu erkennen, dass es sich bei dem Wasser im Gesicht nicht nur um Regen handelte.

Was, wenn Fischer daheim überhaupt niemanden mehr hatte?

Was, wenn keiner von uns daheim noch jemanden hatte?

„Den Knoten müssen wir schön fest machen, Kleiner, zu deinem eigenen Besten. Ist nichts persönliches. Pass nur auf, dass du nicht zu viel Wasser schluckst, wenn du hier draußen bist. Wir werden in Nullkommanix aus dem Sturm raus sein, versprochen. Stimmt’s, Bootsmann?“

„Stimmt“, sagte ich. Dann eilten wir zurück in die Kajüte, schmissen den Motor an und setzten Kurs auf die Heimatfront, raus aus diesem elenden Sturm.

Fischer brüllte vom Masten, so laut er konnte. Seine Schreie übertönten selbst den Wind, sogar als der Bootsmotor stotternd ansprang hörten wir ihn noch unter Deck. Es schien unmenschlich, diese Kraft in seinen Lungen. Ich beruhigte mich damit, dass er schon bald aufhören würde. Aber Fischer weigerte sich, Ruhe zu geben. Er brüllte die ganze Nacht lang, er machte es uns unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wir mussten einen Plan aushecken, was wir erzählen sollten, wenn man uns wegen des Befehls zur Rede stellte. Doch mit Fischer am Masten war das unmöglich. Zwischendurch schien er die Kraft zu verlieren und ich betete, er möge endlich den Mund halten. Dann aber schwoll es wieder an, das Gebrüll, lauter als zuvor. Er rief unsere Namen in den Sturm, nannte uns Feiglinge, beschuldigte uns des Verrats und verfluchte uns vor Gott und Vaterland. Es half nichts. Als es Zeit wurde, eine Mütze Schlaf zu fassen, holte ich die Wattetupfer aus dem Verbandskasten und verteilte sie unter den Jungs.

Ich legte mich in meine Koje, aber selbst mit der Watte im Ohr hörte ich Fischer noch brüllen. Kalle übernahm die erste Schicht am Ruder. Gegen Mitternacht löste ich ihn ab, ohne ein Auge zubekommen zu haben. Fischer schrie noch immer. Schließlich übernahm Meißner für mich, denn Otto hatte eine Lungenentzündung bekommen. Sein dicker Bauch hob sich nur unter schwerem Pfeifen aus dem Hals. Das war meine Schuld. Irgendwann im Morgengrauen gelang es mir schließlich, Fischers ungebrochenes Toben aus meinem Verstand zu verbannen. Ich schlief ein.

Als ich mittags wieder erwachte, hatten wir die Heimatküste erreicht. Wir gingen von Bord, müde und erschöpft. Otto mussten wir tragen. Fischer war nicht mehr da. Der Masten stand noch, nur unser Rekrut war verschwunden. Während ich geschlafen hatte, musste er sich irgendwie losgemacht haben. Wahrscheinlich hatte eine Welle ihn von Bord gerissen. Ich konnte mir aber auch vorstellen, dass er freiwillig ins Wasser gesprungen war. Wer weiß, vielleicht schwamm er gerade zurück in den Sturm, hin zu der Insel, um für uns den Befehl auszuführen?

Zu meiner Verwunderung stellte ich fest, dass es mich nicht kümmerte. Vier von fünf hatte ich heim gebracht. Das war ein guter Schnitt. Ich befahl den Männern, Otto in ein Krankenhaus zu bringen. Dann, in einem unbeobachteten Moment, stahl ich mich davon. Erst rannte ich. Dann lief ich, der Sonne hinterher. Wohin wusste ich nicht – nur irgendwohin, wo keiner mehr Befehle gab.


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